In den bisherigen Beiträgen zum Thema «Ewigkeit» ging es um die Wörter «aion» und «olam», wie sie in den Sprachen der Bibel genannt werden. Auf diese Beiträge wird hier aufgebaut und eine kleine Übersicht geboten.

Gibt es in der Bibel eine Lehre der Äonen?

Oder konkreter gefragt: Findet sich irgendwo in der Bibel ein Kapitel mit einer umfassenden und konkreten Beschreibung der biblischen Zeiten? Ein Kapitel also, welches uns klipp und klar in die Bedeutungen des Wortes Äon einführt?

Die Antwort auf eine solche Frage lautet schlicht: Nein. Es gibt keine solche Zusammenfassung. Es gibt unter anderem ein Kapitel über die Auferstehung (1Kor 15), aber viele andere Themen der Bibel sind nicht so eindeutig irgendwo nachzuschlagen.

Das heisst natürlich nicht, dass es keine Informationen gibt. Diese Erwähnungen stehen aber nicht an einem einzigen Ort, sondern werden an verschiedenen Stellen gefunden. Aus diesen verschiedenen Stellen lässt sich ein Bild erstellen, welches sozusagen einen Einblick in das Zeitverständnis der damaligen Schreiber und Zuhörer schenkt.

Mit vielen Aussagen der Bibel müsste man ähnlich umgehen. Es geht nicht um Sonderlehren, sondern darum, die Aussagen der Bibel auch im Kontext – und unter Berücksichtigung der zeitlichen Angaben – besser zu verstehen. Zeit ist ein wichtiges Element in Gottes Handeln. Zeitbegriffe spielen deshalb immer wieder eine Rolle. Er handelt in der Zeit. Zeit ist nicht das Hauptthema, aber Zeit ist Teil Seines Handelns in und an dieser Welt.

Die Theodizee

In der Frage der Theodizee wird der Zeitaspekt beispielsweise nicht erwähnt, aber vorausgesetzt.

Die Frage der Theodizee lautet wie folgt:

«Wenn Gott allmächtig ist und Gott Liebe ist, weshalb lässt Er das Leiden in dieser Welt zu?».

Was hier nicht gesagt wird – jedoch mitschwingt–, ist die Annahme, Gott müsse hier und jetzt und zwar sofort etwas ändern. Diese Erwartung ist nicht direkt erwähnt und man schaut leicht darüber hinweg. Sie ist jedoch eine Voraussetzung für diese Frage und der Zeitaspekt soll deshalb in der Antwort mitberücksichtigt werden.

Der Mensch will nicht leiden und wehrt sich meist gegen empfundenes Unrecht. Er meint sich im Recht mit der Behauptung, ein Gott «müsse» hier und jetzt wirken, ansonsten könne Er nicht ein allmächtiger und liebender Gott sein. Man schliesst von sich auf Gott, als wäre Gott ein Mensch. Auch dies ist eine nicht erwähnte Grundannahme, die zur genannten Frage führt. Von sich auf Gott zu schliessen erscheint etwas albern, wenn man einen Gott ernst nimmt, oder zumindest das Konzept eines Gottes als richtig einschätzt. Tut man das nicht, erübrigt sich die Frage und man zeigt vermutlich nur die eigene Rechthaberei.

Gehen wir hier einmal davon aus, dass es einen Gott gibt, der diesen Namen auch verdient. Ein Wesen, das höher und grösser ist als der Mensch. Ein Schöpfer von allem, wenn man so will. Dann gibt es einen realen Unterschied zwischen diesem Gott und den Menschen. Selbstverständlich kann man diese Frage dann ernsthaft und authentisch stellen, denn wer ist nicht bestürzt über das Elend in dieser Welt, über Ungerechtigkeit und über die Sterblichkeit, die uns allen anhaftet?

Wir haben jetzt zwei nicht explizit genannte Annahmen bei dieser Frage benannt:

  1. Der Zeitaspekt schwingt in der Frage mit
  2. Man soll zumindest eine Arbeitshypothese haben, wonach es einen Gott gibt.

