Es gab eine Zeit, da war ich mehrere Jahre ohne Kirche oder Gemeinde unterwegs. Es war eine ausgezeichnete und fruchtbare Zeit. Ich war Solochrist. Mancherorts wird davor gewarnt, aus einer Gemeinde auszutreten. Wer Austritt – so die Meinung – steht in Gefahr seinen Glauben zu verlieren. Stimmt das?

Der Ausstieg

Während acht Jahren stand ich ausserhalb von Kirchen und Freikirchen. Ich war Solochrist. Aufgrund dieser paar Jahre kann ich zuverlässig sagen: Ja, man kann ohne Kirche oder Gemeinschaft als Christ bestehen. Ich bin erfrischt und stärker aus dieser Zeit hervorgegangen.

Während diesen Jahren habe ich Gemeinschaft auf andere Art gepflegt. Es war eine gute Zeit der Reflexion und Neuorientierung. Ich habe meinen Glauben nicht verloren, sondern die Glaubensfreiheit neu entdeckt. Ich konnte dafür einige Eindrücke besser ordnen, die Spreu vom Weizen trennen und erhielt eine gesündere Glaubensgrundlage.

Warum ich das hier erwähne? Nun, es gibt Meinungen, wonach man kein Solochrist sein könnte. Das wäre gefährlich für das Glaubensleben. Wer sich aus der Gemeinde entfernt, würde dadurch fast automatisch aus dem Glauben herausfallen. Es wäre der Beginn eines unausweichlichen Abstiegs, so die Meinung, und man käme sehr rasch in die Fänge des Satans. Tönt das lustig? Es ist es leider nicht. Wer das schon mal gehört hat, kennt die Angstmacherei, die damit einhergeht, die Unfreiheit, die mit solchen und ähnlichen Aussagen als schwere Decke über die Gemeinschaft gezogen wird.

Wer aus einer Gemeinschaft aussteigt, kann dies natürlich tun, weil eine bestimmte christliche Kultur nicht gefällt, weil die Lehren als abstrus empfunden werden, die Gemeindekultur als zu eng (oder umgekehrt: als nicht eng genug) erfahren wird. Manche werden tatsächlich aus dem Glauben aussteigen, oder merken, dass sie dort nie richtig daheim waren. Das ist eine nüchterne Betrachtung dieser Welt. Das soll uns nicht verwundern. Vielmehr gilt: Gott liebt diese Welt, und nicht nur die Menschen einer bestimmten Ausprägung.

Menschen bleiben jedoch auch aus anderen Gründen von Gemeinden fern:

  • Nicht jeder erträgt grosse Menschenansammlungen, und manchmal auch keine Gottesdienste aus diesem Grund.
  • Menschen entwickeln sich. Manchmal muss die Reise allein oder in einer anderen Form der Gemeinde, einer anderen Denomination weitergehen.
  • Mancher hat einen Vertrauensbruch erlebt, oder Missbrauch (sexuell, emotional, religiös) und schützt sich durch den Ausstieg.

Wer Solochrist zu sein scheint, hat in der Regel eine Geschichte hinter sich, die dazu geführt hat.

Jeder Christ ein Solochrist

Kann man diesen Begriff Solochrist aus der negativen Ecke holen und den Ausdruck positiv besetzen? Ich versuche es mal, denn wer eine Glaubenskraft in sich selbst hat, ist automatisch weniger abhängig von Gemeinden. Dort, wo vor Solochristsein gewarnt wird, geht das mit einer Bevormundung durch eine Gemeinschaft einher. Was wäre die Alternative?

Ich wurde mir während meines Ausstiegs bewusst, dass ich jahrelang eine bestimmte christliche Subkultur gepflegt hatte, die mir die Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit eines authentischen Glaubens fast erstickt hätte. Raus aus der Enge! Als Frucht dieser Zeit des Alleinseins habe ich gelernt Glaube von einer Subkultur zu unterscheiden. Das ist hilfreich für eine neutrale Beurteilung und die Voraussetzung dafür, dass man begründet neue Wege einschlagen kann.

Glauben kann man nur für sich (Römer 14,22). Deshalb ist jeder zuerst einmal für sich selbst verantwortlich, egal wo man steht. Selbst zu denken, selbst zu vertrauen, selbst zu überlegen, selbst Verantwortung für das eigene Wohlbefinden zu übernehmen – all das ist bedeutsam und gesund. Es ist unabhängig davon, ob man in einer Kirche, Freikirche, Hausgemeinde oder sonst irgendwo (nicht) eingebunden ist. Wäre das nicht der Kern eines gesunden christlichen Verständnisses?

Jeder Christ ist deshalb in gewisser Weise ein Solochrist. So gesehen wäre die Fähigkeit selbst zu denken und zu glauben, Merkmal eines gereiften Glaubens, der sich in der Frucht des Geistes ausdrückt (Gal 5,22). Wäre das eine positive Sicht oder eher etwas, das man misstrauisch gegenüberstehen müsste? Das sieht nicht jeder gleich. Ist das «weltliches Denken»? Natürlich ist eine Unabhängigkeit auch Ausdruck vom Zeitgeist, aber es liesse sich ebenso aus der Bibel begründen («Und Gott, der HERR, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du?» 1Mo 3,9). Der Mensch – jeder Mensch – ist wichtig.

Der Normalfall wäre: Lerne auf eigenen Beinen zu stehen, werde Erwachsen im Glauben, dann erschüttert Dich so schnell nichts mehr (Eph 4,14). Eine gesunde Gemeindekultur führt dorthin (Eph 4,15-16). Das ist das Bild des Solochristen, den ich mir vorstelle. Es ist jemand, der im Leben wie im Glauben gereift dasteht, der deshalb auch stabil genug steht, um Verantwortung zu Tragen und anderen zur Stütze zu sein, egal ob innerhalb oder ausserhalb einer Gemeinde.

