2020 legt das Coronavirus Europa lahm. Immer mehr Länder haben einen sogenannten «Lockdown». Die Schulen werden geschlossen, viele Einkaufsläden, Restaurants und Geschäfte bleiben ebenso zu. Leute arbeiten daheim im «Homeoffice». Für viele Menschen kommt diese Entwicklung wie aus heiterem Himmel. Es finden einschneidende Änderungen statt. Die vermeintliche Sicherheit vor der Pandemie wird durch die Pandemie ins Wanken gebracht. Viele sind zutiefst verunsichert.

Die Verunsicherung durch plötzliche Änderung wird in breiten Teilen der Bevölkerung gespürt. Es ist alles unglaublich komplex. Wie kann man sich das Verständnis der Welt so filtern und einrichten, dass man wieder leben kann? Nicht wenige wenden sich Verschwörungsmythen zu. Sie prägen die Entwicklung in der Gesellschaft massgeblich. Nicht der Umgang mit der Pandemie, sondern eine alternative Wirklichkeit wird gesucht. Damit wird die Komplexität der Realität wieder etwas gerade gerückt, auch wenn es mit Vernunft nur bedingt etwas zu tun hat. Als psychologisches Phänomen ist es wahrscheinlich am besten mit einem Schutzmechanismus zu vergleichen. Dieser ist verständlich, aber wenig hilfreich in der Bewältigung der Krise.

Harald Lesch ganz nüchtern zum Coronavirus.

Einschränkungen im Leben

Wir können hier ausführlich über Verschwörungstheoretiker und ihre Ansichten nachdenken. Dazu gibt es jedoch im Internet bereits ausgezeichnete Informationen. Wir sollten lernen, die eigene Unsicherheit und Angst ins Angesicht zu schauen, um dann mit gesunder Vernunft die aktuelle Lage zu beurteilen. Verschwörungstheorien sollten wir keinen Raum schenken, sowenig wie eine Panik. Vielmehr braucht es eine beherzte Nüchternheit sowie den Mut Dinge ernst zu nehmen.

Hier in diesem Beitrag jedoch möchte ich lieber über etwas anderes sprechen. Es geht um Lockdowns, die wir alle zu verschiedenen Zeiten unseres Lebens bereits erleben. Jede Nacht sind wir in einer Art Lockdown daheim in Bett.  Wir tun das, damit wir uns vom Tag erholen können. Dieser Aspekt können wir auch jetzt festhalten. Wir sollten Chancen erkennen.

Jede Nacht sind wir in einer Art Lockdown daheim in Bett.

Es gibt noch weitere Situationen, die unser Leben stark beeinträchtigen können. Das ist etwa eine Krankheit, die uns selbst betrifft und die uns für Wochen im Bett hält. Das ist sehr unangenehm, aber normalerweise genesen wir und die Normalität trifft wieder ein. Wenn wir diese Erfahrung einmal gemacht haben, können wir sie auch auf die aktuelle Krise übertragen: Die Krise ist real, aber es wird einmal weitergehen. Normalität (in welcher Form auch immer) wird wieder Einzug halten.

Bei zunehmendem Alter werden wir ebenso mehr Einschränkungen erleben. Die Kräfte nehmen ab. Wir können nicht mehr alles tun. Wir können vieles, das aber weniger lang tun. Wer schon länger jung ist, bleibt oft länger daheim. Es ist mit einem langsamen Lockdown zu vergleichen. Trotzdem muss das nicht negativ sein. Jedes Alter und jede Situation kennt seine eigenen Möglichkeiten. Nüchternheit akzeptiert die aktuelle Ausgangslage und macht mit Weitblick das Beste daraus.

Nüchternheit akzeptiert die aktuelle Ausgangslage und macht mit Weitblick das Beste daraus.

Möglicherweise erlebt man auch seelisch einen Lockdown, beispielsweise wenn der Partner oder die Partnerin stirbt oder wenn man in andere schwierige Situationen gerät. Solche Erlebnisse können das Lebensgefühl blockieren. Wenn Freunde, Familie oder Lebensgefährten sterben, die ein wichtiger Teil des eigenen Lebens ausgemacht haben, gerät das erlebte Umfeld unter Stress. Man kann es als Lockdown der Gefühle, des Ausblicks, der Hoffnung empfinden. Wir sollten auch diese Dinge in Gedanken mitnehmen. Leben war noch nie einfach. Manchmal kann es richtig schwer sein.

Ein Lockdown der Gefühle, des Ausblicks, der Hoffnung.

Nichts von all dem ist uns also fremd. Gewollt ist es allerdings nicht. Auch das sollten wir festhalten. Ein Lockdown in welcher Art auch ist unerwünscht. Es kommt über uns, ob wir das wollen oder nicht. Es gehört zur menschlichen Erfahrung.

Paulus im Lockdown.

