Nicht wenige Leute schauen ehrfürchtig zu Theologen auf. Damit bestätigen sie ein System, das von Abgrenzung lebt und worin Menschen bestimmte Rollen zugeordnet bekommen. Es gibt die «Professionellen» und die «Laien». Mit Glaube aber hat eine solche Aufteilung nichts zu tun.

Theologen müssen nicht glauben. Gläubige müssen keine Theologie betreiben. Was für mich selbstverständlich ist, ist es nicht überall. Es gibt Gläubige, die meinen, Theologen sind die bessere Gläubige. Nicht wenige Theologen meinen, sie stehen in einer bestimmten Position, die über die restlichen Gläubigen steht. Selbstverständlich trifft das nicht für alle Menschen zu, aber einige leben ihre Rolle mit Hingabe und haben ein Selbstverständnis aufgebaut, das mit dieser Rolle verknüpft ist. Das kann problematisch werden.

Professionalisierung des Glaubens

Glaube kann nur persönlich sein. Glaube hat mit einem Beruf gar nichts zu tun. Es gab Zeiten, worin der Beruf «Pfarrer» beworben wurde, als sei das finanziell attraktiv. Wer Geld verdienen wollte, sollte Pfarrer werden. In manchen Ländern, etwa in der Schweiz, kann das hier und dort noch zutreffen. Verteidigt wird dieser glückliche Umstand mit einem Hinweis auf ähnliche Ausbildungen und was man dort verdient. Ich verstehe das.

Geld und Glaube stehen jedoch auch immer in einem Spannungsfeld – wenn man die biblische Narrative folgt. Paulus sagt etwa über die Zusammenstellung der Gemeinde:

«Seht doch nur eure Berufung an, Brüder; da sind nicht viele Weise dem Fleisch nach, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme; sondern das Törichte der Welt erwählt Gott, damit Er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt erwählt Gott, damit Er das Starke zuschanden mache. Das Niedriggeborene der Welt und das von ihr Verschmähte erwählt Gott, ja das, was bei ihr nichts gilt, um das abzutun, was bei ihr etwas gilt, damit sich überhaupt kein Fleisch vor den Augen Gottes rühmen könne.»
1Kor 1,26-29

Mit solchen Aussagen wird weder Weisheit noch Reichtum, werden weder hohe Positionen noch Stärke verpönt. Es ist kein Vorteil, in dieser Welt schwach zu sein. Im Gegenteil: Es ist von Vorteil, reichlich Geld zu haben, einen gewissen Status zu erreichen und darauf aufzubauen.

Warum es hier geht: Es wird bloss einen Kontrast hervorgehoben. In der Gemeinde, als Gegensatz zur «Welt», läuft es anders. Das ist keine Absage an Reichtum und Macht. Beide bleiben anerkannt. Beide haben in der Gemeinde jedoch nicht die Bedeutung, welche sie in unserer Gesellschaft hat. In der Gemeinde funktioniert einiges anders als in der «Welt» ausserhalb der Gemeinschaft. Deswegen gibt es einen Kontrast, worauf Paulus hier hinweist. Es ist jedoch keine Absage an Weisheit, Reichtum und anderen Dingen.

Einige Beispiele: Paulus etwa war ausgebildeter Rabbiner, unterrichtet von Gamaliel (Apg 5,34; Apg 22,3), dem Enkel des berühmten Hillel, der Ältere. Er war Theologe, hatte sich auch Weisheit angeeignet. Ausserdem stand er in bester jüdischer Abstammung. Er erkannte, dass seine Abstammung und Ausbildung ihm viele Vorteile einbringen konnte, aber das alles hat er  im Licht seines Glaubens und Vertrauens bewusst ausgeblendet (Phil 3,3-21). Ebenso war Abram (später: Abraham) sehr vermögend (1Mo 13,2). Reichtum hat ihn nicht daran gehindert, der «Vater aller Gläubigen» zu werden (Röm 4,16), nämlich sowohl der Beschnittenen als auch der Unbeschnittenen. Abraham war nicht einmal Jude oder Christ. Seine Bedeutung kam nicht aus seiner Abstammung, sondern aus dem, was er tat.

Worauf ich hinaus will: Die Professionalisierung des Glaubens hat Vorteile, aber sie liegen nicht in Reichtum und Macht. Wer den Fokus darauf legt, baut lediglich eine Institution und eigene Ziele, nicht aber die Gemeinde. Worauf ich weiter hinaus will: Die heutige Professionalisierung und den Unterschied zwischen «Predigern und Laien» bedingt eine grosse zahlende Unterschicht, wovon die Oberschicht profitiert. Wir sehen vor unseren Augen, wie die Kirchen auseinander bröckeln und dieses System keine Zukunft hat. Die Frage lautet deshalb, wie es weitergehen soll.

