Regelmässig fragen mich Menschen nach Nahtoderfahrungen. Sie haben selbst entsprechende Erfahrungen, lesen darüber, oder finden abenteuerliche Videos auf YouTube. Sie fragen sich, wie diese Erfahrungen und Berichte einzuordnen sind.

Keine Jenseitserfahrungen

Nahtoderfahrungen sind genau das: «Erfahrungen nah am Tode». Es sind Diesseitserfahrungen, keine Jenseitserfahrungen. Bekannt sind etwa auch die Erfahrungen eines Tunnels. Jeder weiss, dass man «an der anderen Seite» ist, wenn man durch diesen Tunnel hindurchgeht. Danach gibt es kein Zurück mehr. Das erklärt, dass man noch in dieser Welt ist, und keinesfalls «tot».

Erfahrungen sind real

Nie muss man die Erfahrungen von Menschen gering schätzen. Die Erfahrung ist da. Wie diese Erfahrungen jedoch interpretiert und benannt werden, ist etwas anderes. Hat jemand etwa eine Nahtoderfahrung, die er als «Himmel» oder «Hölle» beschreibt, so ist das eine Interpretation. Die Interpretation richtet sich häufig nach den religiösen Vorstellungen, die man hat. Menschen suchen nach bekannten Wörtern, womit sie die Erfahrung einordnen können. Das ist verständlich, aber dadurch wird nichts «bewiesen».

Auf YouTube und in Büchern versucht man manchmal Ideen über eine Hölle oder über den Himmel mithilfe solcher aussergewöhnlichen Erfahrungen zu beweisen. Das ist müssig, denn erstens sind es Diesseitserfahrungen und zweitens sind es Interpretationen. Solche Interpretationen gibt es über die ganze Welt, und werden lokal eingefärbt.

In seinem Buch «Endloses Bewusstsein» beschreibt der niederländische Arzt Pim van Lommel diese Phänomene. Er hat dazu die verfügbaren Studien sorgfältig geprüft und kam zur Einschätzung, dass etwa 25% aller Menschen mindestens einmal im Leben eine Erfahrung machen, die man den Nahtoderfahrungen zuschreiben kann. Er selbst hatte da keine solche Erfahrung gemacht, als er dieses Buch schrieb. Erst später machte er eine solche Erfahrung.

Die Erfahrungen sind real. Viele Menschen erfahren solche Dinge. Was dies bedeutet, ist ein Thema für sich und nicht unbedingt das, was die Menschen selbst beschreiben. Es gibt für diese aussergewöhnlichen Wahrnehmungen mehrere Erklärungsversuche. In seinem Buch geht Pim van Lommel methodisch vor und prüft nach und nach verschiedene wissenschaftliche Erklärungen für die Erfahrungen. Vieles kann erkannt werden, aber nicht restlos alles ist erklärbar. Das ist auch für einen wissenschaftlichen Standpunkt ganz normal. Das heisst jedoch noch lange nicht, dass unerklärliche Dinge «also» göttlichen Ursprungs sind.

Die sichtbare und unsichtbare Welt

Wenn Christen mir schreiben, dann häufig deshalb, weil sie unsicher sind, was diese Dinge zu bedeuten haben. Was dramatisch erzählt und womöglich noch als Video daherkommt, erscheint vielen authentisch und deshalb «wahr». Nüchtern betrachtet muss man jedoch auch die Möglichkeit offenhalten, dass man Interpretation als objektive Wahrheit darstellt.

Wenn man in der Bibel nachschlägt, und prüft, wie man das einordnen kann, findet man vielleicht Folgendes:

Die Schöpfung bestand aus sichtbaren und unsichtbaren Dingen. Das Sichtbare ist ebenso wie das Unsichtbare real und Teil der Schöpfung:

«Er [Jesus, der Sohn Seiner Liebe. Kol 1,13] ist das Abbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor einer jeden Schöpfung.

