Tote leben nicht

Die Aussagen der Bibel über Leben, Tod und Auferstehung sind recht klar und einheitlich: Tote leben nicht. Sie sind tot. Damit wird der Gegensatz von Leben gemeint.

Wer dies nicht so sieht, greift auf eine recht begrenzte Auswahl an «anderslautende» Bibelstellen zurück, womit dann das übrige Schriftzeugnis ausser Kraft gesetzt werden soll. Diese Bibelstellen verlangen besondere Beachtung. Hier geht es um eine solche Bibelstelle. Was steht wirklich da?

Bibelstelle

Im Bemühen darum, der Tod als Leben darzustellen, wird dieses Zitat von Paulus genannt:

«Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre»
Phil 1,23

Traditionelle Auslegung

Nach traditioneller Auslegung sollte Paulus fast so etwas wie eine Todessehnsucht haben. Sagt er in dieser Stelle nicht, dass es viel besser sei zu sterben, denn dadurch sollte man «bei Christus sein»? Geht es hier um eine Todessehnsucht, die als «Christus-Sehnsucht» fromm verpackt wird? Sterben ist super! Man lebt dann einfach bei Christus.

Gegenargument

Erneut wird hier der Text ohne Kontext betrachtet. Paulus hat keine Todessehnsucht, wohl aber eine Sehnsucht nach Christus. Was immer mit ihm passieren würde, so möchte er mit seinem Körper Christus verherrlichen. Am liebsten jedoch möchte er mit Christus zusammen sein und erhofft er sich die Rückkehr Christi.

Begründung

Paulus schreibt den Philippern, dass er eine Vorahnung und Zuversicht hat, Christus durch seinen Körper zu verherrlichen, «sei es durch Leben oder Tod».

Das ist sozusagen der Kontext, der Anfang des Zusammenhangs. Lesen wir hier sorgfältig, um was es geht. Denn, sagt er, «mir ist das Leben Christus, und das Sterben Gewinn» (Phil 1,19-21). Was meint er damit?

  • Das Leben ermöglicht ihm, die Gemeinden zu dienen und Christus auf diese Art zu verherrlichen. So schreibt er: «Wenn es aber das Leben im Fleisch ist, so bedeutet dies für mich Frucht in der Arbeit» (Phil 1,22).
  • Wenn er jedoch einen Märtyrertod sterben würde, so wäre das ebenfalls Gewinn – nämlich für Christus! Der Gewinn wäre nicht für ihn selbst, sondern für Seinen Herrn.

Der Apostel skizziert hier zwei Möglichkeiten, und wie er diese Möglichkeiten zu sehen und zu verstehen wünscht. Wenn er nun Leben und Tod als zwei mögliche Szenarien voraussieht, so macht er doch nicht bekannt, was er von diesen zwei bevorzugt. «Und was ich vorziehen werde, mache ich nicht bekannt» (Phil 1,22). Stattdessen aber spricht er von etwas anderem:

«(Ich werde aber aus den zweien gedrängt, in dem ich das Verlangen nach der Auflösung und dem Zusammensein mit Christus habe; denn das wäre bei Weitem das Beste für mich). Aber das Verbleiben im Fleisch ist notwendiger um euretwillen.»
Phil 1,23-24

Der Apostel wird «aus den zweien gedrängt», nämlich aus den Optionen Leben und Tod, und er beschreibt das Verlangen nach einer dritten Möglichkeit: Das direkte Zusammensein mit Christus. Das wäre weder Tod noch Leben, sondern es wäre durch Rückkehr Seines Herrn und seine Vereinigung mit ihm. Das ist, was die Wiederkunft bedeutet und was Paulus hier vor Augen stand.

Wenn auch traditionell die Idee vorherrscht, dass man durch Sterben zu Christus gelangt, so kann man dies in der Bibel nirgendwo so lesen. Auch hier steht es nicht. Die Verführung ist sehr gross, diese Bibelstelle im Sinne der Tradition zu interpretieren. Das tut dem Text jedoch unrecht. Das Zusammensein mit Christus steht anstelle von Leben oder Tod. Es ist nicht eines der beiden Optionen, sondern es ist etwas komplett anderes.

Es ist demnach essenziell, dass Christus zurückkommt. Paulus beschreibt dies beispielsweise in einem ähnlichen Kontext – jedoch im Hinblick auf die bereits Entschlafenen aus der Gemeinde – im 1. Thessalonicherbrief (1Thess 4,13-18).

Paulus hatte weder Selbstmordgedanken noch eine Todessehnsucht, sondern schlicht das Verlangen, mit Christus zusammen zu sein.