Kirche 2.0

Diese Frage ist nicht neu und wird auch auf dieser Website nicht zum ersten Mal gestellt. Wir stehen mitten in einer Umbruchphase. Darüber nachzudenken ist mir und vielen anderen wichtig, weil Glaube erst in der Gemeinschaft sich reich entfalten kann. Wir lernen und glauben aneinander, miteinander und nicht selten auch füreinander.

In diesem Beitrag geht es mir um Glaubensgemeinschaften der Zukunft und wie Theologie darin stützend und bildend anwesend sein kann. Darüber nachzudenken möchte ich anregen. Die bisherige Professionalisierung des Glaubens hat eine Situation geschaffen, die in der westlichen Welt wohl bald kaum noch tragbar ist. Inhaltlich ist sie nicht mehr tragbar (was die Austritte aus der Kirche bestätigen) und finanziell ist sie wohl auch bald nicht mehr tragbar (wie das auf breiter Front erkannt wird und an vielen Orten bereits zutrifft). Jeder, der versucht, die alten Strukturen wiederzubeleben, hat m. E. bereits verloren.

Die «alte» Ausprägung der Kirche scheint ein Auslaufmodell zu sein. Die bisherige Ausprägung habe ich andernorts bereits «Kirche 1.0» genannt. Ich zweifle nicht daran, dass Menschen weiterhin glauben und weiterhin aus der Bibel lernen möchten. Die Struktur dafür ist jedoch im Wandel begriffen. Wir sind unterwegs zu einer neuen Situation, die wir «Kirche 2.0» nennen können. Für diese neue Struktur gelten andere Zusammenhänge und Abhängigkeiten.

Ich vermute, die bisherige Unterteilung in Predigern und Laien wird eine andere Basis erhalten müssen. Vielleicht wird sie weniger hierarchisch sein, vielleicht auch wird es andere Finanzierungsmodelle geben müssen und – wie in alten Zeiten – gehen die Professionellen in der Glaubensgemeinschaft für den eigenen Lebensunterhalt zusätzlich ganz normale Berufe nach.

Bei der Struktur der Kirche 1.0 wird Folgendes passieren:

  • Es werden weiterhin Menschen austreten (die Kunden laufen davon)
  • Das Geld wird weniger werden (mit Folgen für Dienstleistungen, Gemeinschaften und Aufgaben)
  • Gemeinden werden aus finanzieller Not fusionieren müssen
  • Pfarrer und Prediger werden grössere Gemeinden bedienen müssen
  • Pfarrer und Prediger werden oft mehrmals am Sonntag predigen müssen, an unterschiedlichen Orten
  • Der Leistungsdruck für Professionellen wird höher
  • Der Service für Laien wird reduziert
  • Gemeinschaftsbildung wird schwieriger werden

Summa summarum: Auf Dauer ist dies keine Lösung. Diese Entwicklung ist nichts anderes, als, was in der Wirtschaft tagtäglich geschieht. Es sind Mechanismen, die aus dem Zwang finanzieller Abhängigkeiten entstehen. Eine Kirche 2.0 muss sich aus diesen finanziellen Abhängigkeiten und alten Denkmustern befreien können, um neue Formen denken zu können.

Bevor man neue Dinge greifen und begreifen kann, muss man häufig altes loslassen. Wenn man heute in einer Kirche oder freien Gemeinde aktiv ist, kann man das als Gedankenspiel versuchen. Etwa so: Man stelle sich vor, dass es in der Gemeinschaft nur Gläubige gibt, keine Theologen, und weder Saläre bezahlt werden müssen, noch andere Dinge finanziert werden müssen. Das Einzige, was gilt, ist der gemeinsame Glaube, das gemeinsame Gottvertrauen und den Wunsch, daraus eine neue Gemeinschaft zu entwickeln.

Wie kann das aussehen? Man erkennt, dass die Bibel eine Funktion hat, dass man alle von Christus berufen ist, und dies logischerweise einen Ausdruck im Leben sucht. Was heisst das? Man kann sich als Nächstes fragen, welche Gaben und Vision man selbst hat, und was es für die Gemeinschaft benötigt. Man kann zusammen ein Brainstorming über diese Dinge machen, damit man zu den ganz eigenen Vorstellungen der Gemeinde kommt. Es hilft, solche Ideen auszuformulieren, damit allmählich ein neues Bild entsteht.

Vielleicht zeigt es sich, dass es nicht ganz einfach ist, Neues zu denken. Der Sog alter Gedanken wird hoch sein. Wie kann man einen Rückfall in Kirche 1.0 vermeiden und was benötigt es an Ressourcen für eine mutige Weiterentwicklung?

