Was geschrieben steht

Denkanstoss zur Bescheidenheit


31. Januar 2015In BibelstudiumBy Karsten Risseeuw16 Minutes

Lernen, worauf es ankommt

«Dies aber, Brüder, habe ich [als] Redefigur um euretwillen auf mich selbst und Apollos angewandt, damit ihr an uns lernt, nicht [auf Dinge] zu sinnen, [die] über [das hinausgehen, was] geschrieben steht, damit ihr nicht aufgeblasen werden, [also k]einer für den einen [Lehrer] gegen den anderen [Lehrer].»
1Kor 4,6 KNT

Nicht auf Dinge sinnen, die über das hinausgehen, was geschrieben steht. Dies ist ein Rat von Paulus an die Korinther. An seinem Vorbild sollte die Gemeinde in Korinth lernen, worauf es ankommt. Im Kontext gelesen erhalten wir hier wertvolle Hinweise auf die Art, wie wir mit der Bibel und miteinander umgehen sollten. Die Aussage passt auf die Situation der Korinther. Verstehen wir die Lage, worin sich die Gemeinde in Korinth befand, dann bekommt auch die Aussage von Paulus Gewicht und Klarheit.

Was nun meint Paulus genau mit diesem Satz? Die Aussage ist kein Eröffnungssatz vom Brief, sondern folgt erst im 4. Kapitel. Wir lesen also vom Briefanfang dorthin und erfahren dabei allerhand über die Gemeinde in Korinth. In Kapitel 1 beschreibt der Apostel die Situation in Korinth mit folgenden Worten:

«Ich spreche euch nun zu, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle das Gleiche aussagt und keine Spaltungen unter euch seien; lasst euch vielmehr an denselben Sinn und an dieselbe Meinung anpassen! Mir wurde doch von Hausgenossen der Chloe über euch, meine Brüder, offenkundig dargelegt, dass Hader unter euch sei. Ich meine damit dies, dass jeder von euch anders aussagt: Ich stehe zu Paulus! Ich aber zu Apollos! Ich zu Kephas! Ich aber zu Christus! Ist der Christus denn zerteilt worden? Nicht Paulus wurde für euch gekreuzigt!»
1Kor 1,10-13

Dieser Abschnitt setzt das Thema fest. In Korinth gab es handfeste Probleme: Hader, Spaltungen und Sektierertum.

Sektierertum, Spaltungen und Hader

Jeder reitet in Korinth auf seine eigenen Steckenpferde herum. Das widerspricht dem Evangelium. Paulus’ Verkündigung war gerade nicht in Wortweisheit, damit das Kreuz des Christus nicht inhaltslos würde (1Kor 1,17). Wortweisheit heisst buchstäblich «Weisheit des Wortes». Vielleicht betraf das eine Erkenntnis (Gnosis) bzw. Weisheit, wie sie die Griechen liebten (1Kor 1,22). Eine Wortgewandtheit und eine Fokussierung auf Worte (statt die Verkündigung von Christus und den als gekreuzigt) lenkt vom Evangelium ab.

Paulus kommt von einer ganz anderen Seite her. Er geht von Gottes Macht und von Seinem Handeln in Christus aus. Alle menschliche Weisheit wird damit zuschanden gemacht (1Kor 1,27), denn Gott orientiert sich nicht an menschlicher Weisheit, sondern nur an sich selbst. Gott wirkt dahin in Seinem Plan, dass sich überhaupt keiner vor seinen Augen rühmen könne (1Kor 1,29). Man könnte hier sagen: Das ist mal wieder typisch! Gott ist Gott, und keiner ist Ihm gleich. Er macht, was Er will! Erstaunlich, aber das reicht vollauf: «Aus Ihm aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott her zur Weisheit gemacht worden ist, wie auch zur Gerechtigkeit, Heiligung und Freilösung, damit es so sei, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich im Herrn» (1Kor 1,30-31).

