Wann beginnt das «ewige Leben»? Ist es ein «Upload in die Cloud» oder etwas anderes? Das ist leider nicht so klar. Es hängt davon ab, wie man den Begriff interpretiert. Die meisten Christen interpretieren ihn aus der Tradition heraus. Die Tradition ist jedoch wenig kompatibel mit dem, was die Bibel selbst berichtet.

Was ist das ewige Leben?

Bevor man klären kann «wann» das ewige Leben beginnt, müssen wir uns bewusst sein, was wir mit «ewigem Leben» meinen. Das ist nämlich nicht so klar, wie es scheint. Es gibt verschiedene Interpretationen. Deswegen ist die Antwort darauf, wann das ewige Leben beginnt, unzertrennlich damit verbunden, was wir uns dabei vorstellen.

Wer von «ewigem Leben» spricht, knüpft dabei an die Bibel an. Allerdings sind die Übersetzung «ewig» und die damit verknüpfte Interpretation von «Endlosigkeit» erst lange nach Abschluss des Neuen Testaments entstanden. Es sind spätere Projektionen. Infolge dieser Entwicklung deuten viele das «ewige Leben» als «endloses Leben», als ginge es um eine endlose Dauer. Es ist die Quantifizierung eines Ausdruckes. In einem früheren Beitrag «Was ist «ewiges Leben»?» habe ich darauf hingewiesen, dass es in der Bibel dagegen nicht um eine Quantität, sondern um eine Qualität geht. Nicht die Dauer stand im Neuen Testament zentral, sondern das «Dazugehören». Das ewige Leben deutete auf eine spezielle zukünftige Situation hin, woran man teilhaben sollte.

In krassem Kontrast damit bedeutet «ewiges Leben» für viele heute, dass man endlos lebt, und man dieses endlose Leben (hier bereits umgedeutet) dann erhält, wenn man zum Glauben kommt. Dazu wird etwa Johannes 3,16 zitiert:

«Denn so liebt Gott die Welt, dass Er Seinen einziggezeugten Sohn gibt, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht umkomme, sondern äonisches Leben habe.»
Joh 3,16

Die hier verwendete Übersetzung schreibt «äonisches Leben» statt «ewiges Leben», weil das näher beim Grundtext liegt. Es geht um die Wörter «ewig» und «Ewigkeit», im Griechischen um «aionion» und «aion». Ein Äon ist ein Zeitalter, keine Endlosigkeit.

Die Berichte und Briefe im Neuen Testament skizzieren ein Verständnis von verschiedenen Zeitaltern, die nacheinander stattfinden. Wir leben in einem aktuellen Zeitalter (gr. aion, Äon, Gal 1,4), das jedoch einmal abgeschlossen wird (Mt 13,39) und von einem neuen Zeitalter, dem «kommenden Äon» (Eph 1,21) abgelöst wird. Das ist die Zukunft. Davon sprach Jesus in einem jüdisch-israelisch-prophetischen Kontext.

Dieses kommende Zeitalter war der Ausblick des kommenden messianischen (Mt 4,17) Königreiches für Israel (Apg 1,6), wovon der Prophet Daniel einst sagte, dass es der Gott des Himmels unter allen Himmeln und auf der ganzen Erde aufrichten wird (Dan 2,44; Dan 7,27). Deswegen spricht Jesus in den Evangelien oft von einem Kontrast zwischen dieser Zeit und jener Zeit (Mk 10,30; Lk 18,30; Mt 12,32).

Dieses Verständnis ging im Laufe der Kirchengeschichte fast komplett verloren. Israel geriet in den Hintergrund und damit Israels Erwartung. Aus dem messianischen Ausblick wurde nichts, auch nicht in der Theologie. Es wurde etwas Neues erfunden, das «ewige Leben», das der Gläubige «erhalten» sollte, sobald er «zum Glauben kommt». Davon hat Jesus zwar nicht gesprochen, aber wem stört das schon?

Ein Vers wie in Joh 3,16 wird regelmässig entsprechend der Tradition interpretiert, nicht nach dem Kontext. Speziell zu diesem Vers gibt es bereits den Beitrag «So sehr liebt Gott die Welt», der näher auf den Kontext eingeht.

Christliche Projektionen

Wer nun meint, dass ewiges Leben «endloses Leben» meint, deutet auf eine viel spätere Entwicklung. Die ursprüngliche Bedeutung ging verloren. Neue Ideen wurden über den Text gelegt. Nehmen wir aber einmal an, dass es beim «ewigen Leben» um «endloses Leben» handelt und die Tradition stimmt. Was heisst denn das?

Zuerst soll man verstehen, wie es zu diesem ewigen Leben kommt. In der Regel stellt man sich das so vor, dass jemand glauben muss (eine Glaubensleistung erbringen) aufgrund dessen Gott dann «ewiges Leben» schenkt. Es ist erstaunlich, wie hartnäckig sich solche Dinge halten. Glaube als Vorbedingung und das ewige Leben ist dann die Zahlung Gottes. So stellen es sich viele Menschen vor. Ewiges Leben ist die Leistung Gottes, für die ich mit meinem Glauben bezahle?