Denn in Ihm ist das All erschaffen:
das in den Himmel und das auf der Erde,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
seien es Throne oder Herrschaften, Fürstlichkeiten oder Obrigkeiten.
Das All ist durch Ihn und zu Ihm hin erschaffen und Er ist vor allem,
und das All besteht zusammen in Ihm.»
Kol 1,15-17

Wie ist es nun mit Nahtoderfahrungen, aussersinnlichen Wahrnehmungen, Déjà-vus, Astralreisen, Reinkarnationsgedanken und dieser Dinge mehr? Es sind alles aussergewöhnliche Erfahrungen, die normalerweise nicht sichtbar sind. Jeder, der das erfährt, hat vielleicht nur einen Blick in die unsichtbare Welt geworfen, die ebenfalls Teil der Schöpfung ist. Ebenso sind okkulte Wahrnehmungen und spezielle Fähigkeiten schlicht diesem unsichtbaren Teil der Schöpfung zuzuordnen. Es gibt keinen Grund, das nicht gelten zu lassen. Man muss aber deshalb nicht hinter diesen Phänomenen herrennen.

Unsichtbar ist nicht etwa «göttlich», nur weil es spezielle Erfahrungen sind. Wer sich darin verliert, als wäre das die ultimative Weisheit, der verliert sich in der Schöpfung, und kennt dadurch den Schöpfer nicht besser. Einige leiten ihre Einblicke von antigöttlichen, also satanischen Ursprünge, ab. Auch solche Dinge kann man denken. Tatsächlich habe ich mehrere Leute getroffen, die ich konkret danach gefragt habe, woher sie ihre Kräfte haben. Einiges war «einfach da», während sie für andere Dinge «unsichtbare Kräfte und Mächte» anzapfen mussten.

Vielleicht wäre es nüchterner zu sagen, dass Menschen diese Erfahrungen haben können, weil sie Teil dieser Welt sind. Wenn Taoisten oder Yogis nach jahrzehntelangen Meditationen solche Erfahrungen machen, bestimmte Drogen aber unmittelbar zu ähnlichen Resultaten führen, kann sich fragen, was genau passiert. Ist es besonders spirituell, wenn man auf diese Dinge achtet, oder hat man einfach den Fokus auf Gott selbst verloren und verliert sich in der Schöpfung anstatt den Schöpfer zu sehen?

Immer wieder erhalte ich den Eindruck, dass Menschen von diesen Erfahrungen beeindruckt sind und daraus sogar eine Änderung der Lebenseinstellung ableiten. Das lasse ich gerne so stehen. Es ist deswegen nicht spirituell oder göttlicher Natur, wenn das stattfindet. Man hat vielleicht nur etwas erfahren, das man bis anhin nicht für möglich gehalten hat, aber doch zu dieser Welt gehört. Es muss nicht «höher», «wichtiger» oder «besser» sein als das, was man sonst erlebt. Es ist vielleicht nur eine Variante, eine Erweiterung, der Wahrnehmung.

Die Bedeutung, die man solchen Erfahrungen beimisst, ist häufig grösser als das, was sie tatsächlich ist. Das hängt aber auch damit zusammen, wie wir die Welt bis dahin gesehen haben. Vielleicht erkannten wir nur Sichtbares in dieser Welt, bis wir plötzlich auch Unsichtbares erlebten. Das soll uns nicht wundern, denn beides gehört zur Schöpfung, worin wir stehen.

Okkulte Kräfte, aussersinnliche Wahrnehmungen und viele Phänomene können m. E. gut diesem unsichtbaren Bereich der Schöpfung zugeordnet werden. Sie werden damit schlagartig entmystifiziert.

