Gottes Weisheit entspricht einem Geheimnis. Es ist keine Weisheit dieser Zeit, und die Weisheit war lange Zeit verborgen. Gottes Weisheit wird nicht durch «weise Worte» geprägt. Im Gegenteil. Gottes Weisheit ist ganz anders. Sie ist auch nicht mit etwas zu vergleichen, was in unserer Zeit (oder jeder anderen Zeit) als «weise» galt. Gottes Weisheit hat nichts mit der Weisheit der Menschen zu tun, sondern sie ist ganz anderer Natur. Darüber spricht der Apostel Paulus im zweiten Kapitel vom ersten Korintherbrief.

Chaos in Korinth

Paulus schreibt über diese Weisheit in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth. Dort gab es alle mögliche Entgleisungen. Man könnte diese Gemeinde als «chaotisch» einstufen. Vieles lief falsch. Es gab Streit, bei einigen war der Lebenswandel gefährlich entgleist, bei anderen gab es Fragen bezüglich den geistlichen Gaben. Verschiedene Ansichten versuchten sich durchzusetzen. Überall gab es Probleme in Korinth.

Der Brief des Apostels versucht hier etwas Ordnung einzubringen. Er muss dabei auf die wesentlichen Dinge zu sprechen kommen. Er muss wichtige Zusammenhänge aufdecken. Paulus muss erklären, warum es wirklich geht, damit die Gemeinde wieder auf die rechte Spur gesetzt wird. Dies hier schrieb er:

Ich bin, als ich zu euch kam, Brüder,
nicht mit Überlegenheit des Wortes oder der Weisheit gekommen,
um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen;
denn ich hatte mich dafür entschieden,
unter euch nichts ausser Jesus Christus zu wissen,
und diesen als gekreuzigt.

Ja, ich kam in Schwachheit,
in Furcht und vielem Zittern zu euch,
und mein Wort und meine Heroldsbotschaft
bestand nicht in überredenden Worten menschlicher Weisheit,
sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft,
damit Euer Glaube nicht in der Weisheit der Menschen,
sondern in der Kraft Gottes gegründet sei.
1Kor 2,1-5

Der gekreuzigte Christus

Paulus hatte ein geistliches Anliegen. Der Glaube der Korinther sollte in der Kraft Gottes gegründet sein. Denken wir einmal darüber nach. Unser Glaube – in der Kraft Gottes gegründet. Wäre das genug Kraft? So wie Gott der Höchste ist, sollte in diesem Höchsten und Seiner Kraft die Quelle unseres Vertrauens liegen. Das ist es, was Paulus für die Korinther ins Auge fasste.

Auch uns soll dies ansprechen. Wer könnte aber von sich aus behaupten, so etwas durch eigene Anstrengung zu erreichen? Ein so hohes Ziel lässt keine Nebenschauplätze wie Eigengerechtigkeit oder menschliche Halbwahrheiten zu. Paulus hält sich nicht bei Nebenschauplätzen auf. Deshalb kommt er ausdrücklich nicht mit «Überlegenheit des Wortes oder der Weisheit». Er will hier keinem gefallen. Alles Unwichtige muss Platz machen vor dem wirklich Wichtigen. Das Zeugnis Gottes hat eine zentrale Aussage, und die betrifft eine Person: Jesus Christus. Das Zeugnis Gottes spricht von Ihm. Es folgt aber noch eine genaue Präzisierung, damit das Bild von Jesus Christus nicht missbraucht oder fehlinterpretiert wird. Paulus verkündete Jesus Christus als gekreuzigt.

Was ist das schon für eine Botschaft? Da kommt Paulus in Gespräch mit anderen Menschen und predigt einen gekreuzigten Jesus. Das scheint doch eher von Schwachheit zu zeugen. Dieser Messias wurde umgebracht. Das hat wirklich gar nichts mit dem zu tun, was in der Welt um uns herum Bedeutung hat. Wer stirbt, der scheidet aus, der spricht nicht mehr mit. Lebende müssen sich selbst behaupten. In der Welt, worin wir leben, geht es um vieles, aber nicht darum, einen gekreuzigten Mann zentral zu stellen. Das geht völlig gegen den Strich.

Paulus aber stellt diesen gekreuzigten Mann zentral. Er verkündigt Jesus Christus – als gekreuzigt. Er ist der Gesalbte, der Christus. Der Gekreuzigte ist der Gesalbte. Gesalbt wurden Könige und Propheten. Dass der von Gott Gesalbte gekreuzigt wurde, ist gerade der Kern von Paulus’ Verkündigung. Es erscheint – gelinde gesagt – merkwürdig. Gegen den Hintergrund der chaotischen Gemeinde in Korinth ist aber dieser radikale Einstieg geradezu therapeutisch. Während in der Gemeinde viel Lärm um nichts gemacht wird, führt Paulus sozusagen in die Stille der Weisheit Gottes ein. Unter den Korinthern wollte Paulus nur eines wissen: Jesus Christus als gekreuzigt. Dies ist Gottes Kraft und Gottes Weisheit (1Kor 1,23–24).

