Viele stellen sich das Neue Testament als eine Art Einheitsbrei vor. Das Neue Testament spricht von Jesus und «deshalb» spricht alles von der heutigen Gemeinde. Ist das aber so? Oder ist das bloss eine Folgerung? Was passiert etwa, wenn man die Briefe des Apostels Paulus aus dem Neuen Testament wegdenkt? Was fehlt dann? Was bleibt?

Paulusbriefe

Diese Überlegung hat Gründe, die aus dem Text des Neuen Testaments selbst hervorgehen. Entfernen wir etwa als Gedankenspiel die Briefe von Paulus aus dem Neuen Testament, dann gibt es beispielsweise keinen «Körper Christi» mehr. Nur Paulus spricht davon. Es gibt auch keine Gemeinde aus allen Nationen mehr, wenn wir Paulus, als Apostel der Nationen, aus der Bibel entfernen.

Viele sind es sich gewohnt, jeden Sonntag eine Predigt aus den Evangelien zu hören, aber was bleibt von der heutigen Gemeinde übrig, wenn wir Paulus aus dem Neuen Testament wegdenken? Dann hätte man zwar die Evangelien, aber keine Paulusbriefe mehr. Man geht für die Gemeinde davon aus, dass Paulus wesentliche Erkenntnisse mitteilt. Der Römerbrief etwa wird als Pfeiler für die Gemeindelehre gesehen. Ähnliches gilt für seine weiteren Briefe. Wenn wir die wegdenken, sei es nur als Gedankenspiel, was bleibt von dieser Gemeindelehre übrig?

Israels Erwartung

Bevor Paulus auf die Bühne trat, hatten wir die Evangelien, worin Jesus eine Aufgabe für Israel erfüllt (Mt 15,24; Röm 15,8). Das wird nur bei Paulus auf eine Gemeinde aus allen Nationen erweitert, sowohl als Zielgruppe als auch von der Botschaft selbst her. Das sind umwälzende Neuerungen. Bei Jesus erhielten die Nationen jedoch nur die Krümmel, die vom Tisch fielen (Mt 15,26-27).

Hier ist ein Gedanke zur weiteren Prüfung:

  1. In den Evangelien wird das von Israel erwartete messianische Königreich, das «Königreich der Himmel» (Dan 2,44; Dan 7,27) als «nahe» bezeichnet und verkündet (Mt 4,17)
  2. Die Apostelgeschichte zeigt gesamthaft, dass das Königreich für Israel zwar nicht aufgehoben, aber doch aufgeschoben wird (Apg 1,6-8; Apg 28,28)
  3. (Briefe von Paulus ausgeblendet)
  4. Die restlichen Briefe zeigen, wie man sich verhält, während das Königreich für Israel aufgeschoben ist. Die 12 Apostel schreiben an die jüdischen Gemeinden mit einem «Evangelium der Beschneidung» (Gal 2,7-9). Jakobus etwa schreibt an die 12 Stämme in der Zerstreuung (Jak 1,1), Petrus richtet sich an die Fremdlinge in der Zerstreuung (1Pet 1,1) und wiederholt die Idee eines «königliches Priestertum, eine heilige Nation» (1Pet 2,9), wie Israel diese Aufgabe bereits in der Tenach erhielt (2Mo 19,6). Der Fokus der 12 Apostel bleibt die Erfüllung der Verheissungen für Israel. Von der Gemeinde aus allen Nationen lesen wir dort nichts.
  5. Im Buch Offenbarung wird das messianische Reich aufgerichtet.

Liest man dies zum ersten Mal, erscheint es eine verrückte Idee zu sein. Prüft man jedoch die Entwicklung, die Zielgruppen und die benutzten Wörter in diesen Büchern ausserhalb von Paulus, dann wird rasch klar, dass es immer um Israel geht und es keine (!) Entwicklung hin zu einer Gemeinde aus allen Nationen gibt. Petrus musste sogar mit 3 Visionen dazu gebracht werden, einem Proselyten wohlgesinnt zu sein, der keineswegs mit anderen Menschen aus den Nationen vergleichbar war (Apg 10). Das wurde von den übrigen Aposteln und Brüdern in Jerusalem keineswegs gut aufgenommen (Apg 11,1-3). Petrus musste ausführlich berichten, bis sie sich beruhigten (Apg 11,18). Ist die Abwehr nicht seltsam, waren sie jedoch betreut mit einem «Missionsbefehl» und jetzt gab es bereits mit einem Proselyten Ärger, der ganz nah an Israel und Israels Erwartung dran steht?

Dies ist zur Überlegung: Entfernen wir Paulus aus dem Neuen Testament, fehlt die Grundlage für die Gemeinde. Nur Paulus war als Apostel der Nationen berufen (Röm 11,13). Er erhielt das Evangelium nicht von den 12 Aposteln, sondern ihm wurde es direkt von Jesus Christus gelehrt (Gal 1,11-12). Sie erzählen deshalb nicht zwingend dasselbe. Paulus musste das sogar einmal in Jerusalem klären (Gal 2,2). Es wurde ihm durch Offenbarung bekannt, weil es bis dahin verborgen war (Röm 16,25-26). Entfernen wir Paulus aus dem Neuen Testament, entfernen wir nicht einfach etwas mehr vom Gleichen, sondern wir entfernen Geheimnisse, die nirgendwo sonst erklärt und enthüllt werden. Wir entfernen die heutige Gemeinde.

Arbeitsblatt

Zum Download steht hier ein Arbeitsblatt, worauf die 27 Bücher des Neuen Testaments aufgeführt sind. Downloaden, ausdrucken und im Gespräch mit anderen nutzen!

Es gibt Faltlinien vor und nach den Briefen des Apostels Paulus. So kann man leicht die Paulusbriefe «ausblenden». Die Idee ist: Nutze das Blatt als einen Gesprächsstarter. Die Interpretation erscheint zuerst verrückt, weil man meist stillschweigend davon ausgeht, dass «überall, wo Jesus draufsteht, die heutige Gemeinde drin ist». Der Text selbst legt das aber nicht nahe. Vielmehr gibt es eine deutliche Entwicklung. Zu erkennen, dass Paulus mit einem eigenen Evangelium kam (Röm 2,16; Röm 16,25), welches er das «Evangelium der Vorhaut (Unbeschnittenheit)» nennt (Gal 2,7-9), kann die Augen für eine bedeutende Entwicklung öffnen. Erkennt man das, lassen sich viele Bibelstellen einfacher im eigenen Kontext erklären. Ist das noch fremd, nutze die Idee einmal als Arbeitshypothese, die man laufend prüfen kann.

Es ist so etwas wie ein Schlüssel zum besseren Verständnis des Neuen Testaments.