Was ich mir unter Christen oft wünsche, aber nicht immer fand, ist ein offenes Gespräch. Ein ehrliches Gespräch, zu ehrlichen Fragen. Ein Gespräch worin man sich begegnen kann. Begegnung aber ist mehr als falsch oder richtig. Gespräch heisst nicht «Du stellst die Fragen» und «Ich gebe die Antworten». Ein offenes Gespräch ist eben dies: Offen. Dadurch kann es nicht eingrenzend oder ausgrenzend sein. Das trifft dann auch zu für die Besprechung theologischer Themen.

Ein offenes Gespräch ist ein Gespräch über Dinge von Bedeutung, die geteilt werden, und so im Gespräch einen Platz erhalten. Ein offenes Gespräch will offen halten, Entwicklung ermöglichen, Anregung geben. Dadurch ist ein offenes Gespräch grundsätzlich Lebens-bejahend und so auch Glaubens-bejahend.

Ein gutes Gespräch zu führen heisst immer, in eine Beziehung einzutreten, wenn auch nur für die Dauer eines Gespräches. Es geht um wahre Begegnung, worin die Wirklichkeit erst sichtbar und spürbar wird. Die Wirklichkeit des Anderen. Meine Wirklichkeit. Die Wirklichkeit des Evangeliums, das hineinspricht in diese Welt und in unser Leben. Nicht immer aber kommt all das auch auf den Tisch. Das muss auch nicht sein. Es gibt für alles eine Zeit.

Ein offenes und gutes Gespräch hat keine verborgene Agenda, keine heimliche Absicht zur Evangelisation, keine Überzeugungsabsicht, kein Versuch, jemand anzuwerben, jemand zu verunglimpfen, als irreführend hinzustellen oder anderweitig manipulativ zu bearbeiten.

Wenn wir wahr sind, werden wir schlicht alles zum Wachsen bringen, hinein in Ihn, der das Haupt ist, Christus (Eph 4,15). Es ist nicht etwas, das wir mit Gewalt oder Stärke herbeiführen können, nicht mit brachialer Theologie und nicht durch Bindung an irgendwelche «begnadete Prediger», «wahre Lehren» oder «befreiende Ansichten». Das ist alles nicht so wichtig. Wichtig ist nur das, wozu auch Fragen vorliegen. Gibt es keine Fragen, oder sind die noch zu weit weg, zu verborgen, dann lässt sich schlecht darüber reden.

Ein offenes Gespräch muss erwünscht sein.

Ein Gespräch kann nur stattfinden, wenn alle Beteiligten ein Gespräch möchten. Ein offenes Gespräch kann nur stattfinden, wenn alle Beteiligten auch Begegnung möchten. Begegnung ist das Schlüsselwort für dauerhaft gute Gespräche. Begegnung ist gegenseitiges Interesse, ist gegenseitige Anteilnahme, ist gegenseitige Einladung zur belebenden Offenheit – zu welcher Stufe auch immer.

Könnte man in christlichen Kreisen eine offene Gesprächskultur pflegen, worin auch widersprüchliche Dinge einen Platz erhalten, dann benötigt das sowohl ein Wille zur Begegnung und ein gegenseitiges Vertrauen, als auch das Vertrauen auf Gott. Das Vertrauen nämlich darin, dass Er alles wohl machen wird. Gleichschaltung ist nie ein Ziel. Angst vor anderen Meinungen muss nicht sein. Vertrauen wir darauf, dass Gott über unsere unterschiedlichen Ansichten steht. Er kann es gut machen, für jeden von uns. So, wie es Paulus an die Philipper schreibt:

«Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, es ergriffen zu haben. Eins aber tue ich: ich vergesse, was hinter mir liegt und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. So jage ich dem Ziele zu, nach dem Kampfpreis der Berufung Gottes droben in Christus Jesus. Alle von uns, die gereift sind, mögen darauf bedacht sein; und wenn ihr in etwas anders gesinnt seid, so wird euch Gott auch dieses enthüllen. Indessen, worin wir andere überholen, sollte man gleichgesinnt sein, um nach derselben Richtschnur die Grundregeln zu befolgen. Werdet meine Mitnachahmer, Brüder, und achtet auf die, die so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt»
Phil 3,13-17

Ein offenes Gespräch ist, wie es der Apostel an die Kolosser schreibt, immer von Gnade geprägt und mit guten Ansätzen gesalzen:

«Euer Wort sei allezeit in Gnade und mit Salz gewürzt, wissend, wie ihr einem jeden antworten sollt»
Kol 4,6

In Gemeinden, Kirchen und Gemeinschaften verfestigen sich schnell bestimmte Verhaltensweisen. Wir benutzen bestimmte «fromme» Wörter oder Ausdrücke. Vielleicht reden wir sogar in Bibeltexten. Möglicherweise sind wir stolz und froh, hebräische Ausdrücke ganz locker anwenden zu können oder bestimmte Handlungen zu vollziehen. Eventuell kennen wir die eigene Tradition in-und-auswendig. Alle diese Dinge mögen für uns persönlich einen Wert haben, aber sie können ebenso schnell einer wirklichen Begegnung im Wege stehen. Begegnung ist nicht dadurch erst wertvoll, dass der Andere denkt, wie ich denke. Sobald wir das machen, degradieren wir den Nächsten und damit uns selbst.

Unser Menschsein und unser Christsein, unser Vertrauen auf Gott, unser Sein in dieser Welt – es bekommt Wert, wenn wir es kongruent gestalten, wenn wir darin Begegnungen pflegen. Ein offenes Gespräch mit Menschen um uns herum wird dann zu einer belebenden Erfahrung, wenn wir uns aufeinander einlassen. Soweit es mich betrifft, will ich Christus zentral stellen, Gott dankend durch Ihn. Das muss ich niemand sagen, mit dem ich in Gespräch bin. Es ändert aber alles. Weil ich weiss, dass unser Gott und Vater auf Beziehung, Rettung, Rechtfertigung, Versöhnung, und vieles mehr hinarbeitet, kann jedes Gespräch nun von dieser Wirklichkeit geprägt sein. Nicht in frommen Worten, sondern getragen von wirklicher Zuversicht.

Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht (Gal 5,1). Treten wir in diese Freiheit ein. Gestehen wir anderen diese Freiheit ein. Es werden neue Türen aufgestossen.