Jesus spricht in Johannes 14 über das «Vaterhaus» oder «Haus meines Vaters». Oft wird dies als Bild des Himmels verstanden. Ob das so zutrifft, möchte in diesem Artikel geprüft werden.

Das Haus meines Vaters

Es geht um eine berühmte Aussage von Jesus. Der Text liest sich wie folgt:

«In dem Haus Meines Vaters sind viele Bleibestätten; sonst hätte ich euch gesagt, dass Ich gehe, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn Ich gegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, komme Ich wieder und werde euch zu Mir nehmen, damit auch ihr seid, wo Ich bin. Und ihr wisst, wohin Ich gehe, und den Weg wisst ihr auch»
Joh 14,2-4 KNT

Die Postadresse

Die Vorstellung, welche häufig an diesem Abschnitt verknüpft wird, ist folgende: Gott wohnt im Himmel. Er ist der Vater. Also ist der Himmel das Vaterhaus. Das klingt logisch, nicht wahr? Es ist fast so etwas wie eine Postadresse. So kann man auch bei manchen Autoren die verkürzte Formel lesen: «Der Himmel, das Vaterhaus».

Zurück aber zum Text. Im Text selbst erscheint das Wort «Himmel» nirgendwo. Dass man hier nun «Himmel» liest, folgert man aus dem Hinweis von Jesus «Und wenn ich gegangen bin …». Das soll so gemeint sein, dass Er in den Himmel gegangen ist. Auch wenn das so sein kann, spricht der Text keinesfalls darüber, dass das Haus des Vaters im Himmel ist. Jesus sagt, Er gehe hin, um einen Platz vorzubereiten.

Allzu leicht wird hier  gefolgert, dass Er etwa die Zimmer inspizieren würde, also im Haus vor Ort ist und klärt, ob alles vorbereitet ist. Das wäre dann so etwas wie ein «Zimmer Service» im Voraus. Ob das aber die Aussage vom Text ist? Projektionen auf den Bibeltext laufen so ab.

Es könnte dabei mit einem anderen Vergleich betrachtet werden: Er klärt, was es braucht, damit dieses Vaterhaus (Ort: Nicht definiert) einst bezogen werden kann. Könnte Jesus hier auch auf Sein Sterben hindeuten? Eine gesunde Bibelbetrachtung will mögliche Sichtweisen evaluieren, um nicht zu folgern, was gar nicht geschrieben ist. Jesus sagt aber nur «Und wenn ich gegangen bin …». Das kann aber muss nicht zwingend auf den Himmel bezogen werden, sondern es kann auch von Seinem Opfertod sprechen. So wie wir sagen, dass jemand «gegangen» ist, wenn er tatsächlich «gestorben» ist. Die Frage ist also, ob es Argumente für oder gegen eine bestimmte Sichtweise gibt. Diese kann man dann evaluieren.

Machen wir einen Vergleich, um diese Bibelstelle aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Wenn ich für meine Familie ein Ferienhaus buchen will, bin ich in der Regel nicht beim Ferienhaus vor Ort. Stattdessen richte ich mich an den Vermieter und regle mit ihm die Details zur Miete, damit ich später mit der Familie im Ferienhaus einziehen kann. Das Haus ist also an einem anderen Ort als der Vermieter selbst. So zumindest kann es sich zutragen. (Nein, ich meine hier nicht zu sagen, dass Jesus uns eine Ferienwohnung bucht.)

Dass sich dies so verhält, lässt sich im Text leicht erkennen. Denn Jesus geht hin, um etwas vorzubereiten, und sagt dann: «… Komme Ich wieder und werde euch zu Mir nehmen, damit auch ihr seid, wo Ich bin». Jesus kommt zuerst zurück. Danach werden die Jünger (um sie geht es hier!) zu sich genommen.

Daraus lässt sich leicht erkennen, dass Jesus nicht darüber spricht, dass wir nach dem Sterben in den Himmel gehen und dann bei Ihm sind. Das ist kein Thema in diesem Abschnitt (und auch sonst nirgendwo in der Schrift). Was immer die Jünger hier hören, es wird erst eintreffen, wenn Jesus wiederkommt – und nicht vorher.

Mit dem Bild eines «Ferienhauses» vor Augen, welches ich für meine Familie gemietet habe, bedeutet dies keineswegs, dass ich nun mit der Familie den Vermieter besuche. Vielmehr ist es klar, dass wir dann das Ferienhaus beziehen werden. Das eine ist mit dem anderen nicht zu verwechseln.

Warum geht es hier nicht?