Weisheit unter den Gereiften

Paulus ging es nicht um die «Weisheit der Menschen», sondern um «Gottes Kraft» (1Kor 2,5). Das ist eine interessante Gegenüberstellung. Er spricht von Kraft (gr. dunamis) als Gegensatz zu Weisheit. Da kommt unweigerlich eine Aussage in den Sinn wie «keine Worte, sondern Taten!». Es geht um die Realität Gottes, die in diese Welt hineinspricht und hineinwirkt. Es geht nicht um leere Worthülsen.

Gottes Weisheit ist stets in Seinem Wirken verankert. Gott hat keine frommen Wünsche. Er spricht: Licht werde! Und Licht wurde (1Mo 1,3). So wirkt Gott. Zu Seiner Seit. Gottes Weisheit nun, von dieser ganz anderen Kategorie als unsere Überlegungen, gründet stets in konkretem Handeln, ob jetzt, in der Vergangenheit oder für die Zukunft. Das wahrzunehmen, bedingt jedoch eine gewisse Reife. Querelen wie in Korinth (1Kor 1,11–13) müssen wir dann hinter uns lassen.

Weisheit aber sprechen wir unter den Gereiften,
jedoch nicht Weisheit dieses Äons
noch der Oberen dieses Äons, die abgetan werden.
Sondern wir reden von Gottes Weisheit in einem Geheimnis,
von der verborgen gewesenen,
die Gott vor den Äonen zu unserer Herrlichkeit vorherbestimmt hatte.

Diese Weisheit hat keiner der Oberen dieses Äons erkannt.
Denn hätten sie sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
1Kor 2,6-8

Wir sehen, wie Paulus hier die Korinther auf ein neues Niveau hievt. Während die Korinther sich im Hader verhedderten und mit allen negativen Gedanken im Hier und Jetzt verharrten, lenkt Paulus den Blick auf Gottes Wirken. Gottes Weisheit entspricht nicht der Weisheit dieses Äons (dieses Zeitalters). Er nennt den Ausdruck gleich dreimal. Gottes Weisheit ist grösser. Sie ist nicht auf diese Zeit begrenzt, sondern hat etwas Umfassenderes vor Augen. Wenn das zutrifft, müssen wir genauer hinschauen, denn hier wird etwas erwähnt, das früher geheim und verborgen war.

Gottes Weisheit spricht von etwas, das Gott bereits vor den Äonen für uns vorherbestimmt hatte. Diese Ausdrücke machen kurzen Prozess mit den üblichen Interpretationen einer «endlosen Ewigkeit». Es geht nämlich um begrenzte Zeit. Und Gott hat bereits vor diesen Zeitaltern gewirkt. Er ist nicht auf diese Zeitalter (oft übersetzt mit «Ewigkeiten») begrenzt. Bereits vor den Äonen hat Er Dinge geplant und vorausgesehen. Diese Welt ist Seine Welt. Einiges war jedoch lange verborgen. Sie war es nicht nur für uns, sondern es war auch für die sogenannten Herrscher dieser Welt, für die «Oberen dieses Äons» verborgen. Ob mit diesen «Oberen» weltliche oder geistliche Mächte gemeint sind, ist nicht direkt ersichtlich. Es geht hier auch am ehesten um die Prägung der Zeit, worin für Gottes Weisheit gar keinen Blick besteht.

Satan wird der «Gott dieses Äons» genannt (2Kor 4,4). Er ist der Widerwirker, auch der Diabolos oder «Durcheinanderwerfer». Satan hat nur einen Plan: Gottes Plan zu durchkreuzen. Jesus, der Sohn Gottes, musste hingerichtet werden. Dafür ist Satan sogar in Judas hineingefahren (Luk 22,3). Es scheint, dass er das tat, um ganz sicher zu sein, dass Judas auch tatsächlich Jesus verraten würde. (Dieser Umstand wird ungern betrachtet, aber es wirft Fragen nach dem Gott und des Schicksals des Judas Iskariot auf. Das sprengt aber den Rahmen dieses Artikels.) Es sollte sich später herausstellen, wie kurzsichtig dieser Plan war.

Zurück aber zum Korintherbrief. Hier ging es um die Weisheit Gottes, die keiner der Oberen dieses Äons erkannt hat, «denn hätten sie diese erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt»! Das erklärt sich nur im Licht der Auferstehung (worüber Paulus im Kapitel 15 desselben Briefes ausführlich schreibt). Satan hat Jesus zu beseitigen versucht, ebenso wie die religiösen Führer des Volkes. Hätten die Oberen dieser Welt jedoch erkannt, was in Gottes Weisheit schon längstens geplant war, dann hätten sie Jesus nicht gekreuzigt. Unwissentlich nämlich haben die Oberen dieser Welt mit der Kreuzigung den Plan Gottes ausgeführt.

Das war Gottes Weisheit in einem Geheimnis.

Kreuz und Auferstehung

Die Realität der Kreuzigung ist Tod. Der Tod aber wird durch Auferstehung mehr als wettgemacht. Kreuz und Auferstehung sind das, worüber Paulus spricht. In der Kreuzigung, völlig weltfremd und ohne sichtbare Weisheit, verhüllt Gott Seine Kraft und darin ist die Weisheit. In der Auferstehung und Lebendigmachung jenseits der Kraft des Todes wird dann Gottes Kraft enthüllt. Darin dürfen wir unser Glauben gründen. Es geht nicht um Weisheit der Menschen, sondern um die Kraft Gottes, die erst durch einen gekreuzigten Christus sich voll entfalten konnte.