In Kapitel 2 setzt Paulus noch einmal einen darauf. Von sich selbst sagt er: «Ich bin, als ich zu euch kam, Brüder, nicht mit Überlegenheit des Wortes oder der Weisheit gekommen, um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen …» (1Kor 2,1-4). Wir sollten unser Glaube nicht in der Weisheit der Menschen, sondern in der Kraft Gottes gründen (1Kor 2,5). Das ist wohl das beste Anliegen, welches wir auch füreinander haben können. Es geht hier (im Korintherbrief, in unseren Kirchen und Gemeinden, in Hauskreisen, in unserem Glaubensleben) nicht darum, dass wir bestimmte spezielle Lehren, Lehrer, Strömungen, Dogmen oder Ansichten folgen. Viel wichtiger ist, dass wir lernen, uns im Herrn zu rühmen und uns auf Gottes Kraft zu verlassen.

Gottes Weisheit und geistliche Worte

Wir haben den «Geist aus Gott erhalten, damit wir wissen, was uns von Gott aus Gnaden gewährt ist, was wir auch aussprechen, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern mit solchen, wie der Geist sie uns lehrt, indem wir geistliche Dinge mit angemessenen geistlichen Worten erklären» (1Kor 2,12-13). Paulus fokussiert hier immer weiter und nennt dabei sehr deutlich immer wieder «Worte», hier auch «angemessene geistliche Worte». Ich gehe jetzt mal davon aus, dass dies auch die Verkündigung des Paulus umfasst, wie er bereits selbst kurz zuvor darauf hingewiesen hat (1Kor 2,1).

Diese «angemessene geistliche Worte» können aber von einem seelisch (auf das Gefühl) orientierten Menschen nicht verstanden werden. Sie sind ihm Torheit (1Kor 2,14). Deshalb konnte Paulus mit den Korinthern «nicht wie mit geistlich Gesinnten sprechen … wie mit Unmündigen in Christus» (1Kor 3,1). Fleischlich waren sie gesinnt, wie das eben aus ihrem Hader ersichtlich sei (vergleiche 1Kor 11,12 mit 1Kor 3,3-4).

So, jetzt wird es spannend.

Paulus hat bis hierhin über die Missstände gesprochen und erklärt, wie es vom Evangelium her ganz anders wäre. Nun kommt er darauf zu sprechen, wie denn die Korinther selbst etwas zur Besserung beitragen können. Er schreibt:

«Gemäss der mir von Gott gegebenen Gnade lege ich als weiser Werkmeister den Grund, ein anderer aber baut darauf weiter. Ein jeder aber gebe Obacht, wie er darauf baue!» (1Kor 3,10). Christus ist das Fundament. Darauf bauen wir. Wir sollten darauf achten, auf welche Weise wir darauf weiterbauen. Es geht hier um «die Art eines jeden Werk» (1Kor 3,13).

Am Schluss des Kapitels 3 warnt Paulus erneut noch einmal vor menschlicher Weisheit (1Kor 3,18-23). In Kapitel 4 sagt Paulus zuerst, dass er Verwalter der Geheimnisse Gottes ist. Da geht es um das Evangelium, welches er verkündigt. Dieses Evangelium spricht von «geistlichen [Dingen] mit angemessenen geistlichen [Worten]» (1Kor 2,13). Immer geht es hier um Gottes Weisheit und Gottes Kraft – durch Christus. Das nun steht in scharfem Kontrast zum Verhalten der Korinther, zu ihrem Hader, zu ihren Spaltungen und Sektierertum.

