Nachzudenken über letzte Dinge kann den geistlichen Horizont weit machen und dem Herzen viel Zuversicht schenken.
Die Information der Bibel über Ereignisse in ferner Vergangenheit oder in ferner Zukunft ist aber begrenzt. Über manche Zeiten wie das Leben von Jesus gibt es viele Informationen; es werden ganze Bibelbücher und viele Kapitel daran gewidmet. Mit den letzten Dingen ist das jedoch nur teilweise der Fall. Wenn man die Informationsverteilung grafisch darstellen will, dann vielleicht in etwa so:
Je weiter wir gegen den Anfang aller Dingen schauen, umso weniger Information finden wir dazu in der Bibel. Dasselbe gilt auch für die letzten Dinge. Das heisst nicht, dass es keine oder nur unzuverlässige Information gibt, sondern nur, dass es dazu weniger Information gibt als zu anderen Themen. Die vorhandene Information will also sorgfältig ausgewertet werden.
Wo lesen wir über «letzte Dinge»?
Es mangelt bei keiner Lehre an Bezüge zur Bibel. Es werden Bibeltexte zitiert, ausgelegt, verglichen. Oft werden Bibelstellen zitiert, womit dann das Verständnis das «göttliche Gütesiegel» erhält. Hier ist eine Beobachtung: Viele Bibellehrer gehen von einem Verständnis aus, wozu Bibelstellen zitiert werden. Weniger wird vom Text ausgegangen, woraus ein Zusammenhang deutlich wird. Insbesondere bei prophetischen Deutungen wird wild spekuliert. Wer dem etwas nachgehen, sogar prüfen will, muss sich zwangsläufig zuerst mit dem Text auseinandersetzen, um in einem zweiten Schritt zu schauen und zu vergleichen, ob die Lehre tatsächlich aus der Bibel stammt.
Häufig zeigt sich, dass Annahmen bloss Folgerungen über den Text betreffen. Eine Lehre ist nicht deshalb biblisch, weil Bibelstellen zitiert werden, sondern weil die Lehre aus der Bibel direkt hervorgeht. Dabei können wir uns bewusst sein, dass nur wenige Themen zusammenhängend im Text behandelt werden. Ein Beispiel davon wäre etwa das Kapitel über die Auferstehung (1Kor 15).
Welche Texte sprechen eigentlich von letzten Dingen? Und welche Stellen sprechen von vorletzten Dingen? Können wir auch die letzten Dinge von den vorletzten Dingen unterscheiden? Können wir Weg und Ziel auseinanderhalten?
Die ersten Verse der Bibel beschreiben nicht die frühesten Geschehnisse; es gibt mehrere Verse, die zeitlich noch vor 1. Mose 1,1 einzuordnen sind (z.B. Joh 1,1-3; Kol 1,15-16). Ebenso erschliessen die letzten Kapitel der Bibel nicht den weitesten Ausblick in die Zukunft. Es gibt wiederum mehrere Abschnitte, die sich erst nach Abschluss von Offb 22 abspielen (z.B. 1Kor 15,24-28). Die Offenbarung hat nicht in allen Dingen das letzte Wort. Das ist eine bedeutsame Erkenntnis, die bei Betrachtung dieser Fragen wirklich weiterhilft. Wo stehen nun die endgültigen Aussagen über letzte Dingen? Diese Fragen sind zu klären, wenn wir den Durchblick anstreben.
Das Verständnis um zeitliche Abläufe hat eine grössere Bedeutung in der Bibel. Die Gesichter von Daniel (Dan 2 und Dan 7) geben zum Beispiel klare geschichtliche Abläufe zukünftiger Ereignisse an. Dasselbe kann man auch vom Buch Offenbarung sagen. Es gibt viele weiteren solchen Berichte über zukünftige Ereignisse in der Bibel. Wann aber finden diese Ereignisse statt? Und in welcher Reihenfolge? Welchen Ausblick hatte Bibelschreiber A, und welchen Ausblick hat Bibelschreiber B? Sprechen alle von denselben Ereignissen? Sprechen alle von derselben Zeit? Oder müsste man da verschiedene Zeiten und Begriffe klar unterscheiden? Kann es sein, dass der eine Bibelschreiber weiter sieht als der andere? Lässt sich das aus der Schrift selbst erkennen? Dies sind Fragen einer systematischen Theologie und des eigenen Bibelverständnisses. Dazu gibt es hier einen weiterführenden Artikel.
Wenn man damit beginnt, verschiedene Sichtweisen zu vergleichen, erkennt man rasch, dass «Zeit» eine wichtige Rolle spielt. Einerseits geht es um Zeitbegriffe, wie «Ewigkeit» oder «Zeitalter», andererseits aber auch um die Zuordnung von Bibelstellen zu bestimmten Zeiten. Diese Zeiten werden häufig nicht oder ganz unterschiedlich interpretiert – was wohl ein Grund für die unterschiedlichen Auslegungen ist. Handelt es sich bei einer Bibelstelle um die Beschreibung einer Zwischenstation in der Heilsgeschichte, oder um eine Endstation? Und warum wäre das so? Die Antwort kann das Gesamtverständnis komplett ändern.
