Wie lesen und verstehen wir das Neue Testament? Sind wir uns bewusst, auf welche Art wir an die Bibel herangehen? Es mag selbstverständlich sein, die Bibel auf eine bestimmte Art zu lesen. Mir fällt auf, dass vieles «unbewusst» interpretiert wird. Es schwingen «stille Annahmen» mit. Man liest deshalb nicht unvoreingenommen, sondern mit einem bestimmten Bild vor Augen. In diesem Beitrag geht es um solche «stille Annahmen», die möglicherweise zu Fehlinterpretationen von biblischer Bildsprache führen. Exemplarisch lässt sich das anhand der Idee «Die Gemeinde ist die Braut Christi» aufzeigen.

Oft lese und höre ich, dass Leute von der Gemeinde als von der «Braut Christi» sprechen. Das ist bemerkenswert, weil es die Bibel nirgendwo so aussagt. Es gibt nicht einmal sehr viele Stellen, die von einer Braut sprechen und keine spricht von der Gemeinde als Braut. Die vielleicht ausführlichste Bibelstelle, worin das Wort «Braut» vorkommt, ist folgende:

«Da antwortete Johannes: Kein Mensch kann sich etwas nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben wird. Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich sagte: Nicht ich bin der Christus, sondern ich bin vor jenem her ausgesandt worden. Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; und der Freund des Bräutigams, der dabeisteht und ihn hört, freut sich mit Frohmut über die Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude ist nun erfüllt worden. Jener muss wachsen, ich aber geringer werden.»
Johannes 3,27-30

Hier finden wir also alles: Braut, Bräutigam, Freund des Bräutigams. Auch ist es klar, dass Jesus der Bräutigam ist. Von der Gemeinde ist jedoch mit keinem Wort die Rede. Wie kommen nun Menschen dazu, das Bild auf die heutige Gemeinde anzuwenden? Und: Ist die Gemeinde die Braut? Diese zwei Fragen dürfen uns hier etwas beschäftigen.

Braut, Bräutigam und Freund des Bräutigams

Johannes, der Täufer, spricht hier über Jesus. Für seine Jünger erklärt er das Verhältnis zwischen Jesus und ihm. Dabei hält er fest, dass er nicht der Messias (gr. Christus, der Gesalbte) sei, sondern nur die Funktion des Wegbereiters und Freundes hat. Das erklärt Johannes anschliessend mit einem Bild: «Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; und der Freund des Bräutigams, der dabeisteht und ihn hört, freut sich mit Frohmut über die Stimme des Bräutigams». Die Aussage ist nicht schwer zu verstehen. Jesus ist der Bräutigam und Johannes ist der Freund des Bräutigams, der daneben steht und sich freut. Das Bild beschreibt treffend das Verhältnis zwischen Jesus und Johannes. Der Ausgangspunkt für diese Bildsprache ist jedoch die Braut.

Wer hat nun die Braut? Auch hier ist die Antwort simpel: Jesus. Wer aber ist die Braut? Die Braut in dieser Rede von Johannes ist schlicht die Zuhörerschaft von Jesus. Konkret: Dies waren Zuhörer aus Israel, denen er das Königreich der Himmel, das messianische Reich, predigte (Mt 4,17). Im Gleichnis der 10 Jungfrauen vergleicht Jesus der Anbruch von diesem Königreich der Himmel mit 10 Jungfrauen, die dem Bräutigam entgegengehen. Die bevorstehende Hochzeit denkt man sich dann dazu (Mt 25,1-13).

Mancher Christ sieht das jedoch ganz anders. Die Verbindung zu Israel und die Verkündigung eines messianischen Reiches sind oft nicht mehr bekannt. Die Braut, so die Annahme, das ist die heutige Gemeinde. In diesem Kontext jedoch ist das gar nicht möglich, weil es die Gemeinde bisher nicht gab. Jesus sprach nicht zu einer Gemeinde aus allen Nationen und predigte auch nicht Gottes Gnade auf Basis von Kreuz und Auferstehung – all dies musste erst noch stattfinden.

