Es gibt drei Sorten «gläubige Ungläubigen». Weil Glaube und Unglaube nahe zusammenliegen, kann man daraus etwas lernen.

Glaube und Zweifel liegen nahe zusammen. Zweifel wird häufig mit Unglaube verknüpft. Hat es die Bedeutung? Oder geht es um etwas anderes? Diese Fragen dürfen uns beschäftigen. Sich dessen immer wieder bewusst zu sein, macht nüchtern, bescheiden, und befreit von falscher Sicherheit. Wir sind und bleiben Mensch, mit allen Begrenzungen, auch wenn wir Gottvertrauen kennen. In den folgenden Beispielen skizziere ich verschiedene Arten, wie sich Zweifel und Unglaube äussern können. Bestimmt könnte man noch weitere Sichtweisen hinzufügen. Können wir Zweifel und Unsicherheit umarmen, und allen anderen Menschen wie uns selbst in Gottes Obhut entlassen?

Der ungläubige Gläubige (1)

Bekannt ist die folgende Geschichte des Mannes, der zu Jesus kam und Ihn um Hilfe bat.

«Lehrer, ich habe meinen Sohn zu Dir gebracht, denn er hat einen sprachlosen Geist; und wo er ihn auch ergreift, reisst er ihn nieder; dann schäumt er und knirscht mit seinen Zähnen und fällt zusammen. Da bat ich Deine Jünger, dass sie ihn austreiben mögen, doch sie vermochten es nicht.»
Er antwortete ihnen: «O du ungläubige Generation! Wie lange soll Ich noch bei euch sein, wie lange soll Ich euch noch ertragen? Bringt ihn zu Mir!» Und sie brachten ihn zu Ihm.
Als der Geist Ihn gewahrte, schüttelte er ihn sogleich heftig in Krämpfen, und er fiel auf die Erde, wälzte sich und schäumte. Da fragte Er seinen Vater: «Wie lange ist es her, seit ihm dies widerfährt?» Der antwortete: «Von Kind an; oftmals hat er ihn auch ins Feuer und ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Wenn Du jedoch irgend kannst, so hilf uns und lass uns Erbarmung widerfahren!»
Jesus aber sagt ihm: «Warum das Wenn? Du kannst doch glauben! Alles ist dem möglich, der glaubt.» Sogleich rief der Vater des Knäbleins laut unter Tränen aus: «Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!»
Als Jesus gewahrte, dass die Volksmenge zusammenlief, schalt Er den unreinen Geist und sagte zu ihm: «Du sprachloser und tauber Geist, Ich gebiete dir, fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in Ihn!». Schreiend und ihn sehr in Krämpfen schüttelnd, fuhr er aus, und der Knabe lag wie tot da, sodass die meisten sagten: Er ist gestorben.» Jesus aber, seine Hand fassend, richtete ihn auf, und er stand auf.
Mk 9,17-27

Der Vater ist hier der ungläubige Gläubige – oder gläubige Ungläubige. Jesus hat ihm gesagt, dass Glauben alles vermag, aber der Vater hat es offensichtlich bislang nicht aus seinem Glauben vermocht. Hilfe kam ebenfalls nicht von den Jüngern. So stand der Vater zuletzt vor Jesus mit seiner Bitte. Jesus sprach ihn auf seinen Glauben an, aber er antwortete «laut unter Tränen: Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!».

Diese Antwort zeugte von Selbstkenntnis und Gottvertrauen gleichermassen. Damit erscheint diese Aussage menschlich, verständlich, ehrlich, direkt. Keine frommen Floskeln, noch fromme Anstrengung, sondern nur eine sehr direkte und ehrliche Rückmeldung. Er suchte Erbarmung, Befreiung, für seinen Sohn. Seine eigene Unzulänglichkeit gab er nicht nur zu, sondern übergab diese auch Jesus mit den Worten «Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!».

In dieser Geschichte erkennen wir Realitätssinn, gepaart mit Gottvertrauen. Beides liegt nahe zusammen. Beides dürfte auch für jeden Menschen verständlich erscheinen. Wir dürfen Glauben nicht mit Sicherheit verwechseln, mit Unbeirrbarkeit, ohne Zweifel und Fehler. Glaube ist Vertrauen. Vertrauen ist lebendig. Was lebendig ist, muss sich, mit Fehlern und neuen Versuchen, immer wieder neu bewähren.

In diesem Sinne sind wir alle, die glauben, in gewissem Sinne «gläubige Ungläubige».

Der ungläubige Gläubige (2)

Ist Dir schon mal passiert, dass Dir der Glaube abgesprochen wurde? Letzte Woche passierte es mir wieder einmal. Jemand hat mich als Ungläubiger beschimpft und mich gleich als «verloren» gebrandmarkt und für die «Hölle» vorbestimmt. Ich sei der «ungläubige Gläubige» in dieser zweiten Variante. Nicht ich sehe mich so, sondern jemand anders versucht mich so zu brandmarken und dadurch – in übertragenem Sinne – vom Spielfeld einer Auseinandersetzung abzudrängen.