Der Zeitaspekt

Menschen wünschen oder fordern gar eine sofortige Lösung. Verständlich, aber diese Sicht ist begrenzt. Wie soll man eine Eintagsfliege die Bedeutung einer Woche erklären? Wie soll man dem Menschen etwas erklären, das seine eigene Lebensdauer vielleicht übersteigt?

Wenn Gott dem Leiden der Welt zu einem späteren Zeitpunkt begegnet, und dann Erlösung schenkt – wäre die Frage dann beantwortet? Ändert das die Perspektive? Wenn Gott Zeit hat, und letztendlich alles erreicht, wird Er dann am Resultat gemessen oder an einem beliebigen Punkt auf dem Weg hin zum Resultat?

Oder mit anderen Worten: Wenn der Arzt den Patienten erst morgen und nicht heute behandelt, und der Patient daraufhin den Weg der Genesung einschlagen kann, ist es angebracht, den Arzt heute zu verklagen? Es ist von grundlegender Bedeutung, dass wir das Zeitverständnis in den biblischen Aussagen vom Ziel her erkennen lernen.

Gottes «Vorsatz der Äonen»

In dem Brief an die Epheser schreibt Paulus im dritten Kapitel, dass Gottes Weisheit «entsprechend dem Vorsatz der Äonen» abläuft «den Er in Christus Jesus, unserem Herrn, gefasst hat» (Eph 3,11). Hier geht es klar um einen Zeitrahmen. Es gibt keine Lehre der Äonen in der Bibel, aber eine Lehre über Gottes Weisheit, die in und durch Christus bekannt gemacht und vollführt wird. Es ist ein Plan, ein Vorsatz, der als «Vorsatz der Äonen» den zeitlichen Rahmen erhielt.

Dieser Plan oder Vorsatz, der sich über die Äonen erstreckt, läuft auch innerhalb der Äonen ab. Die Äonen bilden sozusagen den zeitlichen Rahmen für das, wie Gott in und an der Welt wirkt. Nicht jedoch stehen die Äonen zentral, sondern es geht immer um Gottes Handeln in Christus. Die Bibel ist christozentrisch. Nichts sollte davon ablenken.

Möchten wir Gottes Handeln in Christus verstehen, und möchten wir erkennen, wie Er mit dieser Welt vorankommt, dann müssen wir diese Zeitbegriffe ernst nehmen, die Er Selbst mit Seinem Handeln verknüpft. Es geht um einen «Vorsatz der Äonen» und dieser Vorsatz wurde «in Christus Jesus, unserem Herrn, gefasst».

Zwei Sichtweisen

Wer sich einmal mit den Begriffen olam und aion auseinandersetzt, merkt schnell, dass das eindimensionale Verständnis einer «endlosen Ewigkeit» nicht angebracht ist. Es braucht eine Differenzierung des Zeitverständnisses. Die Bibel selbst nötigt uns dazu.

Es gibt zwei Sichtweisen, die hier nebeneinander gestellt werden möchten. Die Sichtweisen betreffen die Interpretation bestimmter Ausdrücke. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil die Interpretationen von dem, was Ewigkeit sein soll, stark unterschiedlich sind. Ist die Ewigkeit endlose Zeit, oder gerade eine Zeitlosigkeit? Sind es Zeitalter und kann es mehr als einen geben? Sollten es mehrere sein, meint man damit, dass es eine unendliche Reihenfolge von Zeitaltern gibt?

Diese Fragen lassen sich alle aus der Bibel beantworten. Dort liest man, wie die Menschen dazumal über diese Begriffe nachgedacht haben und welche Bedeutung sie daran gaben. Wir können in der Bibel also einen Blick zurück in die Geschichte werfen und uns das damalige Verständnis vor Augen führen lassen. Sind die biblischen Aussagen für uns wichtiger als spätere Traditionen, können wir die Aussagen der Bibel mit denen der Tradition vergleichen. Dann können uns Unterschiede auffallen und wir können versuchen, die zu verstehen, um zu einem eigenen Verständnis zu gelangen.

Einzahl oder Mehrzahl?

Wird etwa in Epheser 3,11 von dem «Vorsatz der Äonen» gesprochen, was soll damit ausgedrückt werden? Hier steht eine Mehrzahlform. Kann es denn mehr als eine einzige Ewigkeit geben?