Aber – gibt es denn keine andere Bibelstellen, die von der Gemeinde als Braut reden? Nein. Das Wort «Braut» (gr. numphê) gibt es nur in dieser Stelle und dann erst wieder im Buch Offenbarung (Offb 18,23, Offb 19,7, Offb 21,2, Offb 21,9, Offb 22,17), wo es u.A. um die Aufrichtung des messianischen Reiches geht, wie Jesus darüber sprach. In der Gemeindezeit dazwischen findet man jedoch keinen Hinweis. Nirgendwo wird der Begriff «Braut» mit der heutigen Gemeinde aus allen Nationen in Verbindung gebracht. Weder Jesus noch einer der Apostel verwendet das Wort später und wir finden es nicht in der Apostelgeschichte, noch in den Briefen zurück. Allerdings werden die Wörter «Bräutigam» (gr. numphios) und «Brautgemach» (gr. numphion) noch einige Male verwendet. Auffällig ist, dass alle diese Begriffe ausschliesslich in den Evangelien und im Buch Offenbarung genannt werden. Das ist der Kontext, um den es bei einer Interpretation geht.

Wie kommt man nun dazu, die Gemeinde als «Braut» zu bezeichnen? Man könnte diese Vorstellung einfach mit dem Hinweis abtun, dass die Bibel dies nirgendwo klipp und klar sagt. Will man das jedoch gut verstehen, muss man sich näher mit dem Text auseinandersetzen.

Von Deckeln und Töpfen

Bevor wir auf die Details eingehen, möchte ich zuerst noch einen Vergleich machen.

Wer in seiner Küche eine Auswahl unterschiedlicher Töpfe hat, kennt dies: Der Deckel, der perfekt auf einen Topf passt, ist zu gross, zu klein, zu anders, um auf einen anderen Topf zu passen. Jeder Topf hat den eigenen Deckel. Das Anliegen dieses Beitrags ist: Wir müssen lernen, den richtigen Deckel zum richtigen Topf zu nutzen. Auf die Bibel übertragen: Wir müssen jeden Text im eigenen Kontext deuten und jedes Wort dort verstehen. Tun wir das nicht, dann ist die Chance gross, dass wir die Bibel in diesem oder jenem Punkt missinterpretieren oder uns die ursprüngliche Bedeutung verschlossen bleibt.

Manche Begriffe werden in einem bestimmten Kontext genutzt, jedoch in keinem anderen Zusammenhang erwähnt. Diese Unterschiede sind nicht willkürlich, sondern haben Bedeutung. Solange wir nicht prüfen, fällt uns ein Unterschied vielleicht nicht auf. Ein Deckel, der zu gross ist, deckt die Pfanne zwar ab, aber ist trotzdem nicht passend. Finden wir eines Tages einen passenden Deckel, kann man sich fragen, weshalb man das nicht früher erkannt hat. Ähnlich ergeht es uns, wenn wir Zusammenhänge zwischen Deckel und Topf, zwischen Text und Kontext erkennen. Es ist ein Differenzierungsprozess, worin die Bedeutung aus dem Kontext heraus spricht und die Bedeutung jederzeit auch dem Kontext zurückgegeben werden kann.

Eine solche Differenzierung gilt auch für die Verwendung des Wortes «Braut». Es ist der perfekte Deckel für den eigenen Kontext, jedoch passt sie leider nicht auf den Topf der Gemeinde.

Gibt es eine «Brautgemeinde»?

Die Idee, dass die Gemeinde die «Braut», die «Braut Christi» oder ähnlich sei, ist besonders populär. Eine Suche im Internet nach «Braut Gemeinde» zeigt sofort eine sehr lange Liste mit Beiträgen, die davon ausgehen, dass die Gemeinde die Braut ist. Eine eigentliche Begründung dafür fehlt – es werden lediglich Texte zitiert, «die in etwa so tönen». Das reicht für eine Begründung jedoch nicht. Wer dort sucht, wird auch anderslautende Interpretationen finden. Was stimmt jetzt? Hier sei lediglich festzustellen, dass ein Wort «Brautgemeinde» oder einen Ausdruck wie «Die Gemeinde, das ist die Braut Christ» oder ähnlich in der Bibel nicht vorkommt. Wer von der Gemeinde als Braut redet, muss dies ohne direkte Unterstützung biblischer Aussagen tun.

Aber halt, sagt vielleicht jemand, es wird doch von Braut und Gemeinde in der Bibel gesprochen? Das stimmt. Es gibt diese Begriffe jedoch nicht in Kombination. Es wird nirgendwo eindeutig erklärt, dass die heutige Gemeinde aus allen Nationen die Braut ist.

Woher stammen also diese Annahmen?