Gemälde von Rembrandt, 1627. Wikimedia Commons.

Paulus im Lockdown

Der Apostel Paulus war in den letzten Jahren seines Lebens (gerechnet wird mit mindestens 4 bis 5 Jahre) in Gefangenschaft. Das war ein heftiger «Lockdown» für den reisefreudigen jüdischen Mann. Verschiedene Male wurde er für kurze Zeit festgenommen. Dann aber, gegen den Schluss der Apostelgeschichte, ist er ständig in Gefangenschaft.

Er wurde in Jerusalem gefangengenommen (Apg 21,30ff) und war jahrelang (Apg 24,27) sowohl in Jerusalem wie in Caesarea im Gefängnis. Der Text beschreibt zwei Jahre und das war nur ein Abschnitt seiner Zeit im Gefängnis. Es war eine seltsame Sache, denn er wurde jahrelang nicht verhört. Dies sind Zustände, die wir heute schnell übersehen, weil wir diese Situationen nicht kennen. Für Paulus war das jedoch eine Realität. Er musste sich mit der Realität in seinem Leben auseinandersetzen, ebenso wie wir das heute machen müssen.

Paulus war von Geburt ein römischer Staatsbürger (Apg 22,27-29). Bei einer Verteidigung hat er sich als römischer Staatsbürger auf den Kaiser berufen (Apg 25,10-11). Das war sein gutes Recht. Daraufhin wurde festgelegt, dass seinen Fall vor dem Kaiser kommen musste (Apg 25,12). Paulus musste als Gefangener nach Rom verschifft werden.

So landete Paulus von einem Lockdown in den nächsten. Von Caesarea aus wird Paulus per Schiff nach Rom geschickt. Es folgten viele Erlebnisse, die alle im Buch Apostelgeschichte beschrieben sind. Im letzten Kapitel der Apostelgeschichte kommt das Schiff in Puteoli, unweit von Rom, an (Apg 28,13).

In Rom angekommen wurde es dem Apostel gestattet, mit dem ihn bewachenden Krieger allein zu bleiben (Apg 28,16). Er sass also vermutlich nicht im Gefängnis, sondern in einem anderen Unterkommen, vielleicht in einer Kaserne oder Ähnliches.

Danach ändert sich die Situation noch einmal. In den letzten Versen des Buches lesen wir:

«Er [Paulus] blieb dann zwei ganze Jahre in eigener Mietwohnung und hiess alle willkommen, die zu ihm kamen; er heroldete das Königreich Gottes und lehrte mit allem Freimut und ungehindert, was den Herrn Jesus Christus betrifft.»
Apg 28,30-31

In eigener Mietwohnung! Paulus war also nicht nur mindestens zwei Jahre in Israel im Gefängnis, sondern minimal weitere zwei Jahre in Rom. Dabei hatte er eine eigene Mietwohnung und konnte so doch im Lockdown noch einiges tun. Er konnte zwar nicht raus (es standen Soldaten vor der Tür), aber er konnte Menschen bei sich daheim empfangen.

Bemerkenswert ist also: Die Tür ging nicht nach aussen auf, etwa zu neuen Reisen, sondern nach innen, für den Empfang von Besuchern und von Briefen. Der Apostel hiess alle willkommen, die mehr über das Königreich Gottes hören wollten und er lehrte mit allem Freimut und ungehindert (!), was den Herrn Jesus Christus betrifft.

Mit diesen Worten endet die Apostelgeschichte. Die letzten Jahre jedoch, wo er selbst nicht mehr reisen konnte, hat er mit Gesprächen und dem Schreiben von Briefen erstaunliche Dinge erreicht. So haben wir einen Schatz an geistlichem Reichtum aus dieser Zeit erhalten. Dies betrifft die sogenannten «Gefängnisbriefen» (Epheser, Philipper, Kolosser, 2. Timotheus). Es war eine überaus fruchtbare Zeit. Die Briefe, die er damals schrieb, bewegen Christen bis heute.

Unerwartete Früchte vom Lockdown

Der Lockdown von Paulus wurde uns zum Segen. Paulus hat sich nicht als Gefangener der Römer gesehen, sondern er sprach selbst davon, dass er ein «Gebundener Christi Jesu» war (Eph 3,1-2). Das war die von ihm gewählte und erkannte Perspektive. Denn wie immer sein Leben aussah, er wählte darin bewusst eine von Gnade gefüllte Bedeutung. Das darf uns zur Anregung sein.

Nun frage ich, welcher Segen kann aus unserem Lockdown für andere entstehen? Welche Sicht wählen wir in unserer Situation? Welche Sicht für mich selbst und welche Haltung anderen Menschen gegenüber? Und was tue ich, wenn ich drohe, in der Unsicherheit unterzugehen? Wie kann ich mir selbst etwas Gutes tun? Welche Unterstützung wünsche ich mir?