Wenn die Welt ungerecht erscheint, was denken wir dann? Die Frage «Warum lässt Gott das zu?» wird aus verschiedenen Situationen heraus gesprochen.

Warum Menschen so und nicht anders denken und glauben, lässt sich nicht immer auf Anhieb erkennen. Bei dieser Frage habe ich schon verschiedene Situationen erlebt. Hier einige Möglichkeiten.

Die Leugnung Gottes

Wie immer man den Gottesbegriff füllt, es wird sich stets jemand finden, der damit nicht einverstanden ist. Seltsam erscheint es mir jedoch, wenn jemand, der ausdrücklich nicht an Gott glauben will, auf das Leiden in der Welt verweist und scheinheilig fragt: «Warum lässt Gott das zu?». Es ist keine ernst gemeinte Frage, sondern eher eine Abwehr. Sie beginnt mit der Emotion, dass es Gott nicht gibt und sucht dann einen Grund, das für andere (und vielleicht für sich selbst) irgendwie plausibel zu machen. Wer auf diese Art fragt, stellt keine Frage, sondern macht lediglich eine Abwehr. Eine Antwort ist nicht erforderlich, weil man keine Antwort sucht. Man meint eigentlich: Es kann keinen Gott geben, weil sonst wäre alles in der Welt anders. Vielleicht ist man resigniert, enttäuscht, verbittert, oder spricht aus bestimmten Erfahrungen.

Daraus kommen zwei Dinge hervor:

  1. Man spricht zwar von Gott, aber meint Ihn nicht (das erscheint mir wenig produktiv)
  2. Man hat ein bestimmtes Bild von Gott, Der offenbar nicht tut, was von Ihm gefordert wird.

Der zweite Grund erinnert stark an die Frage der Theodizee: «Wenn Gott Liebe ist und allmächtig ist, weshalb ändert Er nicht das Leiden in der Welt?». Das sind selbstverständlich wichtige Fragen, die jedoch auch von einer bestimmten Haltung, von einem bestimmten Verständnis des Fragenstellers sprechen, der Gott an sein eigenes Verständnis misst. Solche Fragen sind nicht neutral.

Vielleicht spricht jemand eine solche Frage nur im Beisein von Christen aus, die offenbar an diesen «lahmen» Gott glauben. Dann wäre die Frage sogar so etwas wie eine Verballhornung der Zuhörer. Ich selbst fühle mich davon nie berührt, denn die Frage sagt mehr über den Fragesteller als über den Gott aus, Der angeblich nicht richtig tickt. Es wäre keine direkte Ablehnung, kein frontaler Angriff, sondern es wäre eher eine Form passiver Aggressivität.

Das Leiden in der Welt

Die gleiche Frage kann jedoch auch aufrichtig gestellt sein. Mit dem besten Wissen, das man von diesem Gott hat, erscheint es unerklärlich, weshalb es Leiden in der Welt gibt. Es kann sein, dass das aktuelle Leben auseinanderbricht. Es gibt genügend schwere Dinge, die man in dieser Welt erleben kann. Der Verlust von Familien und Freunden etwa, oder die Erfahrung von Krankheit, Burn-out, psychische Probleme, Einschränkungen im Alter, der Verlust der Arbeit, Beziehungsprobleme, Missbrauch, existenzielle Not, die Folgen von Naturkatastrophen, Krieg, Verfolgung und vieles mehr. Es sind alles riesige Herausforderungen, die unsere Welt auf den Kopf stellen können.

Dann hat man von diesem Gott gehört, dem man vertraut, und man versteht die Welt nicht, dass alle diese Dinge geschehen, die das Leben unendlich schwer machen. Die Frage könnte also auch lauten: «Warum muss alles so schwer sein?».

Auch hier geht es um ein verinnerlichtes Gottesbild, woraus die Frage stammt. Man meint zu wissen, dass Gott nur gut ist und es sozusagen Sein Beruf ist, überall Blümchen zu pflanzen und Menschen bei Laune zu halten. Hier kann es vielleicht hilfreich sein, die eigene Theologie einmal kritisch zu hinterfragen. Eine solche Haltung ist unter anderem in der Verkündigung eines «Wohlstandsevangeliums» und manchen charismatischen Kreisen anzutreffen.