Einordnung der Erfahrungen

Manche Leute sind besonders stolz darauf, was sie erfahren haben. Möchte ich solche Erfahrungen jedoch einordnen, richte ich mich persönlich gerne nach den Angaben der Bibel. Darin werden solche Erfahrungen nicht ausgeschlossen, sondern als Teil der Welt gesehen. Etwa hier:

«[als Er, Gott], Ihn [Christus] aus den Toten auferweckte und Ihn zu Seiner Rechten inmitten der Überhimmlischen setzte, hoch erhaben über jede Fürstlichkeit und Obrigkeit, Macht und Herrschaft, auch über jeden Namen, der nicht allein in diesem Äon, sondern auch in dem zukünftigen genannt wird. Alles ordnet Er Ihm unter, Ihm zu Füssen.»
Eph 1,20-22

Paulus anerkennt hier viele geistliche Realitäten, die er Fürstlichkeiten, Obrigkeiten, Mächte und Herrschaften nennt. Christus jedoch hat eine Position weit darüber erhalten. Alles wird Ihm untergeordnet.

Möchte ich aussergewöhnliche Erfahrungen einordnen, dann denke ich an diesen Versen und verstehe, dass Christus über all diese unsichtbaren Elemente thront. Ich kann mich auch fragen: Weshalb sollte ich mich mit Zwischenstufen abgeben, als sei dies die höchste Erfahrung, wenn ich bereits «in Christus» gesegnet bin (Eph 1,3), der über allen steht?

Erfahrungen von Toten

Tote leben nicht. Das ist die nüchterne Erkenntnis, die man in der Bibel zurückfindet. Wer tot ist, lebt gerade nicht, und ein Jenseits als «Ort der lebenden Toten» findet sich in der Bibel nicht beschrieben. Weder auf der Erde («Zombies») noch in einem fiktiven Jenseits («Totenreich»). Eindrücklich ist deshalb das Zeugnis von Lazarus, der ganze 4 Tage tot war (1 Tag länger als Jesus!). Wir lesen darüber in Johannes 11:

«Als Er [Jesus] dies gesagt hatte, schrie Er mit lauter Stimme: “Lazarus, herzu, komm heraus!”. Da kam der Verstorbene heraus, die Füsse und Hände in Grabtücher gewickelt und sein Antlitz mit einem Schweisstuch umbunden. Jesus sagte zu ihnen: “Bindet ihn los und lasst ihn gehen!”»
Joh 11,43-44

Weiter erfahren wir nichts. Lazarus berichtet nichts aus diesen vier Tagen, da er tot war. Weder von ihm noch von anderen Auferstandenen aus den Toten lesen wir in der Bibel etwas, wonach Sie in einem «Jenseits» wären. Das waren sie nicht. Sie waren schlicht tot. Sie hatten keine Erfahrung, worüber sie berichten konnten. Heute hätte man diese Personen sofort nach Jenseitserfahrungen gefragt. Das war dort aber kein Thema. Es ist in der Bibel kein Thema. Wer das aus der Bibel begründen will, muss es erst sorgfältig hineinprojizieren, bevor man es herauslesen kann. Es gibt keine Berichte in der Bibel über ein angebliches Jenseits und YouTube-Videos überzeugen mich nicht. Ich bleibe gerne nüchtern und lasse die Aussagen der Bibel im eigenen Kontext stehen.

Nahtoderfahrungen werden so genannt, weil Menschen annehmen, sie sterben gleich. Das mag eine Möglichkeit sein. Wer bereits einen Hirntod erleidet, keinen Herzschlag mehr hat und sich selbst über den Operationstisch schweben sieht und jedes Wort der Ärzte mithören kann und diese Aussagen später von denselben Ärzten bestätigt bekam (ich habe solche Berichte aus erster Hand), der macht eine ganz spezielle Erfahrung. Tot war diese Person jedoch nicht. Es war jedoch «nahe am Tod» und vielleicht war die Situation medizinisch nicht in jeder Hinsicht zu erklären. Das ist OK. Wilde Spekulationen darüber, was stattfand, sind jedoch müssig.

Geben Nahtoderfahrungen Einblick in ein Jenseits? Nein. Der Trost der Bibel ist real, aber liegt nicht in Projektionen auf ein angebliches Jenseits. In der Bibel tröstet man mit der Auferstehung, wie bei Lazarus (Joh 11,23-27).