Die perfekte Gemeinde gibt es nicht

Es heisst so schön, dass – sollte es eine perfekte Kirche geben – diese enden würde, sobald man selbst dazu stosst. Nüchternheit ist angebracht. Nicht-perfekte Menschen können keine perfekte Kirche bilden. Worauf können wir trotzdem achten?

Nirgendwo in der Schrift lesen wir von einer «perfekten Gemeinde». Wir lesen jedoch von einer «Einheit des Geistes» unter allen Gläubigen:

«Befleissigt euch, die Einheit des Geistes durch das Band des Friedens zu halten.»
Eph 4,3

Diese Einheit ist vielleicht mehr als die Vorstellung einer perfekten Kirche je sein könnte. Eine gegebene Einheit erscheint erstaunlich. Paulus beschreibt sie ganz locker: Die Einheit der weltweiten Kirche ist schon da! Wir müssen sie nicht erschaffen. Wir müssen sie lediglich bewahren.

Mit wem sollten wir diese Einheit des Geistes bewahren? Mit allen Christen. Und wer ist Christ? Es sind «alle Heiligen, die auch Gläubige in Christus Jesus sind» (Eph 1,1). Im Römerbrief nennt Paulus sie «Berufene Jesu Christi» (Röm 1,6) und «berufene Heilige» (Röm 1,7). Das umschliesst alle, die auf die frohe Botschaft mit ihrem Leben geantwortet haben. Wer sich selbst als von Gott berufen und als vom Evangelium Seiner Gnade berührt erkennt (Röm 8,15-16), der ist Teil dieser weltweiten Kirche. Es sind diese Menschen, die durch Gottes Geist erfahren haben, dass sie Kinder Gottes sind (Röm 8:16). Diese reale Gemeinde, die von Paulus der Körper Christi genannt wird, ist mit keiner Institution zu verwechseln und sie besteht seit nunmehr 2000 Jahren quer durch alle Denominationen hindurch.

Ein Geschenk

So unterschiedlich unsere Kirchen und Gemeinschaften auch sind, und so verschieden die Erkenntnisse, so klar bleibt doch die Einheit des Geistes bestehen. Diese Einheit nämlich ist nicht von Gleichschaltung geprägt. Es geht nicht darum, dass wir dasselbe Denken. Es geht nicht einmal darum, ob wir bestimmte Dogmen kennen, bejahen oder ablehnen. Unser Glaube ist ein Geschenk (Eph 2,8-10). Wir haben alle dasselbe Geschenk erhalten. Wir sind «Berufene Jesu Christi» (Röm 1,6). Dies ist die Grundlage.

Die Einheit des Geistes

Kein Mensch ist perfekt. Keine Gemeinschaft kann alles richtig sehen. Paulus weist vielmehr darauf hin, dass wir – trotz verschiedener Ausprägung – Gott ehren können, indem wir die Einheit des Geistes halten, und vielleicht einmal den Nächsten «aushalten». Wir müssen das nicht tun, weil wir mit den Erkenntnissen des Anderen einverstanden wären. Wir dürfen es aber tun, weil wir diese gegebene Einheit respektieren und würdigen. Darin nämlich ehren wir Ihn, der auch uns berufen hat.

Die Einheit ist «des Geistes». Sie ist keine «Einheit des Bekennens» oder «Einheit des Erlebens». Es geht um Geist, um eine geistliche Sicht. Damit werden wir an Gottes Handeln erinnert. Andernorts schreibt Paulus: «Ihr erhieltet nicht den Geist der Sklaverei, wiederum zur Furcht; sondern ihr erhieltet den Geist des Sohnesstandes, in welchem wir laut rufen: Abba, Vater! – Der Geist selbst bezeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind» (Röm 8,15-16). Dieses Wirken Gottes dürfen wir auch in anderen Gläubigen erkennen.

Das Band des Friedens

Das «Band des Friedens» ist eine Bildsprache. Friede soll das Verbindende sein. Wir sollten uns nicht streiten, nicht uns selbst den Anderen überlegen fühlen. Das ist gar nicht selbstverständlich, sodass Paulus darauf hinweist, dass wir uns dazu «befleissigen» sollten. Auch wenn diese Einheit des Geistes gegeben ist, so braucht es unsere tägliche aktive Zustimmung, entsprechend geistlich mit unserer Berufung umzugehen.

Friede gehört auch zum neunfachen Frucht des Geistes, schreibt Paulus an die Galater: «Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Gutheit, Treue, Sanftmut, Selbstzucht» (Gal 5,22).

Im Kolosserbrief spricht Paulus von der Liebe als von dem «Band der Vollkommenheit» (Kol 3,14). Es geht bei all diesen Texten um unseren Lebenswandel. Wie soll sich unsere Berufung auswirken?

