Wie siehst Du Dich selbst? Superfromm? Ungläubig? Oder zweifelst Du irgendwo zwischen diesen beiden Extremen? Es ist nicht egal, was wir denken, und weshalb wir das denken.

Wie wir denken, prägt unser Verständnis dieser Welt. Wer religiös ist, hat eine Ausprägung gefunden, womit er das eigene Verständnis einen Ausdruck verleiht. Deswegen gibt es religiöse Christen, Juden, Muslime und viele andere Menschen, die je auf ihre Art «religiös» sind. Wer sich eher als Atheist sieht, ist auch «gläubig», denn alles dreht sich um Gott, wenn auch «in Ablehnung». Das ist nicht neutral.

Ich wage zu behaupten, dass kein Mensch neutral in diesem Leben steht. Ob bewusst oder unbewusst leben wir mit einer Vereinfachung dieser Welt. Es ist unser Verständnis. Ich betrachte es als menschliche Fähigkeit, sich etwas vorstellen zu können, wonach man sein Leben einrichtet. Das ist eine neutrale Aussage. Wie wir jedoch diese Fähigkeit nutzen und womit wir unser Verständnis füllen, ist etwas ganz anderes.

Bin ich gläubig?

Beziehe ich diese Frage auf mich selbst und achte ich auf das, was andere Menschen über mich sagen, dann bin ich

  • für einige zu gläubig, für andere zu wenig gläubig
  • für einige zu evangelikal, für andere zu wenig evangelikal
  • für einige zu Bibel-orientiert, für andere zu wenig Bibel-orientiert
  • für einige zu theologisch, für andere zu wenig theologisch
  • für einige richtig-denkend, für andere falsch-denkend.

Gut, dass man es nicht allen recht machen kann und muss. Wer das versucht, hat nämlich bereits verloren. Wer bloss versucht, den Anforderungen anderer zu erfüllen, ist nicht frei.

Regelmässig spreche ich jedoch mit Menschen, die sich ernsthaft fragen, ob sie «genug» glauben. Diese Idee erhalten sie aus den Gemeinschaften und Kontakten, worin sie stehen. Dort wird Zustimmung zu bestimmten Lehren als Gradmesser für Gläubigkeit gesehen. Wer damit nicht übereinstimmt, der «kann» nicht gläubig sein. Oft höre ich von Menschen, dass sie zutiefst verunsichert sind, ob sie wohl gläubig sind oder nicht.

Mir haben viele Menschen den Glauben schon abgesprochen, mich von dämonischer Besessenheit beschuldigt, nur, weil ich nicht bestimmte Ideen anhänge. Solche Aussagen erzählen mir dann eher etwas über diejenigen, die verurteilen, als über mich selbst.

Könnte ich ermutigen, würde ich jedem sagen, sich auf den Weg zu machen, sein Leben positiv zu gestalten. Was man glaubt, wird aus vielen Dingen ernährt und ermöglicht. Deshalb: Womit man sich ernährt, gerade auch gedanklich, hat eine starke Wirkung darauf, was man denkt und glaubt (Psalm 1 zeigt auf, wie das aussehen könnte).

Selbstgerechtigkeit

Einige verheddern sich in der Rechtgläubigkeit, also in bestimmten Annahmen darüber, wie und was man zu glauben hat. Jesus hat sich mit den Selbstgerechten seiner Zeit auseinandergesetzt. Heute gibt es diese Selbstgerechtigkeit natürlich auch. Es sind Menschen, die verzögerungsfrei andere verurteilen und verketzern. Sie stellen Regeln auf, definieren, was richtig und was falsch ist, und halten andere Menschen an, sich daran zu orientieren.

Selbstgerechtigkeit ist eine Lebenshaltung. Sie ist nicht an bestimmten Kirchen oder Freikirchen gebunden. Es geht um die Selbstüberschätzung einiger Menschen. Ich bin selbstgerechte Evangelikale begegnet, aber ebenso hochnäsige Theologen. Allen diesen Menschen gemeinsam ist die Einschätzung, dass sie vermeintlich im Recht sind und meinen, auf andere herabschauen zu können. Sie sind die grössten Verhinderer echter Gemeinschaft und ansteckender Glaube.