Es ist hilfreich für das Verständnis eines Bibeltextes sowohl festzuhalten, was tatsächlich geschrieben ist, als auch, was nicht geschrieben ist. Hier ein paar Dinge, die nicht geschrieben sind:

  1. Der Glaubende, der stirbt, geht nach dem Sterben in den Himmel
  2. Im Tod ist Bewusstsein. Der Tod also ist nicht Tod, sondern einfach eine andere Form des Lebens.
  3. Das «Haus meines Vaters» sei der Himmel
  4. Jesus spricht hier über das Sterben der Gläubigen
  5. Die Jünger haben eine Zukunftserwartung im Himmel

All dies trifft nicht zu. Resultat:

  • Der Glaubende, der stirbt, geht nach dem Sterben in den Himmel
  • Im Tod ist Bewusstsein. Der Tod also ist nicht Tod, sondern einfach eine andere Form des Lebens.
  • Das «Haus meines Vaters» sei der Himmel
  • Jesus spricht hier über das Sterben der Gläubigen
  • Die Jünger haben eine Zukunftserwartung im Himmel

Es ist eine recht ernüchternde Bestandsaufnahme, wenn man bis jetzt immer überzeugt war, diese Stelle rede vom Himmel und von dem, was nach dem Sterben kommt. Die einzig relevante Frage ist jedoch: Warum geht es hier wirklich?

Warum geht es tatsächlich?

Lesen wir noch einmal den Bibeltext und schälen aus diesem Text heraus, was wirklich genannt ist:

«In dem Haus Meines Vaters sind viele Bleibestätten; sonst hätte ich euch gesagt, dass Ich gehe, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn Ich gegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, komme Ich wieder und werde euch zu Mir nehmen, damit auch ihr seid, wo Ich bin. Und ihr wisst, wohin Ich gehe, und den Weg wisst ihr auch.»
Joh 14,2-4

Dies ist, was wir im Text erwähnt sehen:

  • Das Haus meines Vaters
  • Viele Bleibestätten
  • Jesus geht hin, eine Stätte für «euch» zu bereiten
  • Jesus kommt wieder
  • Jesus wird dann die «euch» wieder zu sich nehmen
  • damit sie dort sind, wo dann auch Er ist.

Wenn man den Text so aus dem Kontext herauslöst, werden alle diese Dinge nicht erklärt. Es ist nicht klar, was mit dem Haus meines Vaters gemeint ist, noch, was die Bleibestätten sind. Dass sie nicht erklärt werden, heisst aber ganz positiv, dass seine Jünger diese Rede ohne weitere Erklärung verstanden haben. Es muss also etwas sein, was ihrer Erlebniswelt und ihrem Erkenntnisstand entspricht.

Bedenken wir dabei, dass Jesus als Jude zu Juden über die jüdische Erwartung sprach. Es wurden keine neuen Konzepte introduziert. Als Jesus zu predigen begann, hiess es, «das Königreich der Himmel hat sich genaht». Was einst weit weg war, war im König nahegekommen. Es war nicht Neues, sondern es war etwas Altes, dass sich nun aber erfüllen sollte. Jesus sprach von bekannten Dingen. Deshalb musste es nicht näher erklärt werden. Die Bedeutung muss etwas mit der Erwartung für Israel zu tun haben.

Ferner sollte man klären, wer hier im Blickfeld ist. Gilt diese Aussage einfach allgemein für alle Christen, für alle Juden oder nur auf die dort anwesende kleine Schar von Menschen? Findet man im Text Anhaltspunkte dazu?

Der Kontext spricht von einem Abendessen von Jesus mit Seinen Jüngern (Joh 13,2), welches noch vor dem Passahfest stattfindet (Joh 13,1). Er trifft sich nur mit seinen zwölf Jüngern. In den Gesprächen an diesem Abend kommt es auch zur Aussage über das «Haus meines Vaters». Am Ende von Kapitel 14 ist dieses Gespräch zu Ende (Joh 14,31). Dies ist der unmittelbare Kontext.

Das Haus meines Vaters ist der Tempel

Möchten wir jedoch verstehen, was Jesus mit dem «Haus meines Vaters» genau meint, müssen wir den Kreis etwas grösser ziehen. Er erwähnt das «Haus meines Vaters» an anderer Stelle:

Dann zog Jesus hinauf nach Jerusalem. Er fand dort in der Weihestätte die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler sitzen. Da machte Er aus Stricken eine Peitsche und trieb sie alle aus der Weihestätte hinaus samt den Schafen und den Rindern, schütte das Wechselgeld der Makler aus und stiess die Tische um. Zu denen, die Tauben verkauften sagte Er: «Nehmt diese von hier fort! Macht nicht das Haus Meines Vaters zu einem Kaufhaus» Da erinnerten sich Seine Jünger, dass geschrieben ist: Der Eifer um Dein Haus wird mich verzehren.
Joh 2,13-17

Hier wird deutlich, dass das «Haus meines Vaters» die Weihestätte, nämlich der Tempel in Jerusalem ist. Es ist deshalb naheliegend, dass Jesus auch in Johannes 14 einfach den Tempel meint. Im Tempel nämlich sind viele Bleibestätten, wie die für die Priester. Die Bezeichnung als Vaterhaus erscheint naheliegend. Die innige Verbindung von Jesus mit Seinem Vater – wie sollte die nicht gerade im Tempel von Jesus erlebt werden? (Luk 2,46-50).