Glaube und Theologie

Der Begriff «Theologie» ist heute weitgehend mit einem Berufsstand von Theologen gleichgesetzt. Sie tun eine wichtige und oft geschätzte Arbeit, wofür sie hier und dort auch fürstlich entlohnt werden. In Anbetracht aktueller Entwicklungen wird dieser Berufsstand nicht auf gleiche Art weiter bestehen können. Wenn die Finanzierung wegbricht, bricht das Gefüge auseinander. Plötzlich werden andere Fähigkeiten gefragt, wird ein anderer Typus von Mensch gefragt, der bereit ist in die Gemeinschaft zu investieren und beispielsweise auch einen Teil seines Lebensunterhaltes selbst zu bestreiten.

Theologie als Ausbildung, die Menschen lehrt, sich differenziert mit Lebensfragen und Glaubensfragen auseinanderzusetzen, bleibt selbstverständlich wichtig. Der Berufsstand «Theologe» wird sich jedoch vermutlich ändern. Vielleicht muss es etwas mehr Berufung als Beruf werden. Bereits heute gibt es immer mehr Theologen, die ausserhalb der institutionellen Kirchen arbeiten. Unter dem Begriff «Public Theology» arbeitet eine wachsende Gruppe von Theologen direkt in der Gesellschaft. Sie müssen keiner Kirche mehr angehören, noch stehen irgendwo auf einer kirchlichen oder freikirchlichen Lohnliste.

Für die bisherigen «Laien» gelten ebensolche Anforderungen. Vorbei sind die Zeiten, worin man nur noch konsumieren kann, worin man sich die Rosinen für sich selbst herauspickt und die Gemeinschaft nur als Aufgabe der Kirche und der Professionellen (die «Anderen») sieht. Vorbei sind die Zeiten, worin man «Kirche spielt». Entscheidend wird die Fähigkeit sein, wie man «Kirche aktiv und verantwortungsvoll mit anderen lebt» und wie das aussehen kann.

Einige Menschen können sich «Glaubensgemeinschaft» nur in einem «richtigen» Kirchengebäude vorstellen. Sie hängen an Ritualen und bisherigen Strukturen. Was geschieht aber, wenn diese Gebäuden und Strukturen nicht mehr aufrechterhalten werden können, weil dafür das Geld fehlt? Was dann? Wie möchte man seinen Glauben dann gestalten?

Glaube ist nicht dasselbe wie Theologie. Die Kirche besteht nicht wegen der Theologie, nicht wegen der Theologen, sondern wegen der glaubenden und suchenden und fragenden Menschen. Eine Gemeinde ist primär eine Gemeinschaft von glaubenden Menschen. Glaube kann hoffentlich von allen gelebt und geteilt werden. Theologie wird nur von wenigen betrieben. Theologen haben eine Aufgabe für die Gemeinschaft zu erfüllen. Wie das genau passiert, das darf Thema einer ehrlichen Auseinandersetzung sein.

  • Wie ist der Wandel der Kirche (positiv) zu verstehen?
  • Welche Folgen hat das für bisherige Strukturen?
  • Wie kann eine Glaubensgemeinschaft der Zukunft aussehen?
  • Welche Aufgabe können Theologen in der Zukunft haben?
  • Welche Folgen haben diese Änderungen für Glaubende und Theologen?
  • Was ist das Ziel einer Glaubensgemeinschaft?

Fragen über Fragen! Man soll Eckpunkte setzen, sich fragend vorwärts bewegen. Christsein kann etwa nur mit Christus verknüpft werden. Fehlt dieser Bezug, ist es kein Christsein mehr. Das Verständnis dafür, wer Christus ist, kann man logischerweise nur aus der Bibel ernähren, oder man gibt sich mit einer ganz anderen Definition zufrieden. Auch hier soll man die Eckpunkte bewusst setzen. Die Selbstverständlichkeit der Bezüge, der Auslegung und der daraus resultierenden Glaubenssysteme wird in Zukunft vermutlich immer wieder infrage gestellt. Neue Glaubensgemeinschaften (Kirche 2.0) werden sich aus anderen Paradigmen entwickeln. Welche sind das und wie kann man das denken, gestalten und gemeinsam formen?

Der Unterschied zwischen Theologie und Glaube ist bedeutsam. Sie dürfen zusammengehören. Wie diese Begriffe in Zeiten des Umbruchs und im Hinblick auf eine neue Art von Glaubensgemeinschaft geprägt werden, ist eine Aufgabe, die wir nur im Hier und Jetzt denken können.