Warum lässt Gott das zu?

Man könnte diese Frage auch als Frage an sich selbst interpretieren. So in etwa: «Weshalb denke ich, dass Gott die Not in dieser Welt lösen müsste?». Dann spricht die Frage von mir und fragt nach meinem Gottesbild. Dann stehe ich selbst im Zentrum der Frage. Es geht um meine Überlegungen und Beweggründe. Stellt man die Frage so, erkennt man auch leicht, dass Gott jemand anders ist. Wie ich funktioniere und denke, so müsse Er nicht funktionieren und denken. Es geht um meine Erwartung, mehr als um das, was und wer Gott tatsächlich ist. Das ist eine hilfreiche Erkenntnis, weil ich dann differenziere zwischen meinen und Seinen Gedanken. Kenne ich nur mich selbst und kenne ich Gott nicht, dann kann ich – wie Hiob einst – zu einer neuen Erkenntnis kommen:

«Vom Hörensagen (mit dem Gehör des Ohres) hatte ich von dir gehört, aber nun hat mein Auge dich gesehen.»
Hiob 42,5

Wenn man die Frage zuerst auf das eigene Verständnis richtet, kann Verständnis wachsen. Alles andere ist vielleicht nur Ablenkung und Projektion. Wenn es jedoch um das eigene Gottesverständnis und dem eigenen Verständnis dieser Welt geht, kann man und muss man auch ehrlich mit sich selbst sein. Es reicht nicht, Gott zu verurteilen. Ich muss mich mit mir selbst auseinandersetzen.

Weltbild, Gottesbild, Menschenbild

Die Frage «Warum lässt Gott das zu?» spricht zuerst vom eigenen Verständnis. Obwohl die Bestürzung über das Leid und Sterben in dieser Welt real ist und ernst genommen werden muss, scheint die Idee vorzuherrschen, dass Gott die Not «reparieren müsste». Das ist eine klare Erwartungshaltung und Projektion nach aussen. Die sollte man sich bewusst werden, wenn man ernsthaft eine Antwort auf die Frage sucht.

Unser Weltbild, Gottesbild und Menschenbild hängen zusammen. Es gibt diese drei Punkte und schraubt man an den Einstellungen eines dieser Punkte, dann ändern sich automatisch auch die Einstellungen der anderen zwei Punkten. Hat man also die Erwartung an Gott, dass dieser die Welt reparieren müsste (und zwar sofort und jetzt und eigentlich schon seit gestern), der schwimmt in einem bestimmten Verständnis von Gott, der Welt und auch von sich selbst. Nun kann man diesem Umstand zwar nicht ausweichen, aber man kann bewusster damit umgehen und realisieren, dass man die Welt, sich selbst oder auch Gott anders sehen könnte.

Viele Menschen denken etwa, dass «Gott nur gut» sei. Jesus hat es in einem Gespräch auf andere Art formuliert und sagte:

«Was heissest du mich gut? Niemand ist gut, als nur einer, Gott.»
Lk 18,19

Es ist ein Unterschied, ob Gott «nur gut» ist, oder ob «nur Gott» gut ist. Denn Gott ist in der Bibel nicht nur gut. Er hat sogar das Üble erschaffen, lesen wir bei Jesaja (Jes 45,7). Wir können demnach nicht annehmen, dass Gott nur gut ist und deshalb verpflichtet sei Gutes zu tun. Das ist nicht der Fall. Die Vorstellung, dass Gott nur Gutes zu tun hat ist vielleicht etwas naiv?

Ein Gott, der diesen Namen verdient, ist vor allem eins: Gott. Er steht über allem und macht das, was Ihm gefällt. Er benötigt keine Zustimmung von uns. Er handelt wie Er will. So wie Paulus Gott beschreibt:

«Der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens.»
Eph 1,11

Gottesbild
Wer das zum ersten Mal liest, findet der Gedanke vielleicht unbequem. Manch einer macht den Kurzschluss, dass Gott «also willkürlich sei». Das ist nicht so. Der Fehler liegt in unserem Denken, der Gott «als ausschliesslich gut» deklarierte, obwohl die Bibel deutlich differenzierter darüber spricht. Ist es schwer zu glauben, was Paulus im Epheserbrief schrieb?