Es gibt unterschiedliche Interpretationen. Die eine Sicht sagt: «Es ist eine Mehrzahlform – was spricht dagegen, sie einfach als Mehrzahl zu verstehen?» Eine andere Sichtweise lehnt sich jedoch stark an den Begriff einer einzigen endlosen Ewigkeit und erklärt nun die Mehrzahlform als dichterische Freiheit, dem hebräischen Denken entsprechend, womit ein Eindruck, mehr als eine Anzahl beschrieben sein soll. Man will die grammatikalische Mehrzahlform auf eine Einzahlform reduzieren. Spricht man in der Bibel von «Ewigkeiten» oder «Äonen» ist die Mehrzahlform als eine dichterische Beschreibung der Unendlichkeit zu verstehen, als würden endlose Reihen mit Äonen auf eine Endlosigkeit hinweisen.

Für beide Ansätze kann man Verständnis aufbringen. Die eine Sicht will schlicht glauben, was geschrieben steht. Man geht vom Text aus, und will diesen Text wortwörtlich verstehen. Wenn von verschiedenen Äonen die Rede ist, so soll man die vorerst einmal so gelten lassen. «Dort steht eine Mehrzahlform, also gehe ich von mehreren Äonen aus.» Die andere Sicht erkennt, dass Wörter keine mathematischen Zahlenreihen gleichen. Wörter sind da, um eine Geschichte zu erzählen. Dann erkennt man: Der Wunsch zu einer exakten Definition von den Äonen und deren Zusammenstellung, dürfte hier und dort am Ziel der Texte vorbeischiessen. Beide Betrachtungsweisen können aber etwas zum Verständnis beitragen.

Nicht jedoch sollte dieses Verständnis dazu verführen, dass ein einziges Wort (gr. aion / hb. olam) in sich widersprüchliche Bedeutungen erhalten sollte. Zeitalter und Ewigkeit sind nicht verwechselbar im üblichen Verständnis. Die Bibel nun spricht mit keinem speziellen Wort von einer endlosen Ewigkeit, und die verwendeten Wörter zeigen ausnahmslos auf Zeitalter hin, wie das bereits in vergangenen Artikeln ansatzweise erörtert wurde.

Die Verwendung der Begriffe in der Schrift

Es gibt viele bemerkenswerte Aussagen über die Äonen:

  • Gott hat die Äonen durch den Sohn gemacht
    «Sohn, den Er zum Losteilinhaber von allem gesetzt und durch den Er auch die Äonen gemacht hat» (Heb 1,2).
    «Durch Glauben begreifen wir, dass die Äonen durch einen Ausspruch Gottes zubereitet wurden» (Heb 11,3).
  • Es gibt die äonische Zeiten
    «das Geheimnis … das in äonischen Zeiten verschwiegen war» (Röm 16,25)
  • Es gab Zeiten vor den Äonen
    «Gottes Weisheit …, die Gott vor den Äonen zu unserer Herrlichkeit vorherbestimmt hat» (1Kor 2,7).
    «Gott, der uns gerettet und berufen hat, mit heiliger Berufung, nicht nach unseren Werken, sondern nach Seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor äonischen Zeiten gegeben ist …» (2Tim 1,9).
    «… in Erwartung äonischen Lebens, das der untrügliche Gott vor äonischen Zeiten verhiess» (Tit 1,2).
  • Jesus stellt diesen Äon in Kontrast zum zukünftigen Äon
    «Wer aber gegen den heiligen Geist redet, dem wird es nicht erlassen, weder in diesem Äon noch in dem zukünftigen» (Mt 12,32).
  • Der aktuelle Äon wird einmal abgeschlossen
    «Welches ist das Zeichen Deiner Anwesenheit und des Abschlusses des Äons?» (Mt 24,3)
  • Es wird von den Abschlüssen aller Äonen gesamthaft gesprochen
    «uns … zu denen die Abschlüsse der Äonen gelangt sind» (1Kor 10,11).
    «Nun aber hat Er [Christus] Sich einmal (zur Ablehnung der Sünde für den abschliessenden Zeitraum der Äonen) durch Sein Opfer offenbart» (Heb 9,26).
  • Es gab Äonen (Mehrzahl) vor uns
    «Gibt es ein Ding, von dem einer sagt: “Siehe, das ist neu”? Längst ist es gewesen für die Zeitalter (hb. olam), die vor uns gewesen sind.» (Pred 1,10)
  • Es gibt den aktuellen / diesen / gegenwärtigen Äon
    «der Herr Jesus Christus, der Sich Selbst für unsere Sünden hingegeben hat, damit Er uns aus dem gegenwärtigen bösen Äon herausnehme, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters» (Gal 1,4. Siehe auch Mt 12,32 u.v.m).
  • Es gibt den künftigen Äon (Einzahl)
    «die … die Kräfte des zukünftigen Äons schmeckten» (Heb 6,5. Siehe auch Mk 10,30 u.a.).
  • Es gibt die kommenden Äonen (Mehrzahl)
    «Er erweckt uns zusammen …, um in den kommenden Äonen den alles übersteigenden Reichtum Seiner Gnade in Güte gegen uns in Christus Jesus zur Schau zu stellen» (Eph 2,6-7).

