«Verblüffend, ja geradezu erschreckend ist, dass manche, die in Gottes Gnade umsonst gerechtfertigt sind, die unverdient Seiner Güte teilhaftig wurden, sich heftig gegen den Gedanken auflehnen, dass die gegenwärtig weniger Glücklichen eines Tages ebenfalls mit Gott ausgesöhnt sein werden.»
– Cecil J. Blay, «Werdet weit»

Es ist nicht ohne Folgen, was wir glauben. Harte Lehren machen harte Herzen. Ganz anders spricht aber die Bibel. Wir sollten die Gnade Gottes «nicht vergeblich empfangen», schreibt Paulus den Korinthern (2Kor 6,1). Wir sollten etwas mit dieser Gnade machen, respektive sie darf etwas mit uns machen. Gnade erzieht. Gnade richtet das Herz auf Gottes Wirken aus. Das darf in einem Gott wohlgefälligen Lebenswandel sichtbar werden.

Gnade bewirkt einen Neustart

Wenn wir mit Gnade beschenkt werden, dürfen wir die empfangene Gnade ausleben. Gnade ist etwas, das weiterfliessen will. So wie Gott sich mit der Welt versöhnt hat, darf das in uns und durch uns hindurch wirken. Wir dürfen Christus ähnlicher werden (2Kor 3,17-18). Wir werden dadurch nicht fehlerfrei, aber unser Denken, unsere Erwartung, unsere Prioritäten und alles, was wir uns als Mensch ausmacht, kann neu kalibriert werden.

Diese Neukalibrierung ist ein Prozess. Wir dürfen auf Seinen Reichtum ausgerichtet werden (Röm 12,1-2). Ganz logisch ist es, wenn das dann auch nach aussen hin sichtbar wird. So wächst die Frucht des Geistes, die sichtbar wird als Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Gutheit, Treue, Sanftmut und Selbstzucht (Gal 5,22). Das ist das Resultat.

Keine religiöse Frömmigkeit

Diese Auswirkung ist nicht als religiöse Frömmigkeit zu verstehen. Im Gegenteil, es hat mit unserer Berufung etwas zu tun, aber nichts mit einem bestimmten religiösen Gefühl oder etwa religiösen Ritualen. Es äussert sich nicht in der Menge der Stunden, die täglich gebetet wird, noch in dem Besuch von Gottesdiensten. Wir dürfen unsere Heiligkeit in der Furcht Gottes vollenden (2Kor 7,1). Dann wird umgesetzt, wozu wir berufen wurden.

Wer Gnade auslebt, wird die Gnade «nicht vergeblich» empfangen, sondern trägt Frucht. Keine Leistung also, kein Verdienst, keine Anpassung an religiöse Gepflogenheiten, sondern Wachstum förderndes Verhalten – wir richten unser Leben neu aus. In letzter Konsequenz geht es darum, genau das zu reflektieren, was wir selbst erhalten haben, zu allen Menschen um uns herum.

Heute ist ein Tag der Rettung

Der Kontext, worin Paulus schreibt, ist bedeutsam. Wir sprechen hier über den Korintherbrief. Zwischen den beiden genannten Versen zu Anfang des 6. und des 7. Kapitels spricht Paulus zu den Glaubenden in Korinth. Der Apostel schreibt, damit sich in dieser Gemeinde etwas bewegen kann. Er bezweckt mit seinen Worten eine Änderung und Verbesserung. Sie sollen sich bewusst sein – aufgrund der geschenkten Gnade–, dass heute ein Tag der Rettung ist. Es ist nicht «der» Tag der Rettung, als sei es der einzige Tag, sondern das Griechische spricht von «einem» Tag der Rettung, was andere Tage nicht ausschliesst. Der Fokus liegt im Text also nicht darauf, dass eine Rettung nur heute möglich wäre, wie das gerne vorschnell behauptet wird. (Das ist eine verengte Interpretation und nicht das Thema des Abschnitts.) Der Fokus im Text liegt darauf, dass es um Rettung geht. Es ist die Prägung unserer Zeit, die wir ausschöpfen sollten. Wir sollen die Gelegenheit nutzen (Eph 5,15-16).