Nicht über das hinaus sinnen, was geschrieben steht

Schliesslich gelangen wir zum zentralen Vers dieser Betrachtung. Der liest sich jetzt wie eine Art Zusammenfassung:

«… Damit ihr an uns lernt, nicht auf Dinge zu sinnen, die über das hinausgehen, was geschrieben steht, damit ihr nicht aufgeblasen werden, also keiner für den einen [Lehrer] gegen den anderen [Lehrer]»
1Kor 4,6

Mehrfach hat der Apostel nun die Missstände in Korinth, den Hader und die Spaltungen, erwähnt. Zwei Dinge stehen einander gegenüber:

  1. In der Gemeinde in Korinth: Hader, Spaltungen, Sektierertum
  2. Evangelium von Paulus: «die [geistlichen] Dinge, die geschrieben sind.»

Speziell im Rahmen des Korintherbriefes ist der Kontrast zwischen der (von den Korinthern gesuchten) menschlichen Weisheit – mit aller fleischlichen Gesinnung, Sektierertum und Hader – und der von Paulus mit angemessenen geistlichen Worten erklärten Botschaft von Christus. «Was geschrieben steht» lehrt keine Selbstgerechtigkeit, keinen Hader, keine Spaltungen. Das Evangelium zeigt auf Gott und Seinen Christus hin. Mit Wortgewandtheit oder menschlichen Meinungen hat das nichts zu tun. Deshalb sollten die Korinther am Beispiel von Paulus und Apollos lernen, wie sich das Evangelium in Demut, im Dienst und im Vertrauen auf Gott allein ausleben lässt.

Nicht richten, nicht aufgeblasen werden

Spaltungen und Sektierertum kann es nur geben, wenn man andere überheblich richtet. So kommt es, dass Paulus sagt: «Richtet daher nichts!» (1Kor 4,5) und «damit ihr nicht aufgeblasen werden» (1Kor 4,6). Paulus beteiligt sich also nicht an die Hader und Zwistigkeiten der Gemeinde, noch an ihrer Überheblichkeit. Er zeigt nur die richtige Haltung auf. Alle Streitpunkte lässt er unbeantwortet:

«Richtet daher nichts vor der gebührenden Zeit, bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird. Dann wird jedem der Lobpreis von Gott zuteilwerden»
1Kor 4,5

Die Streitpunkte wird also der Herr einst ans Licht bringen, dann aber zusammen mit den Ratschlägen der Herzen. «Dann wird jedem der Lobpreis von Gott zuteilwerden» – eine erstaunlich positive Aussage für eine Gemeinde, die durch Hader gekennzeichnet wird. Paulus öffnet damit den Reichtum der Gnade auch für das Zusammenleben. Danach sollten wir uns ausrichten. Eindrücklich schildert Paulus im weiteren Verlauf des Kapitels wie sich dies bemerkbar macht.

Beim Wort bleiben

Wenn wir den Zusammenhang mit der Gemeinde in Korinth verstanden haben, lässt sich der Text auch noch weiter als Leitfaden nutzen. «Nicht über das hinaus sinnen, was geschrieben steht» ist eine Art Grundregel für ein gesundes Bibelverständnis. Der Leser versucht dabei, die Bibel für sich selbst sprechen zu lassen und keine Gedanken in den Text hineinzuinterpretieren, die nicht da stehen.

3 Tipps zum Bibellesen:

  1. Unterscheide zwischen dem, was in der Bibel geschrieben steht und dem, was aus anderer Quelle stammt.
  2. Frage danach, was der Text im Kontext und für die damaligen Leser für eine Bedeutung hat
  3. Berücksichtigt die Auslegung den Grundtext?

Mit nur drei Wörtern als Richtschnur («Unterscheidung», «Kontext» und «Grundtext») lässt sich die Bibel effizient auf ihre Aussagen hin prüfen. Dieselben Stichwörter eigenen sich mit derselben Methode auch dazu, verschiedene Lehren miteinander zu vergleichen. Welche Lehre bleibt am nächsten beim Wort? Wer erklärt den Text am besten im eigenen Kontext? Gibt es eine Richtung, oder jemand, der konsequent den Grundtext prüft und darauf Bezug nimmt? Gibt es eine klare Unterscheidung in der Auslegung zwischen Gedanken aus der Bibel (begründet) und aus anderen Quellen (erkannt)?

