«Und der HERR sprach zu Satan: Hast du acht gehabt auf meinem Knecht
Hiob? Denn es gibt keinen wie ihn auf Erden, – ein Mann so rechtschaffen und redlich, der Gott fürchtet und das Böse meidet! Und noch hält er fest an seiner Rechtschaffenheit. Und dabei hattest du mich gegen ihn aufgereizt, ihn ohne Grund zu verschlingen»

Hi 2,3

Willkür oder Weisheit?

Wir hören nicht gerne, dass Gott «ohne Grund» jemand «verschlingt». Das löst Unbehagen aus. Eine solche Aussage kann uns unter die Haut gehen, wenn wir uns nicht sicher sind, ob Gott wirklich wirkt, ob Er wirklich da ist, und wenn Er da wäre, ob Er auch tatsächlich zu mir steht. Viele Leute haben ein gespaltenes Verhältnis zu Gott. Sollte er nun etwas «ohne Grund» machen, dann ist die verständliche Reaktion darauf, erst einmal schreiend davonzulaufen.

Denn klingt in diesem «ohne Grund» nicht auch etwas von «Willkür» durch? Kann ich mir denn sicher sein, dass Er sich mir annimmt? Oder kann er Seine Haltung auch schon mal ändern, mir gegenüber? Ohne Grund – das verstehen wir schnell einmal als ungerecht.

Genau um diese Fragen geht es im Buch Hiob. Es geht um das Leiden in dieser Welt, das eben gar nicht gerecht ist. Und zutiefst natürlich auch um ein Leiden, das überhaupt da ist, das uns allen in irgendeiner Weise betrifft. Wir wollen kein Leiden. Die meisten Menschen sehnen sich nach Leben und Harmonie. Leiden verunsichert uns. Leiden bringt Fragen hervor, auch Fragen an Gott.

Man vermutet, dass das Buch Hiob das erste Bibelbuch ist, das verfasst wurde. Andere dagegen platzieren das Buch viel später in der Geschichte. Der Text jedoch scheint in der damaligen Welt fest eingebunden zu sein, sowohl von den Orten her als auch vom Verständnis des Leidens her. Das Buch Hiob setzt sich mit zentralen Fragen des Menschseins auseinander, insbesondere mit Fragen zum Leiden. Diese Fragen sind zeitlos.

Wie wir die Welt sehen

Wohl niemand stand so nahe zu Hiob wie seine Frau. Sie teilt jedoch nicht die Gottesfurcht, die ihn selbst auszeichnet. In Hiobs dunkler Stunde sieht sie ihren Mann am Ende seiner Gottesfurcht und erklärt seinen Glauben an Gott für nichtig:

«Hältst du noch fest an deiner Vollkommenheit? Fluche Gott und stirb!»
Hi 2,9

Darauf antwortet Hiob:

«Wie eine der Törinnen redet, so redest auch du»
Hi 2,10

Mit dieser Torheit deutet Hiob die Gottlosigkeit seiner Frau an. Vergleiche dazu Psalm 10,4, Psalm 14,1, Psalm 53,2. Aus diesen anderen Texten sehen wir leicht, dass dies auch zu anderen Zeiten ein Thema war. Die Haltung von Hiobs Frau ist also kein Einzelfall.

Es gibt verschiedene Arten, wie wir mit dieser Welt und mit unserem Leben umgehen können. Die Leute, die uns lieb und nahe sind, teilen jedoch nicht immer die Erkenntnis, die wir selbst haben. Gott kann weit weg erscheinen, sogar für sehr gottesfürchtige Menschen. Gott können wir eben nicht «fühlen», «sehen», «anrufen» oder «whatsappen». Wir können Ihn in dunkler Stunde nicht direkt wie ein Mensch sehen oder treffen. Offen gesagt habe ich Gott noch nie getroffen, wie ich meinen Nachbar treffen kann. Vieles am Glauben ist in bestem Sinne des Wortes «unfassbar». Deshalb wohl spricht Paulus auch von einem «Geheimnis des Glaubens» (1Tim 3,9).