Wie wir das Neue Testament lesen

Jetzt wird es interessant. Es geht um unser Verständnis vom Neuen Testament. Wie kommt man dazu, die heutige Gemeinde als «Braut» zu bezeichnen? Nun, ich denke, es gibt dafür zwei Gründe:

  1. Die Begriffe «Braut», «Hochzeit» usw. werden tatsächlich genutzt
  2. Man geht davon aus, dass das ganze Neue Testament von der heutigen Gemeinde spricht.

In Kombination entsteht Verwirrung, nicht weil die Begriffe etwa der Bibel fremd sind, sondern weil das voreingenommene Verständnis vom Neuen Testament die Bibel nicht zu Wort kommen lässt.

Konkret geht es darum, dass im Verständnis vieler Menschen das ganze Neue Testament von der heutigen Gemeinde spricht, obwohl das nachweislich nicht der Fall ist. Zwar spricht das ganze neue Testament von Jesus, aber das heisst noch lange nicht, dass alles nur von der Kirche oder der Gemeinde handelt. Eine solche Annahme verhindert eine ungetrübte Sicht auf den Text. Wer denkt, dass das ganze Neue Testament von der heutigen Gemeinde spricht, betrachtet das Neue Testament durch eine bestimmte Brille hindurch. Diese Brille färbt unser Verständnis so stark, dass wir den Text nicht mehr ernst nehmen. So entstehen Verknüpfungen zwischen Begriffen, die nichts miteinander zu tun haben. Es ist Interpretation auf Basis von Annahmen über den Text, nicht auf Basis von Angaben aus dem Text.

Vertiefen wir diese Beobachtung noch etwas.

Überall, wo Jesus darauf steht, ist Gemeinde drin?

Die Annahme über das Neue Testament ist, salopp ausgedrückt: «Überall, wo Jesus draufsteht, ist Gemeinde drin». Diese Idee ist weitverbreitet, sowohl in Landeskirchen als auch in Freikirchen und sie wird kaum hinterfragt. Gerne wird aus den Evangelien gepredigt, als ginge es dort um die heutige Gemeinde. Dies, obwohl die meisten Theologen sagen werden, dass die Gemeinde erst während der Apostelgeschichte entstand. Die Evangelien liegen chronologisch vor der Apostelgeschichte. Wie kommt man dazu, die Gemeindelehre schon in den Evangelien zu lesen? Solche Annahmen haben weitreichende Konsequenzen für das Glaubensverständnis.

Eine weitere Annahme ist, dass es nur eine einzige Gemeinde gäbe, mit nur einer Botschaft und diese allen Menschen betrifft. Das lässt sich aufgrund der Bibel hinterfragen (siehe: «Gibt es nur ein einziges Evangelium?»).

Eine Differenzierung könnte so aussehen:

Jesus kam nicht, um die Gemeinde zu gründen. Prüfe nachfolgend die Bibelstellen. Er kam, um sein Volk, das Volk Israel, zu retten (Mt 1,21). Er selbst sah Seinen Auftrag ausschliesslich an die verlorenen Schafe des Hauses Israels (Mt 15,24). Sein Auftrag war es, die Verheissungen an die Väter von Israel zu bestätigen (Röm 15,8). Das ist die Verkündigung der Evangelien in einer Nussschale. Von den Nichtjuden ist hier nur am Rande die Rede. Wenn Nichtjuden angesprochen werden, sind das ausnahmslos Proselyten oder Menschen, die das Heil via das jüdische Volk erwarten (so wie es die Propheten vorhergesagt hatten). Die Nationen (Nichtjuden) als unabhängige Grösse waren nicht im Blickfeld. Auch die Jünger erhielten diesbezüglich klare Anweisungen (Mt 10,5-6).

In dieser Zeit gab es die Gemeinde nicht. Jesu Verkündigung war ausschliesslich an das Volk Israel und nur im Rahmen der alttestamentlichen Prophetie. Diese Prophetie sah zwar einen Segen für alle Nationen vor, jedoch bedingte das zuerst, dass Israel sich dem HERRN zuwendet. Das soll die messianische Zeit einläuten. Jesus sprach vom Königreich der Himmel, womit das messianische Reich gemeint war. In dieser Sicht sollte ein erneuertes Israel einst zum Segen für alle Völker werden (Jes 2,1-4; Mt 28,20). Dies hat bis heute nicht stattgefunden. Stattdessen kam etwas ganz Neues.