Eine Vergleichsmöglichkeit haben

Nahe beim Wort zu bleiben heisst, eine effektive und effiziente Vergleichsmöglichkeit zu haben. Es lassen sich Gedanken, Lehren und Meinungen besser evaluieren. Der Eichpunkt ist stets die Bibel. Das ist ein objektiver Massstab, weil es ein abgeschlossenes Schriftstück darstellt. Der Bezug darauf ist noch keine Interpretation, sondern ermöglicht erst eine Interpretation «auf Basis der Bibel». Es lassen sich eigene Gedanken über die Bibel, aber ebenso gut auch andere Lehrmeinungen prüfen. Die Vorgehensweise ist dabei stets dieselbe.

Die geistliche Lebenshaltung

Die Hinweise aus dem Korintherbrief schaffen eine gesunde Ausgangslage. Trotzdem beantworten sie keine Detail-Fragen zur Lehre. Entscheidend dürfte sein, dass Paulus hier nicht die Diskussion über Lehrsätze eingeht, sondern auf etwas ganz anderes hinweist. Es geht nicht einfach um richtig oder falsch, sondern um etwas viel Besseres:

«Ich spreche euch nun zu, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle das Gleiche aussagt und keine Spaltungen unter euch seien; lasst euch vielmehr an denselben Sinn und an dieselbe Meinung anpassen!»
1Kor 1,10

Paulus will, dass die Korinther «alle das Gleiche aussagen» und es «keine Spaltungen» gibt. Dies sind wohl zwei Seiten derselben Münze. Das Gleiche auszusagen bedeutet nicht, dass alle etwa lehrmässig gleichgeschaltet sein müssten. Vielmehr geht es darum, keine Spaltungen zuzulassen. So vertieft er das mit der nachfolgenden Aussage: «lasst euch vielmehr an denselben Sinn und an dieselbe Meinung anpassen!». Auch hier geht es um zwei Seiten derselben Münze. «Dieselbe Meinung» ist dasselbe wie «derselbe Sinn». In Bezug auf die Gemeinde und die verwirrte Situation in Korinth schreibt Paulus über die Haltung, welche wir einnehmen sollten. Wir sollten alle klar auf Christus ausgerichtet sein. Das nämlich sollten wir alle aussagen, und diesen Sinn und diese Meinung sollten wir alle teilen – wie unterschiedlich unsere Lehransichten auch sein sollten.

Es geht demnach nicht um eine lehrmässige Gleichschaltung in der Gemeinde, sondern um eine geistliche Lebenshaltung. Wir fördern diese, wenn wir uns darauf besinnen, woher unser Reichtum kommt, und Wer uns trägt:

«Aus Ihm aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott her zur Weisheit gemacht worden ist, wie auch zur Gerechtigkeit, Heiligung und Freilösung, damit es so sei, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich im Herrn!»
1Kor 1,30-31

Anregungen zum Gespräch

  • Kennst Du die Situation der Gemeinde in Korinth – im Vergleich – aus eigenem Erfahren?
  • Hat Dich schon mal jemand «mit Bibeltexten um die Ohren geschlagen»? Wie war das?
  • Wurdest Du schon mal ausgegrenzt, weil Du nicht «linienkonform» gedacht hast?
  • Hast Du schon einmal andere verurteilt, weil sie nicht «linienkonform» gedacht haben?
  • Beschreibe im Zusammenhang dieses Beitrages, was die Wörter «Sicherheit» und «Zugehörigkeit» für Dich bedeuten.
  • Was für eine Kultur möchte Paulus in Korinth anregen?
  • Was für eine Kultur möchtest Du in Deiner Gemeinde anregen?
  • Welchen Nutzen hat es, wenn man versucht «nicht über das hinaus zu sinnen, was geschrieben steht»?