Hiob steht also an einem anderen Ort des Glaubens als seine Frau. Darin ist eine Tragik erhalten, aber auch eine Realität dieser Welt. Hiob blieb bei sich und bei seinem Erkennen und sah über die aktuelle Situation hinaus.

Glauben ist Vertrauen. Auch wenn ich Gott nicht sehe, rechne ich mit Seinem Wirken und Sein. Hiob hatte keine Bibel. Sein Glauben war dennoch tief und aufrichtig. Er vertraute Gott. Am Schluss vom Buch macht Hiob ein Eingeständnis, dass er zuvor Gott eigentlich nur «vom Hörensagen» her kannte (Hiob 42,5). Dennoch hat er geglaubt, nach bestem Wissen und Gewissen. Keine Perfektion bringt uns dahin. Keine Perfektion benötigen wir dafür. Gottvertrauen ist keine Leistung, sondern die Ausrichtung des Herzens.

Hiob sah sich nicht genötigt, Gott zu verfluchen. Vielleicht kann man es auch so sehen, dass Hiob sich nicht als Opfer von Gott sah. Er stand nicht in einem Drama-Dreieck, wo er Gott als Verfolger und sich selbst als Opfer meinte zu sehen. Auch wenn Fragen kommen, so schiebt er Gott keine Schuld zu.

«Er aber sagte zu ihr: Wie eine der Törinnen redet, so redest auch du. Das Gute nehmen wir von Gott an, da sollten wir das Böse nicht auch annehmen?»
Hiob 2,10

Gott ist Gott. Ich bin ich. Gott kann machen, was Er will, nicht weil er willkürlich wäre, sondern weil Er Gott ist und über allem steht. Gott ist einer anderen Ordnung. Das ist, was Hiob hier sagt: Das Gute und das Böse können wir aus Seinem Hand nehmen. Das ist nicht, weil Gott böse mit Dir oder mir wäre, sondern diese Welt ist oft unfassbar – Gott jedoch steht darüber.

Was Hiob und seine Frau unterscheidet, ist die Möglichkeit, das Leben auch anders zu sehen. Hiob, obwohl er leidet, hat den Mut, Gott einfach Gott sein zu lassen, während seine Frau im Hier und Jetzt und im Sichtbaren denkt. Glaube sieht darüber hinaus.

Hier können wir auch an den Worten von Paulus denken, der – nun in Bezug auf die Gemeinde – schreibt:

«Auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben, auch wir selbst ächzen in uns, den Sohnesstand erwartend, die Freilösung unseres Körpers. Denn auf diese Erwartung hin wurden wir gerettet. Erwartung aber, die erblickt wird, ist keine Erwartung; denn das, was jemand erblickt – erwartet er das etwa noch? Wenn wir aber erwarten, was wir nicht erblicken, so warten wir mit Ausharren darauf. In derselben Weise aber hilft auch der Geist unserer Schwachheit auf …»
Röm 8,23-26

Hiob hat ebenfalls nichts gesehen. Seine Erfahrung war erschütternd. Dennoch sah er nicht nur sich selbst, sondern er sah eine grössere Realität. Glaube hat nichts mit Verneinung einer aktuellen Not zu tun, sondern damit, ob man sich selbst auch auf andere Art sehen kann. Diese Möglichkeit schenkt uns der Weitblick der Schrift. Am Beispiel von Hiob erhalten wir nicht nur einen Blick auf Gottes Wirken, sondern auch auf die eigene innere Lebenshaltung, die wir pflegen können. Glauben schenkt Weitblick, weil es auf Vertrauen auf Gott gründet, und dies ganz unabhängig davon, was gerade passiert.