Dieses Neue kam in Form eines 13. Apostels: Paulus. Er predigt Christus, aber macht Ihn zugänglich für die Nationen. Er tat das nicht, wie es die Propheten vorhergesagt hatten, sondern Nationen erhielten in der Familie Gottes einen gleichwertigen Platz (Eph 2,11-14). Das war umwerfend neu, nicht nur als Zielgruppe, sondern auch dem Inhalt nach. Mehr dazu im Beitrag «Die Sonderbotschaft des Apostels Paulus».

Es geht um Folgendes: Das Neue Testament ist kein Einheitsbrei. Jesus hatte einen Auftrag an Israel zu erfüllen. Davon berichten die Evangelien. Nach Kreuz und Auferstehung folgt eine Neuorientierung, von der die Apostelgeschichte berichtet. Das messianische Königreich stand nicht mehr unmittelbar bevor, sondern die Zeit der Aufrichtung weiss Gott allein (Apg 1,6-7). Die Zwölf Apostel verharrten in der bekannten Erwartung Israels und hatten den Blick auf die Aufrichtung des messianischen Reiches. Die Gemeinde in Jerusalem mit den 12 Aposteln verkündigte nach wie vor das «Evangelium vom Reich Gottes» (Apg 1,6; Apg 8,12) und dies speziell an Israel (Apg 2,36; Gal 2,7-9; Jak 1,1; 1Pet 1,1)

Dann wurde Paulus berufen, als Apostel der Nationen (Röm 11,13; 1Tim 2,7 u.a.) der bis dahin Unbekanntes enthüllen musste (Röm 16,25-26; Gal 1,11-12; Eph 3,1-3 u.a.). An dem Punkt angelangt entsteht nach und nach eine Gemeinde aus allen Nationen, parallel zur Arbeit und zum Auftrag der 12 Apostel in Jerusalem.

Nicht überall, wo Jesus darauf steht, ist also die heutige Gemeinde drin. Erkennt man einmal die Entwicklung innerhalb vom Neuen Testament, blendet man automatisch auch Israel wieder ein. Das Verständnis für den Auftrag von Jesus wächst, ebenso wie die Würdigung des speziellen Auftrages vom Apostel Paulus. Hat man den breiten Kontext geklärt, sind auch die einzelnen Angaben im Text leichter einzuordnen. Der Gedanke eines Einheitsbreis kann aufgegeben werden. Der Text spricht wieder für sich selbst.

Wo geht es um die heutige Gemeinde?

Nach dem Exkurs in die groben Entwicklungen innerhalb vom Neuen Testament lassen sich viele Fragen einfacher klären. Jeder kann die Bibel auf diese Angaben hin prüfen:

  • Jesus sprach zu Israel über die Erwartung von Israel
  • Die 12 Apostel haben (wie Jesus) von dem messianischen Königreich gesprochen
  • Das messianische Königreich wurde hinausgeschoben, nicht aufgehoben
  • Paulus wurde als 13. Apostel berufen und wurde zum «Apostel der Nationen» (die Gemeinde, der Körper Christi)
  • Die heutige Kirche/Gemeinde aus allen Nationen basiert auf die Botschaft von Paulus

Nimmt man die Paulusbriefe aus dem Neuen Testament weg, dann liest sich die Verkündigung vom messianischen Königreich als durchgehende Geschichte bis hin zur Aufrichtung im Buch Offenbarung. Wer das noch nie so gehört hat, kann es als Hypothese einmal festhalten und dann selbst das Neue Testament mit dieser Idee durchlesen. Für mich war es erstaunlich zu entdecken, wie dadurch jeder Text einen Sinn im eigenen Kontext erhielt.

Braut oder Körper?

Wer die Entwicklung im Neuen Testament sieht, und erkennt, dass auch Israel einen Platz hat (nicht nur die Kirche), der kann auch viele weitere Aussagen vom Neuen Testament verstehen. Widersprüche verschwinden und jeder Text spricht für sich selbst. Ordnet man die Angaben, kann man dies erkennen:

