Die Bibel zu lesen, scheint nicht schwer. Sie zu deuten, kann dagegen eine Herausforderung sein. Es gibt eine einfache Faustregel, wie man den Aussagen der Bibel auf die Spur kommt: Man soll den Text im Kontext lesen.

Bücher, Predigte und Vorträge zur Bibel – wie präsentieren sie uns die Aussagen der Bibel? Da gibt es grosse Unterschiede. Der Eine versucht ein Thema direkt in der Bibel aufzuspüren oder zumindest nachzuspüren. Andere jedoch habe eigene Themen, und die Bibel wird vorwiegend zur Unterstützung der eigenen Sichtweise zitiert.

Ob die Aussage des Autors bei einer thematischen Betrachtung vom Bibeltext bestätigt wird, lässt sich meist gar nicht prüfen. Das Bibelzitat wird nämlich gar nicht erläutert, sondern nur erwähnt. Das ist das Problem thematischer Betrachtungen, die sich eher an Schlagwörtern als an Basisthemen der Schrift orientieren. Die «richtige Interpretation» von Bibelstellen wird dann beim Leser vorausgesetzt oder suggestiv untergeschoben. Das geschieht in Predigten zu viel, in Büchern zu häufig und es lässt sich in vielen Gesprächen ebenso nachvollziehen: Man zitiert die Bibel, um damit eine bestimmte «Erkenntnis» zu bestätigen. Immer wieder wurde mir eine solche als «biblische Wahrheit» getarnte Ideologie präsentiert. Wer an der Aussage zweifelt, dem wird auch mal schnell unterstellt, dass man der Bibel nicht glaubt. Dann wird eine gesunde Auseinandersetzung sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich gemacht.

Genügt ein Bibelzitat?

Ein Bibelzitat «für sich betrachtet» kann auch fehlinterpretiert werden. Reicht es, einen Bibelvers zu zitieren, um damit etwas zu «beweisen»? Wohl kaum! Es geht jedoch auch anders.

Die Standardregel für eine gesunde Bibelauslegung ist sehr einfach: Lese jeden Text im Kontext. Jeder Bibelvers soll im eigenen Zusammenhang gelesen und auch dort zuerst verstanden und interpretiert werden. Das zeigt Respekt dem Text, dem Schreiber und nicht zuletzt auch dem ursprünglichen Empfänger gegenüber.

Text im Kontext lesen

Man kann sich dem Bibeltext auf verschiedene Arten annähern. Es ist selbstverständlich hilfreich, die Bibel ganz durchzulesen und dadurch einen Eindruck verschiedener Zusammenhänge zu gewinnen. Allerdings braucht das sehr viel Zeit. Möchte man von einem einzigen Text ausgehen, also so dem Text begegnen, wie das häufig zitiert wird – hier ein Vers, dort ein Zitat – dann kann man sich eine bessere Bibelbetrachtung als konzentrische Zirkel vorstellen:

Ausgehend von einem Wort kann man das Wort im Satz versuchen zu verstehen, dann der Satz im Absatz, der Absatz im Kapitel, das Kapitel im Kontext des Buches und das Buch im Kontext der ganzen biblischen Geschichte. Am Satz allein kann man die Bedeutung nicht immer ablesen. Erst im Zusammenhang leuchtet die Bedeutung auf. Allerdings ist eine solche Annäherung an den Text als Einstieg nicht sehr einfach. Für den geübten Leser jedoch ist es hilfreich.

Ein Text im Kontext zu lesen heisst auch, dass man die eigene Interpretation etwas zurückstellt. Man hört zuerst auf den Text, auf die erzählte Geschichte, auf die Beweggründe der Menschen, die dort genannt werden, auf die Ziele, welche der Schreiber mit diesen Versen vorhatte. Wenn ich das einigermassen verstehe, lässt sich ein Bibelabschnitt oder ein Bibelvers viel besser deuten.

Es kann passieren, dass der erste Eindruck eines Textes täuscht und der Text von unerwarteten Dingen spricht, die erst bei näherer Betrachtung auffallen. Erst den Text im Kontext zu lesen, gibt mir die Information zu einer mehr objektiven Interpretation. Nüchtern betrachtet geht es hier um ein Textverständnis. Wie soll ich die Aussage des Textes verstehen, wenn ich die Bedeutung im Kontext nicht kenne?

Basieren die meisten lehrmässigen und dogmatischen Unterschiede auf dieser Missachtung des Kontextes? Vergisst man einmal den lästigen Kontext, dann kann natürlich jeder Text nach Belieben ausgelegt werden. Sobald man den Kontext jedoch einblendet, wird man auf die ursprüngliche Geschichte, auf die ursprüngliche Aussage zurückgebracht. Im Kontext ist keine beliebige Interpretation mehr möglich. Deshalb hilft es immer, den Text im Kontext zu betrachten.