Beispiel «Schafe und Böcke»
In seiner Endzeitrede (Mt 24 und Mt 25) spricht Jesus bildhaft von einem Gericht, worin Schafe und Böcke voneinander getrennt werden (Mt 25,31-43). Was ist damit gemeint? Geht es hier um eine Endstation oder um eine Zwischenstation? Vergleichen wir einmal verschiedene Interpretationen:
Vertreter einer Himmel-und-Hölle-Lehre interpretieren so:
- Dies betrifft das Endgericht
- Dies ist am Ende aller Zeiten
- Das Gericht betrifft Einzelpersonen
- Das Gericht richtet Menschen nach ihrem Glauben
Dagegen sagen Befürworter einer Allaussöhnung:
- Dies ist das Gericht vor dem Thron der Herrlichkeit, wenn der Sohn des Menschen erscheint (Mt 25,31 vgl. Dan 7,13). Dies betrifft nicht das Endgericht vor dem grossen Weissen Thron (Offb 21,11-12), welches erst viel später folgt. Die beiden Throne und was dort stattfindet, sind unterschiedlich.
- Dies ist nicht am Ende aller Zeiten, sondern lediglich der Abschluss des aktuellen Zeitalters – wonach die Jünger in Mt 24,3 explizit fragten. Die Rede von Jesus ist eine Antwort auf diese Frage und beschreibt, was beim Abschluss dieses Zeitalters passiert, bevor dann das neue messianische Zeitalter anfängt.
- Das Gericht betrifft ganze Nationen (Mt 25,32), keine Einzelpersonen
- Hier wird nicht nach Glauben gerichtet. Der Sohn des Menschen urteilt Völker danach, wie sie mit Israel, den Brüdern von Jesus, umgegangen sind (Mt 25,34-43, vgl. 1Mo 12,1-3), bevor Israel, das Volk der Heiligen des Höchsten, Herrschaft über alle Nationen gegeben wird (Dan 7,27).
Der Unterschied in der Interpretation ist auffällig: Die Himmel-und-Hölle-Lehre interpretiert den Text als «letztes Gericht», in direktem Widerspruch zum Kontext – diese Interpretation muss vollständig hineingelesen werden bevor man sie herauslesen kann. Es geht um eine Differenzierung. Befürworter einer Allaussöhnung lesen diesen Text ganz anders und differenzierter, wenn sie ihn als ein «Zwischengericht» und «Völkergericht» erkennen. Die Begründung ist direkt aus dem Kontext entnommen und wird mit einem Bezug auf den Propheten Daniel (vorgegeben durch Verwendung des Ausdrucks «Sohn des Menschen») gestützt.
Der Zeitfaktor im Kontext betrachten
Das Beispiel kann verdeutlichen, dass die Auslegung einer Bibelstelle im eigenen Kontext auch mit der Zeit zu tun hat, von der der Kontext spricht. Jesus spricht in seiner Rede von der Vollendung unseres aktuellen Zeitalters (vgl. Mt 24,3 «Abschluss dieses Äons»). Er erklärt, wie die Übergangszeit zum messianischen Königreich der Himmel (Mt 25,1; Mt 25,34) aussieht. Erst viel später folgt die Zeit von einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Wenn das so ist, dann spricht seine Endzeitrede nur von einem Zwischenabschnitt der Heilsgeschichte.
Zwischenstation oder Endpunkt?
Bei jedem Gericht, bei jeder Aussage zur Rettung, bei jeder Auferstehung sollten wir fragen: Wovon spricht dies? Wann findet dies statt? Wenn in den Evangelien nur Hinweise auf die Aufrichtung des messianischen Reiches zurückzufinden sind, wie kommt es dann, dass diese von einer Himmel-und-Hölle-Lehre auf alle Ewigkeit ausgedehnt wurden? Das sind die Art von Fragen, die bei einer Prüfung der verschiedenen Ansichten weiterhelfen.
Hymenäus und Philetus
Wenn wir eine biblische Wahrheit nehmen und diesen zeitlich falsch zuordnen, verkehren wir die wahre Aussage in eine Unwahrheit. So wie Hymenäus und Philetus von der Wahrheit abgeschweift waren, als sie behaupteten, die Auferstehung sei schon vorbei – und dadurch den Glauben etlicher zerrütteten (2Tim 2,15-18). Die Auferstehung ist eine grundlegende biblische Wahrheit. Davon zu reden war korrekt. Jedoch war die zeitliche Zuordnung falsch, als sie behaupteten, die Auferstehung sei schon Vergangenheit. Damit verkehrten beide Männer die Wahrheit zur Unwahrheit.
Wenn wir eine biblische Wahrheit nehmen und diesen zeitlich falsch zuordnen, verkehren wir die wahre Aussage in eine Unwahrheit.
Mit diesem Beispiel erklärt Paulus seinem Mitarbeiter Timotheus, wie wichtig es sei «das Wort der Wahrheit in gerade Richtung zu schneiden» (2Tim 2,15). Das Konkordante Neue Testament übersetzt: «Befleissige dich, dich selbst Gott bewährt darzustellen, als unbeschämten Arbeiter, der das Wort der Wahrheit richtig schneidet». Aus diesem Vers hat sich den Begriff «Schriftteilung» etabliert. Es beschreibt den Versuch, Worte nicht ausserhalb ihres Kontextes zu verwenden und deshalb Unterschiede bewusst wahrzunehmen.
Befürworter einer Allaussöhnung weisen auf diesen Zusammenhang hin und halten fest, dass die Himmel-und-Hölle Lehre Zeitangaben aus dem Kontext häufig missachtet (siehe das Beispiel «Schafe und Böcke» hier oben) und es dadurch zu groben Fehlinterpretationen kommt. Als Folge – wie bei Hymenäus und Philetus – zerrüttet die Himmel-und-Hölle-Lehre den Glauben etlicher. Von Gericht zu reden ist korrekt, aber die Deutung soll sich an dem Kontext orientieren.