  • 12 Apostel für Israel
  • Petrus, Johannes und Jakobus als tragende «Säulen» dieser Gemeinde (Gal 2,9)
  • Eine Gemeinde in Jerusalem als «Überrest» (Mt 16,18; Röm 11,5; Röm 11,16)
  • die Braut (Joh 3,29)
  • Ein Evangelium der Beschneidung (Gal 2,7-9)
  • 1 Apostel für die restlichen Nationen
  • Paulus als Apostel der Nationen (Röm 11,13; 1Tim 2,7; Eph 3,1-2)
  • Eine Gemeinde aus allen Nationen (Röm 9,24; Eph 2,11; Eph 3,6)
  • Der Körper Christi (Römer 12,4-5; 1Kor 10,16-17; 1Kor 12,12-27; Eph 1,23 u.a.)
  • Ein Evangelium der Unbeschnittenheit (Gal 2,7-9)

Die 12 Apostel stehen der Gemeinde in Israel vor. Das ist die Braut, die Jesus hat. Die Gemeinde aus allen Nationen dagegen wird beschrieben als der «Körper Christi» (in vielen Übersetzungen: Leib Christi).

  • Der Ausdruck Braut wird nur im Kontext von Israels Erwartung genutzt
  • Der Ausdruck Körper Christi wird nur von Paulus verwendet

Zwischen Braut und Bräutigam gibt es logischerweise noch keine Gemeinschaft. Erst die Hochzeit besiegelt die Gemeinschaft. Das ist kein gutes Bild für die heutige Gemeinde, denn das Bild suggeriert, dass heute noch keine Gemeinschaft besteht. Dagegen ist das Bild, welches Paulus nutzt, das Bild vom «Körper Christi», ein Bild unmittelbarer Gemeinschaft.

«Ihr aber seid zusammen der Körper des Christus, und als Teil gesehen, Glieder daran.»
1Kor 12,27

Da wir – in einer Bildsprache für die Gemeinde – der Körper Christi sind, benötigen wir keine Hochzeit, bevor es zur Gemeinschaft kommt. Wir sind Sein Körper und sogar seine Vervollständigung.

«Alles ordnet Er [Gott] Ihm [Christus] unter, Ihm zu Füssen; und Ihn gibt er als Haupt über alles der herausgerufenen Gemeinde, die Sein Körper ist, die Vervollständigung dessen, der das All in allem vervollständigt.»
Eph 1,22-23

Christus das Haupt und die Gemeinde aus allen Nationen Sein Körper. So passt es unzertrennlich zusammen.

Israel, die Braut

Israel wird von alters her als die Braut bezeichnet. So lesen wir beispielsweise:

«Geh und rufe in die Ohren Jerusalems: So spricht der HERR: Ich erinnere mich – dir zugute – an die Treue deiner Jugendzeit, an die Liebe deiner Brautzeit, wie du hinter mir hergingst in der Wüste, im unbesäten Land.»
Jer 2,2

Hier beschreibt der Prophet Jeremia die Zeit, als Israel durch die Wüste wanderte, als eine «Brautzeit». Es war sozusagen der Anlauf bis zur Ehe. Die Ehe selbst ist ein Bündnis. Ein Bündnis zwischen Israel und dem Gott Israels. Dieser Bund wird geschlossen vor dem Berg Sinai:

«Und nun, wenn ihr willig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, dann sollt ihr aus allen Völkern mein Eigentum sein; denn mir gehört die ganze Erde.»
2Mo 19,5

«Und ich ging wieder an dir vorüber und sah dich, und siehe, deine Zeit war da, die Zeit der Liebe; und ich breitete meinen Gewandzipfel über dich aus und bedeckte deine Blösse. Und ich schwor dir und trat in einen Bund mit dir, spricht der Herr, HERR, und du wurdest mein.»
Hes 16,8

Israel jedoch bleibt nicht bei diesem Bund, sondern hat sich wie eine Treulose verhalten. Davon berichten die Propheten mehrere Male. Jeremia sagt beispielsweise:

«Und der HERR sprach zu mir in den Tagen des Königs Josia: Hast du gesehen, was Israel, die Abtrünnige, getan hat? Sie ging auf jeden hohen Berg und unter jeden grünen Baum und hurte dort. Und ich sprach: Nachdem sie das alles getan hat, wird sie zu mir zurückkehren. Aber sie kehrte nicht zurück. Und ihre treulose Schwester Juda sah es. Und sie sah auch, dass ich Israel, die Abtrünnige, eben deshalb, weil sie die Ehe gebrochen, entliess und ihr den Scheidebrief gab. Doch ihre Schwester Juda, die Treulose, fürchtete sich nicht, sondern ging hin und trieb selbst auch Hurerei. Und es geschah, durch die Leichtfertigkeit ihrer Hurerei, entweihte sie das Land; denn sie trieb Ehebruch mit Stein und mit Holz. Und selbst bei alldem ist ihre Schwester Juda, die Treulose, nicht mit ihrem ganzen Herzen zu mir zurückgekehrt, sondern nur zum Schein, spricht der HERR. Und der HERR sprach zu mir: Israel, die Abtrünnige, hat sich gerechter erwiesen als Juda, die Treulose.»
Jer 3,1-11 (vgl. Hes 16,15-52)