Die Realität ist viel einfacher: Wir wissen es alle nicht. Keiner von uns hat den Durchblick in allen Themen. Das gilt auch für den Glauben. Wir können nur auf unsere Erfahrung zurückblicken, oder teilen, was wir selbst an Antworten gefunden haben. In der Gemeinschaft können wir diese Einsichten teilen. Nicht aber können wir für unsere Erkenntnis einen Absolutheitsanspruch ableiten.

Merkmale eines gesunden Glaubens

Wer gesund im Glauben steht, wird andere in die Freiheit von Christus entlassen und nicht an sich selbst binden. Menschen werden zu Christus hingeführt. Das ist der einfachste Test. Paulus beschreibt dies im Epheserbrief wie folgt:

«Wenn wir aber wahr sind, sollten wir in Liebe alles zum Wachsen bringen, hinein in Ihn, der das Haupt ist, Christus.»
Eph 4,15-16

Wahrheit wird aus einer dienenden Haltung erkannt, die nur eins vor Augen hat: Menschen wachsen zu lassen. Die Richtung dieses Wachstums liegt nicht in der Annahme bestimmter Dogmen, sondern sie ist «hinein in Ihn, der das Haupt ist, Christus». Es ist hin zu einer Person und hinein in das Verständnis von Christus. Was das bedeutet, können wir aus den Anliegen von Paulus ableiten, wie sie in seinen Briefen überliefert sind.

Die dienende Haltung soll offensichtlich sein bei allen, die sich aktiv in der Gemeinde der Gläubigen einsetzen möchten. Paulus schreibt ausführlich über diese Dinge in seinen Briefen an Timotheus. Der Apostel sprach mit Timotheus über Anforderungen für geistliche Aufgaben in den Gemeinden. Etwa dies:

«Glaubwürdig ist das Wort: Wenn jemand nach einem Aufseheramt strebt, der begehrt eine ideale Arbeit.»
1Tim 3,1

Diener sollen «das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen halten». Ausserdem, meint Paulus, sollen sie sich zuerst bewähren:

«Aber auch diese lasst sich zuerst bewähren, danach sollen sie dienen, wenn sie unbeschuldbar sind.»
1Tim 3,9-10

Diese Bewährung im Dienst ist etwas völlig anderes als eine Ausbildung, ein Studium oder einen Kurs zu absolvieren. Es hat nichts damit zu tun, ob jemand eine hohe Einschätzung von sich selbst hat, eine hohe Ausbildung oder vermeintlich mit charismatischen Spezialeffekten überfliesst. Keines dieser Dinge qualifiziert für einen Dienst. Wer dagegen das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen halten kann, wer sich im Dienst bewährt, der hat sich als erprobter «Geistlicher» erwiesen, der für den Dienst in der Gemeinde «fit» ist.

Nicht über den Glauben anderer herrschen

Wer aus einer dienenden Haltung in der Gemeinschaft steht, wer versucht, andere in ihrem Wachstum weiterzuhelfen, der erfüllt eine wichtige Aufgabe. Zu keiner Zeit geht es um bestimmte Lehren, um ein von Regeln geprägtes Glaubensverständnis, sondern immer geht es um den Menschen, den man weiterführen darf. Paulus ist sich seine dienende Haltung bewusst, wenn er schreibt:

«Nicht dass wir die Herrschaft über euren Glauben hätten, sondern wir sind Mitarbeiter an eurer Freude; denn ihr habt fest im Glauben gestanden.»
2Kor 1,24

Wie vorhin bereits vermerkt: Es ist nicht egal, was wir glauben oder, weshalb wir solches tun. Es benötigt eine offene Lernkultur, damit man eine gesunde Glaubenshaltung in der Gemeinschaft gegenseitig fördern kann. Dafür lohnt es sich, sich einzusetzen. «Wieviel» wir gläubig sind, ob wir alles «richtig» tun, ist nicht zu unserer Beurteilung. Sich selbst zu verurteilen, auf Basis der Annahmen und Projektionen anderer, ist katastrophal. Unterstützen wir einander, in Freiheit unser Gottvertrauen zu fördern, dabei Christus stets vor Augen zu haben.