Erstaunlich ist jedoch, dass auch die Nichtgläubigen ewig leben. Diese sollten nämlich in der Hölle «ewig gequält» werden. Die Endlosigkeit oder das ewige Leben sind also kein Alleinstellungsmerkmal der Gläubigen. Unverständlich, dass dies oft so verstanden wird. Selbstverständlich wird daraufhin betont, dass es doch einen Unterschied zwischen Himmel und Hölle gäbe, womit aber zugegeben wird, dass die Dauer nicht das eigentliche Thema ist. Bestenfalls liegt die Betonung also auf das Leben, nicht auf das Endlose. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die auch viel näher zum ursprünglichen Bild liegt, das uns in den Evangelien begegnet.

Bestenfalls liegt die Betonung also auf das Leben, nicht auf das Endlose.

Versuchen wir die Rede vom «ewigen Leben» noch etwas zu hinterfragen. Gehen wir davon aus, dass dieses ewige Leben auch so etwas wie «endloses Leben» und demnach «Unsterblichkeit» bedeutet, ergeben sich weitere Probleme. Die Aussage ist häufig, dass es unser Glauben ist, wodurch wir dieses ewige Leben erhalten. Das würde nach üblicher Interpretation bedeuten, dass wir Unsterblichkeit erhalten, in dem Moment, wo wir unser Vertrauen auf Gott setzen. Hier ist ein weiterer Vers, worauf die unmittelbare Verleihung des ewigen Lebens basiert:

«Das aber ist das äonische Leben, dass sie Dich erkennen, den allein wahrhaften Gott, und den Du ausgesandt hast, Jesus Christus.»
Joh 17,3

Nach diesem Vers, so wird argumentiert, «haben» wir ewiges Leben, sobald wir zum Glauben kommen. Trotzdem sterben Gläubigen genauso wie alle übrigen Menschen. Hier gibt es demnach einen Erklärungsnotstand.

Der Erklärungsnotstand folgt in der Regel dazu, dass man entweder ausweicht mit Aussagen wie «das können wir nicht wissen» oder einräumt, dass hier lediglich eine Verheissung gemacht wird, dessen Erfüllung noch aussteht. Lesen wir sorgfältig die vorangehenden Verse (Joh 17,1-2), dann betet Jesus, dass der Vater Ihm verherrlichen möge, damit Jesus den Segen Gottes seinen Jüngern weitergebe, auch äonisches Leben. Von einem bestimmten Zeitpunkt wird nicht gesprochen. An anderer Stelle wird deutlich, dass das äonische Leben erst im kommenden Äon gegeben wird (Mk 10,30). Das ist logisch, weil das äonische Leben hat mit dem kommenden Äon zu tun. Es ist eine Qualität und Zugehörigkeit, nicht eine Quantität oder Dauer.

Die Diskrepanz auflösen

Nach dem Bericht des Neuen Testaments gibt es also ein «äonisches Leben». Bei diesem Begriff geht es um das Leben des künftigen Zeitalters, des künftigen Äons. Dagegen steht das Bild der Tradition, der über den ursprünglichen Zusammenhang hinwegschaut und ein endloses Leben daraus gemacht hat. Die Rede von einem endlosen Leben führt zu allen möglichen Diskrepanzen.

Wegweisend ist jedoch die Idee einer Verheissung. Jesus sprach von einem äonischen Leben und sichert das den Zuhörern immer wieder zu. Das war die Verheissung. Sowohl in Johannes 3,16 als auch in Johannes 17,3 wird nichts über einen unmittelbaren Beginn gesprochen. Im Rahmen der Geschichte jedoch können wir erkennen, dass Jesus über ein künftiges Reich predigte, das «Königreich der Himmel», das Gott auf der Erde aufrichten sollte. Die Propheten sprachen nicht über Endlosigkeit, sondern über eine wunderbare Zukunft, worin Gerechtigkeit herrschen würde. Wenn Er sagt, dass die Glaubende äonisches Leben haben, dürfen diese Menschen zuversichtlich in die Zukunft blicken. Sie werden einmal dabei sein und sogar wenn sie sterben sollten, werden sie durch Auferstehung Teil von dieser Zukunft sein.

Es geht beim ewigen Leben also nicht darum, dass man nicht mehr sterben könnte, sondern dass der Tod überwunden wird, sogar wenn man stirbt. Deshalb war Martha zuversichtlich, dass Ihr gerade verstorbener Bruder Lazarus einmal auferstehen wird (Joh 11,24). Das war die jüdische Erwartung, die von den Aussagen der Propheten her genährt wurde. Wenig später weckte Jesus Lazarus aus den Toten auf, was eine aussergewöhnliche Aktion war. Es zeigt machtvoll, dass Jesus «die Auferstehung und das Leben» war, in dieser Reihenfolge:

«Jesus entgegnete ihr: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an Mich glaubt, wird [für den Äon] leben, wenn er auch stirbt. Und jeder, der [dann] lebt und an mich glaubt, wird für den Äon keinesfalls sterben! Glaubst du dies?“»
Joh 11,25-26

Dies beschreibt treffend, dass es die Erwähnung von «äonischem Leben», respektive «ewigem Leben», als Verheissung zu verstehen ist und einmal im kommenden Äon oder Zeitalter durch Auferstehung erfüllt werden wird. Dann wird man nicht mehr sterben können.