Mit dieser Feststellung endet die Geschichte nicht. Gott verwirft Sein Volk nicht. Er ist ganz anders und stellt eine Wiederherstellung in Aussicht:

«Geh und rufe diese Worte aus nach Norden hin und sprich: Kehre um, Israel, du Abtrünnige, spricht der HERR! Ich will nicht finster auf euch blicken. Denn ich bin gütig, spricht der HERR, ich werde nicht für ewig grollen.»
Jer 3,12-14

«Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da schliesse ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen – diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich doch ihr Herr war, spricht der HERR. Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schliessen werde, spricht der HERR: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Grössten, spricht der HERR. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken.»
Jer 31,31-34

«Ich aber, ich will an meinen Bund denken, den ich mit dir in den Tagen deiner Jugend geschlossen habe, und will dir einen ewigen Bund aufrichten.»
Hes 16,60ff

Israel also gehört der neue Bund. Das ist logisch, denn einen «neuen» Bund kann nur jemand erhalten, der bereits einen «alten» Bund hatte. Ansonsten macht der Zusatz «neu» keinen Sinn. Dieser Ausblick gehört also Israel, wie es hier beschrieben ist. Auffällig ist die ausführliche Beschreibung dieser Aussicht. Liest man das Alte Testament (die Tenach), dann wird dieses Bild immer mehr mit Inhalt gefüllt. Es kulminiert in der Erwartung eines Messias, der ein neues Reich himmlischen Ursprungs einmal unter allen Himmeln (auf der ganzen Erde) aufrichten wird (Dan 2,44; Dan 7,27). Das war die Erwartung Israels und der Grund, dass mit Jesus diese lang ersehnte Erwartung nun nahe war:

«Von da an begann Jesus zu herolden und zu sagen: Sinnet um! Denn das Königreich der Himmel hat sich genaht!»
Mt 4,17

Die Geschichte, womit das Neue Testament anfangt, ist nicht neu. Es ist die Weiterführung der Geschichte mit Israel oder besser gesagt: Es geht um die Erfüllung der Verheissungen an Israel (Röm 15,8). Die Evangelien nennen deshalb viele verschiedene Begriffe mit einem Ursprung im Alten Testament. Das Königreich der Himmel, die Braut und eine Hochzeit sind Beschreibungen dieser Erwartungen. Es sind nicht einzelne Wörter, sondern ganze Begriffswelten. Werden wir mit den Begriffswelten des Alten Testaments vertraut, sehen wir klarer, warum es in den Evangelien geht.

Israel, die Hochzeit

Braut und der Bräutigam sind Bezeichnungen bis zur Hochzeit. Es sind keine Rollen, die man als Dauerzustand haben will. Jesus spricht deshalb vom Königreich der Himmel als von einer Hochzeit. Er tut das in mehreren Gleichnissen, wie beispielsweise in Matthäus 22:

«Dann nahm Jesus wieder das Wort, um in Gleichnissen zu ihnen zu sprechen: Das Königreich der Himmel gleicht einem Menschen, einem König, der seinem Sohn die Hochzeitsfeier ausrichtete …»
Mt 22,1-14

In diesem Gleichnis geht es um die Gäste. Wenn die Eingeladenen nicht kommen, werden andere eingeladen. Das Gleichnis endet Jesus mit den Worten «Denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt» (Mt 22,14). Wer also bei diesem messianischen Reich dabei sein will, soll sich dieses Gleichnis zu Herzen nehmen. Mit der heutigen Gemeinde jedoch hat dies nichts zu tun. Die Gemeinde gab es da noch gar nicht. Das Gleichnis jedoch passt 100% als Deckel auf den Topf der messianischen Verheissungen. Es geht hier um Israels Erwartung. Stets weist Jesus darauf hin, dass nicht jeder einfach so in dieses messianische Reich hinein kommt:

«Als Jesus das hörte, erstaunte Er und sagte zu denen, die Ihm nachfolgten: Wahrlich, Ich sage euch: Bei niemandem in Israel habe Ich so viel Glauben gefunden. Ich sage euch aber: Viele werden vom Osten und Westen eintreffen und sich mit Abraham, Isaak und Jakob im Königreich der Himmel zu Tisch lagern; die Söhne des Königreichs aber wird man hinauswerfen in die Finsternis, die draussen ist. Dort wird Jammern und Zähneknirschen sein.»
Mt 8,10-12

Genauso ist das Ende vom Gleichnis der 10 Jungfrauen eine Warnung:

«Während sie hingingen, um Öl [für ihre Lampen] zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm zur Hochzeitsfeier hinein, und die Tür wurde verschlossen.»
Mt 25,10

Jesus erzählt dieses Gleichnis als Teil seiner Endzeitrede, die ganze zwei Kapitel umfasst (Mt 24 und 25). Die Rede ist Seine Antwort auf die Frage seiner Jünger «Sage uns, wann wird dies sein, und welches ist das Zeichen Deiner Anwesenheit und des Abschlusses des Äons?» (Mt 24,3). Sie fragten nach dem Abschluss dieser Zeit und dem Anbruch der neuen, messianischen Zeit. In den beiden Kapiteln beschreibt Jesus den Umbruch von diesem Zeitalter in das nächste. Das nächste Zeitalter ist das Zeitalter, worin die Verheissungen an Israel erfüllt werden – und entsprechend für die ganze Welt einen Neuanfang stattfindet. Dies ist die Hochzeit und wer dann lebt, sollte sich wünschen, bei der Hochzeitsfeier dabei zu sein.

Erst im letzten Buch der Bibel, das Buch Offenbarung, wird von dieser kommenden Zeit wieder berichtet. Hier lesen wir:

«Denn die Hochzeit des Lämmleins ist gekommen und seine Braut hat sich bereit gemacht»
Offb 19,7

«Glückselig sind die zum Hochzeitsmahl des Lämmleins Geladenen!»
Offb 19,9

Dann wird das messianische Reich aufgerichtet. Die heutige Gemeinde, aus allen Nationen, wird mit keinem Wort erwähnt.

Zusammenfassung

Wie wir das Neue Testament lesen, ist oft von unbewussten Annahmen geprägt. Wenn diese skizzierte Sicht neu ist, dann wurde nur vorgeführt, dass man Dinge auch anders sehen kann. Die Sicht wurde gut begründet. Es wurde auch eine Antwort auf die Frage gefunden, ob die heutige Gemeinde die Braut ist. Wir entdeckten, dass das nirgendwo gesagt wird. Im Gegenteil: Was wir in der Bibel über die Braut erfahren können, hat stets mit Israels Erwartung zu tun.

Diese Erkenntnis ist jedoch nicht das Ende. Wir können uns mitfreuen, dass Gott in dieser Welt wirkt, dass ein Ausblick für Israel besteht. Das ist wertvoll und kann mit Staunen verfolgt werden. Betrachtet man die Entwicklung mit etwas Distanz, dann sieht man zweierlei passieren:

  • Für Israel gibt es eine Erwartung, von der die Gemeinde aus Israel (12 Apostel) der Anfang ist
  • Für die Gemeinde aus allen Nationen gibt es einen neuen Ausblick, der parallel zu Israels Erwartung erfüllt wird (Paulus).
  • Beide Gemeinden wurden berufen, damit sie je eine eigene Aufgabe erfüllen. Sie ergänzen sich.

Wenn wir festhalten, dass die heutige Gemeinde nicht die Braut ist, nehmen wir der Bibel nichts weg. Wir lesen den Text nur im eigenen Zusammenhang. Was wir dabei entdecken dürfen, ist ein Gott, der viel grösser als unser Verständnis ist und nicht nur mit uns, sondern mit der ganzen Welt etwas vorhat.

Vertiefung

  • Welche Texte kommen Dir beim Hören von «die Gemeinde ist die Braut» in den Sinn?
  • Prüfe die Aussage von Paulus in Epheser 5,23. Geht es dort um eine Braut?
  • Prüfe die Aussage von Paulus in 2. Korinther 11,2. Geht es dort um eine Braut? Welche Wörter werden genutzt und was bedeuten die?

Bei allen Texten geht es darum, die Grundlagen des induktiven Bibelstudiums anzuwenden, wenn die Texte für sich sprechen sollen.