Wer andere als «Ungläubige» beschimpft, kann dafür zwei Gründe haben:

  1. Unsicherheit
    Man ist sehr unsicher in seinem eigenen Glauben und kompensiert das mit der Verurteilung Anderer, um sein eigenes Ego und seinen eigenen Wert zu erhöhen. Wer andere verurteilt, zeigt aber zuerst, was ihn selbst antreibt. Wer dagegen in seinem Gottesverständnis ruht, muss niemand mehr verurteilen. An Jesus zu glauben, ist kein Freibrief zur Verurteilung anderer. An Gott zu glauben, ist keine Lizenz zum Verurteilen. Wer so handelt, hat die unverdiente Gunst Gottes bisher nicht erlebt.
  2. Sicherheit
    Das Gegenteil kann auch der Fall sein. Selbstgerechte Überheblichkeit kommt dann zum Tragen, wenn man fälschlicherweise meint, die Wahrheit gepachtet zu haben und wer das anders sieht, sei im Unrecht. Das ist wie in dem Lied «Ein fester Burg ist unser Gott», wobei dies dann heissen sollte «Ein fester Burg ist meine Ansicht». Das Problem ist offensichtlich.

Die Reaktion hinter einer solchen «Verteufelung anderer Menschen» hat nichts mit einer realen Auseinandersetzung zu tun. Meist ist es geradezu Ausdruck einer Gesprächsverweigerung. Man schottet sich ab, verteufelt das Gegenüber, damit man sich selbst nicht hinterfragen muss. Angst dürfte einen Antrieb sein, ebenso wie grosse Unsicherheit, gerade, wenn es aus einer überheblichen Position geschieht.

Der ungläubige Gläubige (3)

Es gibt noch eine dritte Variante. Das betrifft Gläubige, die zwar sagen, sie glauben die Bibel, aber darin dann doch sehr selektiv vorgehen. Hier muss man nun von folgender Ausgangslage sprechen:

  1. Man gibt an, dass die Bibel die Grundlage für Leben und Glauben ist
  2. Man glaubt einige Aussagen der Bibel
  3. Man misstraut andere Aussagen der Bibel, weil es die eigene Gemeinschaft anders sieht.

Da die meisten Christen nie lernen, sich konstruktiv mit verschiedenen Ansichten auseinanderzusetzen, ist es besonders schwierig, sich Themen der Schrift neutral anzunähern. Gerade das wäre für einen gesunden Glauben jedoch wichtig. Dies habe ich dagegen oft erlebt: In den Gedanken sind Meinungen über die Bibel vorhanden. Diese Gedanken wurden noch nie geprüft. Man hat sie angenommen, weil alle in der Gemeinschaft so darüber dachten. Man weiss oft nicht, was in der Schrift steht, hat aber ein bestimmtes Bild über die Bibel und dessen Aussagen verinnerlicht. Das ist gewissermassen ein tragisches Zeugnis über den Glaubensaufbau in den Gemeinden. Man hat noch nie gesehen, dass man sich nüchtern den Aussagen der Schrift annähern kann, um selbst zu prüfen, was wichtig ist. Man kann das jedoch. Das ändert alles.

Erst wenn man sich ohne Verurteilungen auf Augenhöhe mit dem Gegenüber treffen kann, um gemeinsam nach dem zu Suchen, was wichtig ist (Phil 1,9-10), wird fruchtbarer Austausch stattfinden. Dabei geht es nicht um Lehren, Dogmen und dergleichen mehr, sondern darum, Gott und Seinen Sohn kennenzulernen.

Mündigkeit kommt aus der Auseinandersetzung.

Beispiel: Vertreter einer Hölle-Lehre wollen oft nicht hören, dass es in der Bibel kein einziges Wort gibt, welches die Ideen einer Hölle entspricht. Was dagegen geschrieben steht, spricht nachweislich von anderen Dingen. Sie glauben ohne Grundlage. Dagegen verketzern dieselben Menschen gerne andere Gläubige, die Kolosser 1,20 gelesen haben und da voller Freude lesen, dass Gott sich mit allem aussöhnt, indem Er Friede macht durch das Blut des Kreuzes.

Hier also die Frage: Wenn Du etwas glaubst, was nicht in der Bibel steht, aber etwas ablehnst, was deutlich genannt wird, wie würde man das beschreiben? Ich nenne es mal der «ungläubige Gläubige».

Einen Weg hinweg von rigiden Anschauen geht m.E. nur über eine aktiv gelebte Lernkultur. Da kann man (gemeinsam) entdecken, was es sich lohnt von Herzen zu glauben.

Wunderbar sind deine Zeugnisse, darum bewahrt sie meine Seele. Die Eröffnung deiner Worte leuchtet, sie gibt Einsicht den Einfältigen.
Psalm 119,129-130

 

Paulus schreibt als Apostel nie aus Überheblichkeit. Er sagt von sich selbst:

«Nicht, dass ich dies schon erhielt oder hierin schon vollendet sei. Ich jage aber danach, ob ich wohl ergreifen möge, wozu ich auch von Christus Jesus ergriffen worden bin. Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, es ergriffen zu haben. Eins aber tue ich: Ich vergesse, was hinter mir liegt und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist.»
Phil 3,12-13

Die ultimative Frage in der Gemeinschaft wäre vielleicht dies: Wie ermutigen wir einander, die Gnade Gottes anzunehmen und wie empfehlen wir uns selbst und alle anderen in Gottes Obhut an?