Das Wort für «Bleibestätte»auf Griechisch ist monê, verwandt mit meno (bleiben). Im einfachsten Sinne ist es ein simpler Ort, an dem man «verbleiben» kann. Mit einer Wohnung, wie wir das heute kennen, inklusive Dusche, Küche, Wohnzimmer und so weiter, hat das vermutlich nicht viel gemeinsam. Vielmehr waren es schlichte Unterkünfte, Kammern, Räume, die für verschiedene Zwecke genutzt werden konnten – auch als Unterkunft.

Als einst David seinen Sohn den Auftrag für den Bau des Tempels gab, lesen wir folgende Beschreibung:

«Und David gab seinem Sohn Salomo den Plan der Vorhalle des Tempels und seiner Gebäude und seiner Schatzkammern und seiner Obergemächer und seiner Innenräume und des Raumes der Deckplatte; und den Plan von allem, was durch den Geist in ihm war: für die Höfe des Hauses des HERRN und alle Zellen ringsum; für die Schatzkammern des Hauses Gottes und die Schatzkammern der heiligen Gaben; und für die Abteilungen der Priester und Leviten und für alle Dienstarbeiten im Haus des HERRN; und für alle Geräte des Dienstes im Haus des HERRN.»
1Chr 28,11-13

Der künftige Tempel nach Hesekiel

Es gab im Tempel verschiedenste Räume, Schatzkammern, Versammlungsräume für Priester und Leviten und für alle im Haus des Herrn dienen. Dazu auch «Zellen» oder «Kammern». Bedeutsam ist, dass einerseits der Verweis zum Tempel da ist, andererseits Jesus von Seinem Hingehen und Wiederkommen spricht und dazu den Hinweis auf den Tempel macht. Das ist ein Ausblick, welcher an den Aussagen von Hesekiel in Bezug auf den Tempel erinnert, der während des messianischen Reiches in Jerusalem stehen wird.

Ab Kapitel 40 spricht Hesekiel ausführlich von dem neuen Tempel, von den Kammern und Räumen, die dort sein werden (speziell Hesekiel 41 spricht vom Inwendigen des künftigen Tempels). Auch Jeremia spricht von diesen Räumen, wenn es heisst: «…rede mit ihnen und bring sie in das Haus des HERRN in eine der Zellen» (Jer 35,2).

Künftige Aufgaben der 12 Apostel

Jesus hat bereits bei anderer Gelegenheit mit Seinen Jüngern über diese künftige messianische Zeit gesprochen. Es ist das kommende Zeitalter, der kommende Äon, in dem das Königreich mit himmlischem Ursprung auf der Erde aufgerichtet werden wird (Dan 2,44). Für diese Zeit war der Ausblick von Jesus und darauf hat Er Seine Jünger auch hingewiesen:

«Dann sagte Petrus: Siehe, wir haben unser Eigentum verlassen und sind Dir gefolgt. Er aber entgegnete ihnen: «Wahrlich, Ich sage euch: Da ist niemand, der sein Haus, Frau oder Geschwister, Eltern oder Kinder wegen des Königreich Gottes verlassen hat, der es nicht auf jeden Fall in dieser Frist vielfältig wieder erhält – und im kommenden Äon äonisches Leben.»
Lk 18,28-30

Passend würde also Jesus bei seiner Wiederkunft und im Hinblick auf das messianische Reich genau diesen zukünftigen Tempel vor Augen gehabt haben. Dort nämlich wird Er sein und dort werden auch seine 12 Jünger einziehen. Hier sollte man auch an die Worte von Jesus erinnern, worin Er gerade für die 12 Jünger im messianischen Königreich spezielle Ämter vorsieht. In einer Parallelstelle zum letzten Zitat lesen wir mehr dazu:

«Da nahm Petrus das Wort und sagte zu Ihm: «Siehe, wir haben alles verlassen und sind Dir gefolgt: Was wird wohl unser Teil sein?» Da entgegnete Jesus ihnen: «Wahrlich, Ich sage euch: Die ihr Mir gefolgt seid, in der Wiederwerdung, wenn der Sohn des Menschen auf dem Thron Seiner Herrlichkeit sitzt, werdet auch ihr auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Und jeder, der Meines Namens willen wegen Häuser, Brüder oder Schwestern, Vater oder Mutter, Frau oder Kinder oder Felder verlassen hat, wird dies hundertfältig wiedererhalten, und äonisches Leben wird ihm zugelost werden.»
Mt 19,27-29

Das «Haus meines Vaters» hat im Kontext der Bibel eine erstaunlich klare Bedeutung.