Paulus sieht hier also zwei Dinge:

  • Wir wurden gesegnet mit Gnade und Rettung
  • Heute haben wir die Möglichkeit, das auszuleben und umzusetzen.

Weit werden im Innern

Es ist eine ganz einfache Direktive. Wir sollten nicht auf uns selbst fixiert sein, sondern wir sollten «weit werden». Wir sollten «leben» im besten Sinne, und das beinhaltet auch zu leben in geistlichem Sinne.

Das Wort für «weit werden» (gr. platuno) finden wir noch in Matthäus 23,5, wo Jesus von (einigen) Schriftgelehrten und Pharisäer sagt, dass sie auf Äusserlichkeiten wert legen: «denn sie verbreitern (gr. platuno) ihre Denkzeichenriemen und vergrössern die Quasten …». Weit zu werden, wenn wir uns das plastisch vor Augen führen, hat also etwas mit «verbreitern» zu tun. Wenn Paulus nun im 2. Korintherbrief davon spricht «weit zu werden», so möchte er, dass die Korinther ihren geistlichen Horizont erweitern. Sie sollen Platz machen in ihrem Herzen, sie sollen das Herz weit aufmachen.

«Unser Mund hat sich euch gegenüber aufgetan, ihr Korinther; ist euer Herz auch weit geworden? Nicht eingeengt seid ihr in uns, eingeengt aber seid ihr in eurem Innersten! Als Gegenlohn dafür (wie zu Kindern spreche ich) werdet auch ihr weit!»
2Kor 6,11-13

Es scheint so, als wären die Korinther in einer verbohrten und eingeengten Sicht der Welt und des Glaubens gefangen. Auch ich selbst habe das gekannt, und ich sehe es immer wieder in «strenggläubigen» Kreisen. Eine verengte Sicht der Gnade Gottes, die für Andere keinen Platz hat, die ausgrenzt, statt eingrenzt, hat keine Zukunft.

Wer eine Drohbotschaft statt eine Frohbotschaft verkündet, verkennt die Kraft der Gnade Gottes. Lernen wir, Gottes Wirken den gebührenden Raum zu geben. Damit ehren wir Gott. Lasst uns weit werden im Inneren. Gegensätze heissen Besserwisserei, Sektierertum, Exklusivität im Glauben: Es gibt viele Arten, wie man im Innersten eingeengt sein kann.

Wie Glaube wirkt

Glaube, schreibt Paulus den Galatern, wird durch Liebe wirksam:

«Denn in Christus Jesus vermag weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit etwas, sondern nur der Glaube, der durch die Liebe wirkt.»
Gal 5,6

Beschneidung und Unbeschnittenheit sind typische religiöse Zeichen. Sie sind nicht abzuwerten und haben einen eigenen Platz. Sofern es aber um unsere Stellung in Christus geht, spielen diese Dinge keine Rolle. Wir können daraus allgemein etwas lernen. Wer «in Christus» ist, wird sein Glaube ausleben. Glaube wirkt durch konkret gelebte Liebe. Weit werden im Inneren ist das, was konkret nach aussen gelebt wird.

Vertiefung

  • «Weit werden ist ein Prozess des Loslassens aller Selbstgerechtigkeit.» Diskutiere.
  • Ist Dir Abgrenzung von anderen Menschen und Meinungen wichtig? Reflektiere.
  • Andere Menschen und Meinungen stehenzulassen, kann für einige bedrohlich wirken. Warum?
  • «Die Liebe ist stark genug, um auch die zu lieben, die anders denken als wir; darum brauchen wir um der Liebe willen die Wahrheit nicht preiszugeben.» Dieses Zitat stammt von Richard Imberg. Diskutiere.