Es gibt ein «Geheimnis des Glaubens». Paulus spricht davon. Das ist nicht geheimnisvoll. Auch handelt dies nicht von speziellen Erkenntnissen. Es gibt im Glauben einiges, was sich nicht erklären lässt. Das wäre aber genau das Wesen, das für andere verborgen bleibt, auch wenn man es selbst lebt.

Der Apostel Paulus hat verschiedene Briefe geschrieben. Einige davon sind an Gemeinden gerichtet, wie etwa der Römerbrief oder die Korintherbriefe. Andere sind persönliche Briefe, etwa die Briefe an Timotheus.

Tipps für Timotheus

Timotheus war ein Mitarbeiter von Paulus. Er wurde von Paulus gebeten, in Ephesus zu arbeiten (1Tim 1,3). Timotheus ist dort der Gemeinde vorgestanden. In seinem ersten Brief an Timotheus erwähnt Paulus das «Geheimnis des Glaubens». Der Ausdruck steht in einem bestimmten Kontext.

Paulus bietet Timotheus Hilfe bei seinen Aufgaben. Der Apostel spricht aus seiner Erfahrung heraus. Im dritten Kapitel geht es um das Aufseheramt in der Gemeinde:

«Glaubwürdig ist das Wort: Wenn jemand nach einem Aufseheramt strebt, der begehrt eine ideale Arbeit.»
1Tim 3,1

Das griechische Wort für Aufseher ist «episkopos» (epi-skopos = auf-Achter). Ein Aufseher achtet auf die Gemeinde (vgl. Apg 20,28).

Paulus beschreibt anschliessend Merkmale eines Aufsehers, damit dieser für seine Aufgabe gut gerüstet ist.

  • Er muss unangreifbar sein:
  • Mann nur einer Frau
  • nüchtern
  • gesunde Vernunft zeigend
  • ordentlich
  • gastfreundlich
  • lehrtüchtig
  • kein Trunkenbold, kein Raufbold, sondern gelinde
  • nicht zänkisch
  • nicht geldgierig
  • dem eigenen Haus trefflich vorstehend
  • der seine Kinder zu Unterordnung anhält, mit aller Ehrbarkeit (wenn aber jemand dem eigenen Hause nicht vorzustehen weiss, wie wird er dann die herausgerufene Gemeinde Gottes versorgen?)
  • kein Neuling, damit er nicht dünkelhaft werde und in das Urteil des Widerwirkers falle.
  • Er muss aber auch ein ausgezeichnetes Zeugnis von denen draussen (ausserhalb der Gemeinde) haben, damit er nicht in einen Vorwurf oder eine Falle des Widerwirkers hineinfalle.

Diese Reihe mit Anforderungen scheinen nur der ersten Bemerkung zu entspringen: Der Aufseher muss unangreifbar sein. Alles Weitere ist bloss Erfahrung, die der Apostel aufführt. Es sind Situationen, in denen ein Aufseher angegriffen werden könnte. Es dürfte nicht darum gehen, alles erfüllen zu müssen, sondern eher darum anzuerkennen, was bereits vorhanden ist. Denken wir an praktische Werte, an eine Lebenshaltung. Ein Aufseher sollte jemand sein, der dies bereits auslebt. Das Kriterium ist nicht eine Liste, die man abhaken muss, sondern es geht darum, dass man diese (und weitere) Dinge bereits im Leben einen Platz haben. Es hat schon gar nichts damit zu tun, ob diese oder jene Kommission jemand für die Aufgabe auswählt, ob jemand sozialer Status oder viel Geld hat, oder etwa eine Ausbildung absolviert hat.

Paulus fährt weiter und schreibt als Nächstes über Diener:

«In derselben Weise seien Diener

  • ehrbar
  • nicht doppelzüngig
  • nicht vielem Wein ergeben
  • nicht schandgewinnsüchtig
  • das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen haltend.

Aber auch diese lasst sich zuerst bewähren, danach sollen sie dienen, wenn sie unbeschuldbar sind. In derselben Weise seien auch ihre Frauen.»
1Tim 3,8-11

Das griechische Wort für Diener ist «diakonos». Davon hat man heutige Diakone in der Kirche abgeleitet. Aufseher und Diener sind zwei Aufgaben in der Gemeinde. Diese Personen dienen der Gemeinschaft und Paulus beschreibt Merkmale, die vorhanden sein müssen, damit diese Menschen in Sonderstellungen «nicht angreifbar» sind. Deshalb sollten sie sich «zuerst bewähren», bevor sie dienen. Das Ziel dabei ist offensichtlich: Sie sollten ihre Aufgabe ungestört erfüllen können. Der Grund ist ebenfalls klar: Wer immer mit einer Aufgabe sichtbar wird, wird dadurch Angriffsfläche für andere Menschen. Damit dies kein Problem wird, weder für diese Menschen noch für die Gemeinschaft, sollten Aufseher und Diener «unangreifbar» sein.

Paulus geht es nicht um die Aufseher oder Diener. Sie stehen hier nicht zentral. Ihm geht es um die Gemeinde. Paulus beschreibt, was für eine Art Mensch die Gemeinde benötigt. Gesucht sind Menschen, die ebenso wie Paulus aus einem lebendigen Glauben leben und nicht sich selbst, sondern die Gemeinde vor Augen haben.

Es ist in diesem Kontext, dass vom «Geheimnis des Glaubens» gesprochen wird.