Die nicht-perfekte Kirche

Gerne bin ich Teil einer nicht perfekten Kirche oder Gemeinschaft. Eine solche Gemeinde erscheint mir viel lebensfähiger als eine, die sich in Lehrmeinungen oder auch religiösen Gemeinplätzen ergötzt. Meine Erfahrung ist es, dass Gottes Wort sehr konkret in diese Welt hinein spricht. Es ist eine frohe Botschaft, nicht weil es die Kirche sagt, sondern weil es eine tatsächlich frohe Botschaft für uns als Menschen ist:

«Gott war in Christus, die Welt mit Sich Selbst versöhnend: Er rechnet ihnen ihre Kränkungen nicht an und hat in uns das Wort der Versöhnung niedergelegt. Daher sind wir Gesandte für Christus, als ob Gott durch uns zuspräche. Wir flehen für Christus: Lasst euch mit Gott versöhnen! Denn den, der Sünde nicht kannte, hat Er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit in Ihm würden.»
2Kor 5,19-21

Das ist der Kern der frohen Botschaft. Gott wirkt. Er tut Gutes in Christus und Er will uns damit beschenken. Es geht um diese Botschaft, dass Gott mit Dir und mir und mit der ganzen Welt versöhnt ist (nota bene: Hier ist die Rede von der Welt, nicht von den Gläubigen!). Von Ihm her ist es geregelt, ist der Weg frei. Das ist umwerfend gut. Kann ich das nun für mich selbst akzeptieren? Dort fängt lebendiger Glaube an. Dort kann ich Ihn und Sein Wort vertrauen, mich auf Seine Liebe einlassen.

Eine nicht perfekte Kirche stellt Gottes Wirken zentral. Eine solche Gemeinschaft wirkt einladend, sie wirkt auf die Mitglieder transformierend und sie ist ohne Angst in der Gesellschaft unterwegs. Sie muss sich selbst nicht beweisen. Sie weist auf Ihn hin, der über allen steht – nicht superfromm, sondern befreiend nüchtern. Eine nicht perfekte Kirche ist christozentrisch, sie ist fragend und lernend unterwegs. Eine solche Kirche kennt die Not der Welt und die Not in unserem Dasein. Das Evangelium leuchtet in das Dunkel der Not hinein und Menschen sind dankbar.

Innere Bilder

Jeder hat ein eigenes Bild von Kirche oder Christsein. Ob das Bild stimmig ist oder nicht, sei hier nicht die Frage. Man kann vermutlich davon ausgehen, dass unsere inneren Bilder so begrenzt sind wie wir selbst begrenzt sind. Interessanter wäre deshalb die Frage, wie wir unsere inneren Bilder prägen.

Paulus war in seinen Briefen ständig mit verschiedenen Gemeinden in Kontakt. Er hat sich überall für ein gesundes Glaubensleben eingesetzt. Ständig war Korrektur nötig. Offenbar hatten und haben alle Menschen innere Bilder. Der Apostel versuchte die Gläubigen von den eigenen Vorstellungen auf das Wesentliche auszurichten (Phil 1,9-10).

Es war wohl eine Anpassung des Denkens. Fünf Aufgaben sah er für die Gemeinde als grundlegend an. Es waren die folgenden Funktionen: Apostel, Propheten, Evangelisten sowie Hirten und Lehrer (Eph 4,11-12). Sie alle prägen das Denken, die Erwartung und damit das tägliche Erleben. Ausgehend von der frohen Botschaft werden Glaubende durch den Dienst dieser Menschen in die Freiheit von Christus hinausgeführt. Innere Bilder erhalten eine Korrektur wo nötig und es werden von Gnade geprägten Alternativen bereitgestellt. So entsteht eine Kirche, die nicht fehlerfrei ist, aber worin immer mehr Menschen im Glauben befreit werden.

Denken wir noch einmal zurück an die Aussage von Paulus, wonach wir lediglich die Einheit des Geistes bewahren sollten. Das ist eine Glaubenshaltung. Folgen wir die Aussagen des Apostels Paulus in seinem Brief an die Epheser, dann können wir die Förderung einer gesunden Glaubenshaltung überall als Anliegen erkennen. Seine Hinweise für die Gemeinde kulminieren in diese Aussage:

«Wenn wir aber wahr sind, sollten wir in Liebe alles zum Wachsen bringen, hinein in Ihn, der das Haupt ist, Christus.»
Eph 4,15

Eine positive Glaubenshaltung führt zu Christus hin. Eine positive Glaubenshaltung bewahrt nicht nur die Einheit des Geistes, sondern bringt alles in Liebe zum Wachsen. Wenn Paulus diese Worte schreibt, hat er fast 4 Kapitel lang um ein besseres Glaubensverständnis gerungen. Hier skizziert er das Bild einer lebendigen Gemeinschaft, die gegenseitig ein Wachstum fördert, worin Menschen nicht nur auf sich selbst, sondern in allem auch auf Christus fokussiert sind.

Die perfekte Kirche gibt es also nicht, aber es gibt etwas Lebendiges unter den Gläubigen. Sie dürfen sich unabhängig von der lokalen Zugehörigkeit weltweit mit allen anderen Glaubenden verbunden wissen. Diese Einheit darf durch das Band des Friedens bewahrt werden. So gestaltet sich Glaubensrealität. Die von Paulus genannten Wesensmerkmale zeugen von geistlicher Reife und können einer Gemeinschaft als Richtschnur dienen.

Vertiefung

  • Beschreibe die Schwächen Deiner Gemeinschaft/Gemeinde/Kirche
  • Wie perfekt können Menschen sein?
  • Wenn Du die Punkte hier oben beantwortet hast: Schreibe eine Einladung mit Gründen, weshalb andere Menschen Eure Gemeinschaft beitreten sollten.