Unabhängig, aber nicht allein

In der Regel bleibt es nicht beim Solochristsein. Wenn ich ehrlich bin, war ich es in all diesen Jahren «zwischen den Gemeinden» auch nicht. Ich pflegte regen Kontakt mit anderen Christen, nutzte die Zeit zur Klärung wichtiger Fragen und konnte sie einmal losgelöst vom bisherigen Umfeld betrachten. All das war sehr hilfreich und keinesfalls «allein». Es war nur anders, weil es ohne typische Gemeinde stattfand. Ich hätte das im mir bekannten Gemeindeumfeld nicht machen können, weil es dort keine Lernkultur gab.

Denke den Solochristen als jemand, der auf eigenen Beinen stehen kann und deshalb unabhängig funktioniert. Das kann durchaus von Gemeindeleitern oder anderen Mitchristen als bedrohlich empfunden werden. Es scheint, als würde die Abhängigkeit von der Gemeinde ausgehebelt. Das stimmt! Es ist jemand, der ohne Gemeinschaft oder mit Gemeinschaft leben kann, weil er auf Gott vertraut. Er lebt die Freiheit von Christus (Gal 5,1), wodurch er sich für alle gute Werke zu entscheiden vermag, die Gott vorbereitet hat, damit er oder sie darin wandelt (Eph 2,8-10). Wer so im Glauben steht, will nicht Gemeinde spielen, sondern Gemeinde sein – in der Form, wie es sich gerade anbietet. Ein solcher Mensch ist unabhängig, nicht manipulierbar, wehrt sich gegen Bevormundung, aber übernimmt zuverlässig Verantwortung, indem er oder sie die Liebe Gottes auslebt.

Ich entdeckte, dass viele Menschen so unterwegs sind. Ich war nicht allein. Hurra! Ich hatte all das nur verspätet realisiert.

Gemeinschaftlich unterwegs sein

Nach einigen Jahren «ohne Gemeinde» habe ich mich sehr bewusst wieder einer Gemeinschaft angeschlossen. Ich hatte Distanz gewonnen, meine Fragen verarbeitet, meinen Glauben geklärt, und konnte deshalb befreit wieder beitreten. Die Zeit ohne Gemeinde war heilsam und nötig. Nun aber war es wichtig, die erlebte Freiheit wieder eine Richtung zu geben.

Das Gute an Gemeinschaft ist, dass man dieselbe Berufung, denselben Herrn und eine grossartige Zuversicht teilen kann. Ich denke nicht, dass die meisten Menschen ohne Gemeinschaft gedeihen – im Gegenteil. Eine Gemeinde oder Kirchgemeinde, ein Hauskreis oder Bibelkreis oder irgendetwas anderes kann diese Gemeinschaft bieten. Vielleicht findet eine Gemeinschaft auch unkonventionell statt. Für einige sind soziale Medien Begegnungsorte geworden. Fixieren wir Gemeinschaft nicht auf eine bestimmte Art. Es geht nicht darum, dass man sich «ins christliche Getümmel stürzt», sondern wertvolle Gemeinschaft sucht.

Als soziale Wesen sind wir auf Begegnung hin ausgelegt. Das macht uns zu Menschen. Wir treffen uns und freuen uns daran, wenn auch unterschiedlich. Wir reden über Gott und die Welt, damit wir unseren Glauben klarer erkennen und in der Gemeinschaft üben können. Die Gemeinschaft hat eine hohe Priorität, nicht weil wir gläubig sind, sondern weil wir als Menschen gerne austauschen. Unseren Glauben erleben wir nur als Teil unserer menschlichen Erfahrung. Es ist logisch, dass wir zusammenfinden. Machen wir etwas daraus und lassen wir andere Menschen ihre Wege gehen.

Es gibt in der Schrift vielseitige Hinweise darauf, dass Menschen religiös zusammengefunden haben. Jesus hat Jünger um sich herum versammelt, wie es viele Prediger in dieser Zeit taten (Mt 9,14), und hat seine Schüler unterrichtet. Auch die Juden und ersten Gläubigen versammelten sich im Tempel (Apg 2,46; Apg 5,21), in den Synagogen (Apg 13,14-15; Apg 17,10-11) und andernorts (Mt 5,1ff). Von Paulus lesen wir, dass er auf dem Markt mit den Menschen ins Gespräch kam (Apg 17,16-17). Menschen haben sich auch sonst getroffen (Apg 20,7).

Wir lernen aneinander und voneinander. Paulus schreibt, dass wir nur zusammen vollständig erkennen können:

«Damit Christus durch den Glauben völlig in euren Herzen wohne und ihr in Liebe gewurzelt und gegründet, erstarken möget, um mit allen Heiligen zu erfassen, was die Breite und Länge und Tiefe und Höhe ist (um auch die alle Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus zu erkennen), damit ihr zur gesamten Vervollständigung Gottes vervollständigt werdet.»
Eph 3,17-19

Es geht nur zusammen. Darin liegen grosse Verheissungen. Das muss jedoch keineswegs heissen, dass wir alle am Sonntag in der Gemeinde sitzen müssen. Das steht nämlich gar nicht da. Trotzdem heisst es «mit allen Heiligen», also «mit allen von Gott Berufenen» oder salopp gesagt «mit allen Glaubenden».

Solochristen haben für die Gemeinschaft Wertvolles entdeckt.