Das Geheimnis des Glaubens

Führen wir uns noch einmal vor Augen, was Paulus gerade erklärt hat. Aufseher und Diener sollten nüchtern sein und bereits einen Lebensstil und eine Glaubenshaltung pflegen, die vom Glauben her ernährt und von Friede und Ordnung geprägt sind. Das lässt sich aus der Auflistung und Beschreibung erkennen. Paulus erkennt, was diese Menschen mit all diesen Eigenschaften tun:

«Das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen haltend.»
1Tim 3,9

Man denken hier nicht an «Dingen», nicht direkt am «Geheimnis des Glaubens», als ginge es darum. Vielmehr darf man hier vom Verb her kommen. Was zeichnet diese Menschen aus? Sie «halten» etwas. Was halten Sie? Das Geheimnis des Glaubens. Wie halten sie es? In reinem Gewissen.

Paulus beschreibt, wie diese Menschen im Alltag mit ihrem Glauben umgehen und wie ihre Handlungen vom Glauben her geprägt sind. Das ist nicht super fromm, weil das oft nur eine Tarnung ist. Es geht nicht um Tarnungen, um Scheinheiligkeit, sondern um reales Glaubensleben. Darin geht es nicht um Dinge, die man «fest glaubt», nicht um Erkenntnisse, die man «besitzt», sondern darum, dass man das Geheimnis des Glaubens «haltet».

Das ist eine bescheidene Haltung, worin nicht alles bekannt ist, nicht alles geklärt ist, aber worin der Wert des Glaubens erkannt wird.

Ein Geheimnis ist zerbrechlich. Es wird nicht von jedem verstanden. Im Kontext verweist Paulus auch auf die Menschen ausserhalb der Gemeinde. Sie verstehen vom Glauben vielleicht nicht viel und müssen das auch nicht. Diejenigen innerhalb der Gemeinde erkennen jedoch sich selbst als Glaubende. Sie halten das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen. Es ist eine Glaubenshaltung.

Sie halten das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen. Es ist eine Glaubenshaltung.

Diese Stelle sticht besonders hervor. Einerseits tut es das, weil Paulus in seinen Briefen mehrfach betont, dass er Geheimnisse bekannt macht. Dann verkündet er bislang Verborgenes. Hier aber wird das Geheimnis nicht bekannt gemacht, sondern bloss «gehalten». Das Geheimnis bleibt bestehen. Das ist nicht mystisch oder super-spirituell, sondern bloss die Anerkennung, dass nicht alles erkannt wird (siehe Phil 3,12-15).

Man könnte mit anderen Worten sagen, dass Glaube nur gelebt, aber nicht immer erklärt werden kann. Es gibt zwar einen Glaubensinhalt, aber der ist nicht für jeden nachvollziehbar oder gar erklärbar. Ich denke nicht, dass wir ohne Mysterium in diesem Leben auskommen.

Wer nur sachlich richtig Fakten beschreiben wird, verpasst demnach ein Teil seiner menschlichen Existenz. Glaube ist eine Anerkennung, dass etwas grösser ist als ich selbst bin. Was und wie man glaubt, wird sich mit den Jahren vermutlich ändern. Wir ändern uns, und Glaube ändert mit uns. Glaube in diesem Sinne wäre eine menschliche Erfahrungsmöglichkeit. Dieser Erfahrung können wir Raum geben und wir können uns davon prägen lassen.

Glaube ist keine Magie. Es geht nicht um ein magisches Denken, als ginge es darum, dass man Dinge oder Gott «in Bewegung setzt». Noch weniger geht es darum, dass Glaube nur die Funktion hat, unerklärbare Dinge einen Namen zu geben. Da wäre Glaube sozusagen eine Verlegenheitslösung, die von Fakten bald überholt wäre. Wer in diesen Gegenüberstellungen gefangen bleibt, verkennt das Geheimnis des Glaubens.

Paulus erkennt von diesem Geheimnis des Glaubens, dass es «in reinem Gewissen» gehalten wird. Das hat nichts mit Unvernunft, religiöser Verbohrtheit oder mit Fake News etwas zu tun. Jeder hat ein Gewissen, weil das zum Menschsein gehört. Man kann es wie mit einem Brenneisen verschorfen (1Tim 4,2), damit es zu nichts mehr nützlich ist. Mancher vermeidet, darauf zu hören. Ebenso kann man fehlgeleitet sein und sein Gewissen in eine falsche Richtung prägen.

Man kann aber auch ein gutes Gewissen haben (1Tim 1,5; 1Tim 1,19), ein reines Gewissen (1Tim 3,9; 2Tim 1,3). Man sollte sich nicht vom Gewissen eines anderen Menschen verurteilen lassen (1Kor 10,29). Mit der eigenen Glaubenshaltung empfiehlt man sich dem Gewissen anderer Menschen (2Kor 5,11) und das eigene Gewissen hat ein Zeugnis vom eigenen Glauben (Röm 9,1).

Diese und weitere Zeugnisse geben Aufschluss darüber, wie es mit diesem Geheimnis des Glaubens ist, welches «in reinem Gewissen» gehalten wird. Mit Perfektion hat dies nichts zu tun, auch nicht mit den Meinungen anderer Menschen. Im Gegenteil, ein Mensch, der Aufseher oder Diener sein will, hat erkannt, dass er das Geheimnis des Glaubens nur in reinem Gewissen halten kann. Es ist der bewusste und vertrauensvolle Umgang mit Glaube. Das bleibt vollkommen unvollkommen, aber ist dadurch nicht weniger real. Es ist real, auch wenn es nicht in allem erklärbar ist.

Wer so lebt, der kann in der Gemeinde Gutes bewirken, der kann andere ermutigen, der lässt sich nicht leicht irreführen oder einschüchtern. Ein solcher Mensch ist im Glauben und in seinem Menschsein gegründet. Denn beides gehört zusammen, wie man das in diesem Kapitel vom 1. Timotheusbrief lesen konnte.