Auch wenn es immer wieder mal so dargestellt oder verstanden wird – das Evangelium oder das Christentum ist kein «Ticket in den Himmel». In der Bibel geht es nicht um wilde Fantasien und religiöse Projektionen, sondern um die Realität unserer menschlichen Erfahrung – und Gottes Antwort darauf.
Die menschliche Erfahrung
Hintergrund für das Evangelium ist stets die menschliche Realität. Die Bibel ist nicht weltfremd, sondern spricht gerade gegen den Hintergrund der menschlichen Erfahrung. In diese Erfahrung spricht das Evangelium hinein. Gottes Zusagen sind nicht für weltfremde Spinner, sondern für Realisten, die in der Erfahrung dieser Welt den Ausblick des Evangeliums als «Gute Nachricht» erkennen.
Unsere Welt wird in der Bibel weder geschönt noch verteufelt. Unsere Welt ist unvollkommen und geplagt von Vergänglichkeit. Die ganze Schöpfung, schreibt Paulus, ist in Not. Das ist eine schlichte Feststellung. Ganz besonders deutlich wird das im Römerbrief, der so etwas wie eine Übersicht über die Not dieser Welt und Gottes Antwort darauf bietet (Röm 8,20-23).
Der Römerbrief ist so etwas wie eine Übersicht über die Not dieser Welt und Gottes Antwort darauf.
Die Not der Welt zu erkennen bedeutet keineswegs, dass alles einfach schlecht wäre. Die Not der Welt, das Leiden und der Tod, die Zielverfehlung und die Sünde – sie alle sind real, aber drängen zu einer Befreiung. In der Bibel heisst das «Erlösung».
Keine schwammige Spiritualität
Mit einer schwammigen Spiritualität ist die Not unserer Welt nicht zu begegnen. In der Bibel geht es nicht um religiöse Gefühle. Gefühle hast Du für Dich, während eine Beziehung nur gelebt werden kann. Da liegt der Unterschied: Spiritualität kannst Du nur für Dich selbst pflegen und ist auf das eigene Erleben gerichtet, während die Bibel in eine Beziehung mit Deinen Nächsten, mit Gott und die Welt hineinführt.
Evangelium heisst «Frohbotschaft». Die Nachricht ist froh, weil sie gegen den Hintergrund menschlicher Erfahrung erscheint, die weniger froh ist. Das Evangelium ist konkret, weil unsere Not konkret ist. Gesegnet ist, wer aktuell keine Not spürt, aber jeder wird einmal im Leben an die eigenen Grenzen geraten. Die Relevanz des Evangeliums schliesst dort an, aber mit einer wichtigen Unterscheidung: Es geht nicht immer um die persönliche Not, sondern oft um die Not generell. Wer nur für das eigene Leben eine rasche Linderung aus der Bibel herauslesen will, tut gut daran, aber das ist nicht das eigentliche Anliegen. Gott geht es nicht um die einzelne aktuelle Situation, sondern ums Ganze. Sein Ziel ist es «alles in allen» zu werden (1Kor 15,28).
Die Auseinandersetzung mit der Realität
Aus eigener Kraft gelingt die Befreiung aus den gespürten Begrenzungen nicht. Wir sind in unserer Vergänglichkeit gefangen. Deshalb ist das Evangelium eine befreiende Botschaft. Gott Selbst macht frei, indem er durch Jesus Christus, Seinen Sohn, Seine eigene Gerechtigkeit bewirkt, wo wir es nicht erreichen können. Das ist dann die Grundlage für alles, was Gott in der Bibel als frohe Botschaft bekannt gibt.
Wenn Paulus im Römerbrief die Ungerechtigkeit des Menschen sowie die Gerechtigkeit von Gott detailliert ausarbeitet, dann geht es erstaunlicherweise nicht um Dinge, die wir «tun sollten», als fordere das Evangelium bestimmte Verhaltensweisen oder Leistungen. Paulus schildert keinen fordernden Gott. Es geht nicht um das, was wir «tun sollten», sondern um das, was «in der Welt ist». Paulus beschreibt eine Realität, einen wahren Zustand.
Paulus fordert uns im Römerbrief auf, dass wir uns mit der Realität auseinandersetzen.