Wer nun meint, es handelt sich hier um vage Andeutungen einer endlosen Ewigkeit, sollte sich die Aussagen von Jesus in Erinnerung rufen, worin Er einen ganz deutlichen Unterschied zwischen dem heutigen Äon und dem zukünftigen macht: «Wer aber gegen den heiligen Geist redet, dem wird es nicht erlassen, weder in diesem Äon noch in dem zukünftigen» (Mt 12,32). Es ist ein klarer Unterschied und kennzeichnet Äonen als unterschiedliche Zeitabschnitte mit einer bestimmten Prägung.

Wie viele weitere Details nun zutage gefordert werden können, ist Aufgabe weiteres Studiums. Die vorgenannten Bibelstellen sind aufrüttelnd, weil sie eine althergebrachte Idee einer «Endlosigkeit» definitiv vom Sockel reissen. Erstaunlich ist, dass so manche Idee über die Bibel in der Bibel selbst nicht aufzuspüren ist.

Zeitalter statt Endlosigkeit

In der Bibel spricht Jesus etwa über das kommende Zeitalter, das das aktuelle Zeitalter ablösen wird. Es werden mehrere Zeitalter genannt, die nacheinander stattfinden. Daraus lässt sich bereits einiges erkennen:

  • Die «Ewigkeit» ist keine Endstation, sondern jeder Äon ist ein Abschnitt aus dem «Vorsatz der Äonen, den Er in Christus Jesus, unserem Herrn gefasst hat» (Eph 3,11).
  • Alle Äonen sind bloss Zeitabschnitte auf dem Weg zu einem grösseren Ziel.
  • Wir sind irgendwo unterwegs auf dieser Welt, und sind damit Teil von Gottes Handeln.
  • Nicht die Ewigkeiten – die Äonen – sind das Wichtigste, sondern das, was durch diese Zeiten hindurch erreicht wird.

In diesem Sinne wurden die Äonen auch schon beschrieben als verschiedene Akten im gleichen Theaterstück, oder als die Bühne, worauf sich die Geschichte abspielt. Darin entwickelt sich nun Abschnitt um Abschnitt, bis hin zum fulminanten Ende. Die Äonen sind die grössten Zeitabschnitte in Gottes Handeln. Sie bilden sozusagen den Rahmen der Heilsgeschichte, innerhalb dessen sich die uns bekannte Welt – und darin Gottes Handeln – entfaltet.

Wie ist das mit der Theodizee?

Kurz sprachen wir über die Frage der Theodizee. Sie kann vielleicht so beantwortet werden, dass zwar heute nicht alles gelöst ist, aber die Bibelschreiber einen Gott kannten, der über alle Zeitalter thront und bereits heute das Ende fest im Auge hat. Er wirkt auf Sein Ziel zu, das in meinem eigenen Leben kaum erfasst werden kann. Der Ausblick des Evangeliums ist jedoch, dass wir im Geist bereits heute an dem Ziel teilhaben und Er einst alle zu sich zurückführt und «alles in allen» sein wird (1Kor 15,28). Spätestens dann ist die Frage der Theodizee für jeden gelöst und ist die Welt erlöst zu Gott zurückgeführt.