Weltbild
Die Welt, so meint man, «müsse gut sein». Die Erwartung an die Welt und an das Leben spielt ebenso eine grosse Rolle im Verständnis. Wer das Leiden wahrnimmt, möchte selbstverständlich, dass dies aufhört. Kranken möchten geheilt werden, Arme möchten genug zum Leben haben, Gerechtigkeit sollte herrschen. Das sind alles Dinge, die etwa für die Ideen des messianischen Reiches eine Rolle spielen. Man wünscht sich eine bessere Welt und bei den Propheten des Alten Testaments wird eine solche bessere Welt skizziert. Man sehnt sich danach. Allerdings ist dieser Zustand bislang nicht eingetroffen. Hier sollte man stillstehen: Wer eine Hoffnung und Erwartung pflegt, steht an einem anderen Ort als jemand, der alles hier und jetzt und sofort besser haben will. Dies ist der Unterschied:

  • Wer jetzt lebt und jetzt Änderung erwartet, steht in einem Konflikt, das nicht zu lösen ist. Es ist die Ausgangslage für eine Rebellion. Nüchternheit zeigt: Die Welt ist nicht gerecht, alle werden Sterben, mit allen Konsequenzen, und vieles bleibt ungelöst.
  • Wer aus einer Erwartung heraus lebt, fühlt dasselbe Leiden, aber steht darin mit einer Erwartung und einem Ausblick. Das kann dabei helfen, die aktuelle Not zu überstehen.

Menschenbild
In beiden Fällen wird die Welt nicht anders, aber wie wir darin stehen ändert sich. Es ist eine Lebenshaltung, vielleicht sogar eine Glaubenshaltung, wie wir die Welt wahrnehmen und verstehen.

Wer aus Erwartung lebt, hat ein positives Menschenbild, nicht aus der erfahrenen Realität, sondern aus der antizipierten Realität der Zukunft. Damit wird nicht ein schwammiges Jenseits gemeint, sondern eine Kraft, die auch in der heutigen Zeit sich entfalten kann («Deshalb seid gutes Mutes, ihr Männer! Denn ich vertraue Gott, daß es so sein wird, wie zu mir geredet worden ist.» Apg 27,25). Deshalb sind Menschen, die einen lebendigen Glauben pflegen, resilient in schwierigsten Umständen. Das ist nicht auf eine bestimmte Frömmigkeit, Denomination oder gar Religion begrenzt. Man wird das überall auf der Welt finden. Das gilt auch dann, wenn ich bewusst mein Verständnis der Bibel als der beste Ausblick erkenne.

Der Punkt ist dieser: Vielleicht ist «Wahrheit» («ich glaube richtig und du liegst falsch») nicht das einzige Kriterium für eine Bibelbetrachtung. Vielleicht spricht die Bibel selbst eher über das, was uns hier und jetzt beflügelt. Damit sei gemeint: Die Bibel spricht aus der heutigen Zeit und Not heraus, aber skizziert eine Lebens- und Glaubenshaltung, die von Zuversicht und Gnade geprägt ist.

Glaube neu denken

Die Bibel kann nüchtern sein und in dieser Welt verankert bleiben, während die Botschaft darüber hinaus schaut und von einem Gott spricht, der in der Zeit, aber nicht unbedingt heute, handelt.

Wenn ich es so betrachten kann, bleibt Gott Sich selbst und auch ich bleibe mit beiden Füssen auf dem Boden stehen. Diese Welt ist zwar vollkommen unvollkommen, aber sie ist auch Gottes Welt. Darin läuft heute vieles nicht perfekt, aber dadurch läuft noch lange nichts aus dem Ruder. Ich kann beginnen, Glaube neu zu denken.

Dann aber erhält die Frohe Botschaft Bedeutung, weil sie sowohl in dieser Welt verankert ist als auch von Gottes Wirken spricht. Dann macht alles einen Sinn. Wenn ich daraus dann froh und dankbar, aber auch realistisch und mit Ausblick lebe, erfahre ich Gnade in dieser Zeit.