Zuerst ist es die Realität des Menschen, mit all seinen Verfehlungen. Danach schildert er die Realität des Evangeliums, worin Gott selbst Erlösung schenkt. Paulus fordert uns im Römerbrief auf, dass wir uns mit der Realität auseinandersetzen. Wenn er die Realität beschreibt, so geht es um das Verhältnis zwischen Gott und uns und selbstredend auch über das, was wir dadurch erreichen (oder: nicht erreichen). Paulus führt uns hierhin, dass wir unsere Realität im Licht von Gottes Realität erkennen. Dort wachsen Zuversicht und Glauben.
Worüber das Evangelium spricht
Worüber die Bibel spricht, ist ebenso wichtig als das, worüber sie nicht spricht. Manche Themen sind in vielen Gemeinschaften ausserordentlich wichtig, aber sie spielen in der Bibel keine oder nur untergeordnete Rolle. Das Evangelium ist eine Frohbotschaft, aber weshalb?
Vielleicht verwundert es, dass das Evangelium, welches Paulus beschreibt, nicht über Himmel und Hölle spricht. Als Adam und Eva im Garten Edens waren, wurde Ihnen nicht die Hölle angedroht, sondern die Sterblichkeit. Im Verständnis vieler Christen jedoch geht es um Himmel und Hölle. Was ist passiert, dass sich dies so entwickelt hat? In der Bibel gibt es keine «Destinationen Himmel und Hölle». Das ist nicht das Thema. Die Vorstellung ist aus vielen Überlegungen heraus falsch. Nicht nur spricht die Bibel nicht davon, sondern es gibt ganz andere Dinge, die sehr wohl erwähnt sind. Bei der Idee von Himmel und Hölle steht letztlich der Mensch im Mittelpunkt, aber ein Gott, der über allem steht, bedarf solche Dinge nicht. In der Bibel geht es beim Endziel ganz um Gott, der jedoch «alles in allen» sein wird (1Kor 15,28). Dort geht es um Erlösung, Erfüllung und Beziehung.
Die Bibel beschreibt die Probleme, womit die Menschheit zu kämpfen hat und reduziert sie auf zwei Kernaussagen: Sünde (Zielverfehlung) und Tod. Das Evangelium stellt dem zwei Lösungen entgegen: Gerechtigkeit (Zielfindung) und Leben.
Gegen diesen Hintergrund spricht das Evangelium über Gottes Gerechtigkeit (Röm 1,16-17). Dort beginnt die Lösung und Erlösung. Er schafft etwas Neues. Seine Gerechtigkeit bewirkte Er am Kreuz. Dies ist die Antwort auf die Ungerechtigkeit der Welt und Grundlage für die Erlösung. Auf Basis von Gottes Gerechtigkeit gibt es Leben, Frieden, Versöhnung und ultimativ gegenseitige Aussöhnung (Kol 1,20; 1Kor 15,28).
Das Problem ist nicht die Hölle und die Lösung ist nicht der Himmel
Was der Apostel Paulus als Evangelium im Römerbrief vorstellt, beantwortet die Fragen nach Sünde und Tod. Nirgendwo spricht Paulus über die Hölle. Das Problem des Menschen nicht die Hölle. Die Lösung ist nicht der Himmel. Auch wenn es immer wieder mal so dargestellt oder verstanden wird – das Evangelium oder das Christentum ist kein «Ticket in den Himmel» und das Evangelium hat nicht einen «Ort» als Inhalt.
Es geht um ganz andere Dinge, wie vorher erwähnt. Sünde und Tod werden in der Bibel als die eigentlichen Herausforderungen unseres Lebens gesehen. Sie werden durch Gerechtigkeit und überfliessendes Leben mehr als wettgemacht. Das ist der Inhalt der frohen Botschaft, des Evangeliums.
Besser als ein Ticket in den Himmel
Gott will heute alles in Dir und mir werden. Gott ist für Dich (Röm 8,31). Einmal wird Er alles in allen sein (1Kor 15,28). Dann wird die Vollkommenheit Gottes die Schöpfung ganz ausfüllen. Das letzte ist das erklärte Ziel. Das ist Erlösung im paulinischen Sinne und dieser Ausblick erscheint mir besser als ein Ticket in den Himmel.