Grundlos

Aber wie ist das «ohne Grund» zu verstehen? Wir machen uns selbst Gedanken, aber sind das die Gedanken der Menschen aus der Zeit von Hiob? Hier geht es darum, einmal stillzustehen, damit ich verstehen kann. Das Buch Hiob entstand nicht aus meiner Situation, sondern aus seiner Situation. Will ich verstehen, worum es sich bei diesem «ohne Grund» handelt, reichen meine eigenen Gedanken nicht. Ich muss Hiob selbst zu Wort kommen lassen. Und wir müssen Gott selbst zu Wort kommen lassen. Es geht darum hinzuhören ohne voreilige Schlüsse zu ziehen.

Jakobus hat das Buch Hiob zusammengefasst und schrieb: «Vom Ausharren Hiobs habt ihr gehört und den Abschluss des Herrn gewahrt, da der Herr voll innerstem Erbarmen und mitleidig ist» (Jak 5,11). Der Abschluss des Herrn, also wie Gott am Schluss mit Hiob umging, ist entscheidend. Der Abschluss ist voll innerstem Erbarmen. Hiobs Schicksal wurde gewendet (Hi 42). Das «ohne Grund» aus dem Anfang wird durch den Abschluss mehr als wettgemacht (vgl. Röm 8,18).

Satan hat in seiner Anklage gemeint, dass Hiobs Reichtum und Gesundheit der «Grund» für sein frommes Leben war. In den weiteren Kapiteln kommen die Freunde von Hiob zu Wort. Sie meinen, dass Hiob selbst «Grund» gegeben hat, dass Gott das Leiden über ihn gebracht hat. All das trifft aber nicht zu. Es gibt keine Gründe für das, was hier geschah. Hiob hat nichts falsch gemacht. Es war wirklich «ohne Grund», sagt Gott selbst.

«Ohne Grund» ist also nicht eine Willkür Gottes. Hiob hat keinen Anlass zu irgendwelchen Beurteilungen oder Verurteilungen gegeben. Hiob hat gar nichts damit zu tun. Es war neutral betrachtet ohne Grund. Gott spricht Hiob mit diesen Worten frei. Er distanziert sich nicht von ihm, sondern steht im Gegenteil zu ihm! Hiobs Leiden waren nicht durch ihn selbst verschuldet. Sie waren nicht hausgemacht. Allerdings steht zu dieser Zeit Hiob noch voll in seiner Not, und weiss vermutlich nicht, wie es weitergeht.

Die wesentlichen Fragen

Das Buch Hiob ermutigt uns dazu, die wesentlichen Fragen zu stellen. Das Buch quillt nur so über vor Fragen. Es ist das Buch der Fragen schlechthin. Fragen zu stellen, ist wichtig. Wir können nicht alles wissen und müssen nicht alles wissen. Wer aber Fragen stellt, hat eine bessere Chance, Antworten zu bekommen. Fragen zu stellen, ist auch eine Art, mit dem Leiden der Welt umzugehen.

Eine Erkenntnis kann sein, dass Gott wirklich Gott ist. Er muss weder denken noch handeln wie wir. Er ist nicht unbeteiligt am Leiden dieser Welt und erkennt Hiob sehr wohl. Hiobs Situation jedoch wird dadurch nicht schlagartig ausgebessert. Gott bietet keine Pflaster für die Wunde, keine Symptombekämpfung auf Abruf. Manchmal ist das Leiden wirklich das: Leiden. Damit stehen wir in der Realität.

Wir stehen aber auch in einer Geschichte. Warten wir ab, wie es weitergeht: Die Geschichte von Hiob, unsere Geschichte, die Geschichte Gottes mit dieser Welt. Manches ist grösser als wir anfänglich denken.

Austausch

  • Verstehst Du Gott?
  • Verstehst Du Dich selbst?
  • Was hättest Du gerne geklärt?
  • Kennst Du Leid aus eigener Erfahrung?
  • Handelt Gott ohne Grund? Wie weisst Du das?