Paulus’ Botschaft an die Nationen

Während Jesus und die 12 Apostel die messianische Verheissung primär an Israel predigten, wurde später Paulus speziell als «Apostel der Nationen» (Röm 11,13) berufen. Das ist eine besondere Entwicklung, die niemand vorausgesehen hatte und womit sogar Petrus etwas Mühe hatte, es zu verstehen (2Pt 3,15-16).

Paulus spricht ebenso von den Äonen und etwa von einer «Erwartung ewigen Lebens» (Titus 1,2), aber dies ist nicht gleichbedeutend mit der messianischen Erwartung von Israel. Fragen wir nun, ob bei Paulus etwa das ewige Leben «sofort» beim Glaubensanfang verliehen wird? Nein, das geschieht nicht. Auch Paulus sieht Glaube heute als geistige Realität und nicht als vollständige Erfüllung. An verschiedenen Punkten spricht er deshalb von Verheissung einerseits, und von einer späteren Erfüllung.

«In Ihm [Christus] seid auch ihr, die ihr glaubt, versiegelt mit dem Geist der Verheissung, dem heiligen (der ein Angeld unseres Losteils ist bis zur Freilösung des uns zugeeigneten).»
Eph 1,13-14

Gläubige wurden versiegelt mit dem Geist der Verheissung, als Anzahlung auf eine spätere Erfüllung.

«Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis nun mit uns ächzt und Wehen leidet. Aber nicht nur sie allein, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben, auch wir selbst ächzen in uns, den Sohnesstand erwartend, die Freilösung unseres Körpers. Denn auf diese Erwartung hin wurden wir gerettet. Erwartung aber, die erblickt wird, ist keine Erwartung.»
Röm 8,22-24

Wir warten noch darauf. Wir wurden zwar gesegnet mit jedem geistlichen Segen (Eph 1,3), aber dieser Segen ist rein geistlich. Es ist bislang nicht weiter als der Geist durchgedrungen. Diese erweiterte Befreiung liegt noch vor uns.

Wann beginnt das ewige Leben?

Zusammenfassend können wir verschiedenes festhalten:

  • Das äonische Leben im Rahmen der messianischen Erwartung beginnt mit der Aufrichtung des messianischen Reiches, dem kommenden Äon (Mk 10,30).
  • Das äonische Leben als Unsterblichkeit beginnt mit der Auferstehung zu unauflöslichem Leben (1Kor 15,22; 1Kor 15,42-49; 2Tim 1,10).
  • Endlosigkeit ist kein Konzept, dass wir in der Bibel zurückfinden. Die Bibel beschreibt Äonen als lange Zeitabschnitte und sieht, dass Gott durch diese Äonen hindurch auf ein Ziel zusteuert (Eph 3,11).
  • Die Feststellung, dass der Ausdruck «ewiges Leben» nicht korrekt ist, lässt uns nicht das «endlose Leben» verlieren. Vielmehr geht es darum, dass wir die Idee von fortwährendem Leben nicht an dem Wort «äonisch» aufhängen sollten. Wir wissen aus dem 1. Korintherbrief, dass der Tod einst als letzter Feind aufgehoben wird. Dann siegt das Leben über alles (2Tim 1,10). Die neutestamentliche Erwartung sieht die Auferstehung als Lösung und Erlösung, nicht ein schwammiges «ewiges Leben», das man beim Glaubensanfang oder beim Sterben erhält.

Ewiges Leben ist kein «Upload in die göttliche Cloud». Für den gläubigen Israeliten war die Verheissung von äonischem Leben die Zusage, dass sie im kommenden messianischen Reich dabei sind. Für Gläubige aus der heutigen Gemeinde ist die Zukunft ebenso real, und wir dürfen uns ebenso danach ausstrecken, einst mit Christus zu sein. Das wird für die meisten via Tod und Auferstehung zutreffen (1Thess 4,13-18).

Das ist der Anfang von dem, was mit dem Wort Ewigkeit gemeint, aber nicht beschrieben ist.

Vertiefung

Je tiefer der Wunsch, dass das Leben mehr oder weniger weitergeht, desto mehr möchte man das wahrhaben. Alles, was die gewünschte Sicht bestätigt, scheint dabei gut zu sein. YouTube ist voll von vermeintlichen Jenseits-Erfahrungen. Nahtoderfahrungen etwa werden häufig so beschrieben. Dabei sind sie ganz fest im Diesseits verankert, was der Name bereits ausdrückt.