Heute musste wieder einmal jemand seinen Kropf leeren. Es passiert regelmässig, dass Leute es mit mir nicht einig sind. Dann gibt es aggressive Kommentare und E-Mails, meist von Menschen, die ich gar nicht kenne. Einen Einblick.

Was ich hier als persönliche Erfahrung skizziere, geschieht mit fast jedem, der aus evangelikalem Gedankengut versucht auszusteigen. Meine Erfahrung hier ist deshalb bloss ein Beispiel für die Erfahrung vieler anderer.

Verketzerung anderer

Heute erhielt ich eine E-Mail von jemandem, den ich nicht kenne und der sich auch nicht vorstellte. Es ist eine anonyme Schimpftirade, der aus heiterem Himmel kam. Das E-Mail hatte folgenden Text:

«Ich verlange eine 2. Antwort ! ALLVERSÖHNUNG … bedeutet TOD VON JESUS AM KREUZ ist „Vergebens“ ..es kommen ja eh ALLE INS PARADIS. Karsten Risseeuw, Sie sind ein IRRLEHRER !»

Eine solche E-Mail erscheint mir peinlich für den Absender. Es passiert jedoch regelmässig. Eine solche E-Mail zeugt von Ignoranz, Überheblichkeit, Selbstgerechtigkeit und Aggression. Man leert den Kropf und ich hoffe, dass dies den Sender etwas entlastet. Ein solcher Schreiber bezeugt ausserdem, dass er weder mit meinem Kanal und der Website noch mit der Bibel vertraut ist.

Der Text ist voller Widersprüche. Einerseits wird eine Antwort «verlangt», andererseits hat man die Verurteilung mit dem Wort «Irrlehrer» bereits definiert. Es ist also keine ehrliche Frage, sondern eher der Versuch, die Absicht zu verbergen. Die Frage soll «Offenheit» deklarieren, obwohl eine «Forderung» damit im Widerspruch steht. Welche Arroganz.

Grossbuchstaben wirken als «schreien» im Internet. Das ist nicht die feine Art. Ganz deutlich hat dieser Mann sich aufgeregt, jedoch nichts weiter untersucht, weder auf meinem YouTube-Kanal noch auf der kernbeisser.ch Website, wo alles, was er «verlangt» ausführlich genannt und begründet ist.

Ich rege mich schon lange nicht mehr über solche E-Mails auf. Ich weiss, aus welcher Ecke sie kommen. Hier erwähne ich es lediglich als eine typische Reaktion eines Evangelikalen, der fest in einem Schwarzweiss-Denken und bestimmten Lehren gefangen ist. Es ist ein Beispiel für ein handfestes Problem evangelikaler Subkultur. Wer andere verketzert und meint, alles ist in «richtig» und «falsch» aufzuteilen, beendet jedes Gespräch. Es gibt keine Offenheit, keine Neugierde, keine Redebereitschaft und es wäre das falsche Signal, darauf mit Argumenten einzugehen. Man trifft hier auf eine Lebens- und Glaubenshaltung, die ungesund, sektiererisch und lebensfremd ist aber in einem evangelikalen Umfeld besonders gut gedeiht.

Zuschriften wie diese erhalte ich regelmässig. Dahinter steht immer dieselbe «ungeistliche Geisteshaltung».

Leben mit Widerspruch

Grabenkrieg

Ich richte mich auf dieser Website und auf meinem YouTube-Kanal insbesondere an Evangelikale, Post-Evangelikale, Ex-Evangelikale und jeden, der an evangelikales Denken interessiert ist. Es ist eine Welt voller Schwarzweiss-Denken, Abgrenzungen und «absolute» Meinungen. In einem solchen Umfeld ist es besonders herausfordernd, auch nur eine Andeutung auf eine andere Sicht oder einen anderen Blickwinkel zu einem Thema zu machen. Bereits eine kritische Auseinandersetzung mit einer Lehre aus dem vermeintlich «richtigen» Verständnis der Bibel führt unweigerlich zu unliebsamen Reaktionen.

Eine Auseinandersetzung mit Lehrmeinungen ist für viele Menschen hilfreich, weil kritische Fragen in Freikirchen und freikirchlichen Gemeinschaften oft nicht erlaubt sind. Erwähne ich kontroverse Themen auf dieser Website, löst das bei «Rechtgläubigen» sofort Widerstand aus, auch wenn andere sich gerade solche kritischen Themen wünschen. Ich verstehe die Kontroverse und die verschiedenen Reaktionen. Es sind gerade diese Themen, die am dringendsten für einen offenen und ernsthaften Austausch benötigt werden.

Seit über 20 Jahren äussere ich mich öffentlich zu Fragen des Glaubens und der Bibel. Kontroverse Themen sind besonders interessant. Aus dieser Zeit habe ich gelernt, dass man nicht nur E-Mails wie hier oben genannt empfangen kann. Bei Bemerkungen und Kommentaren in Kommentarspalten entarten diese oft verzögerungsfrei in ein Schlachtfeld an Meinungen, woraus regelmässig einen Grabenkrieg entsteht. Da wird argumentiert, mit Argumenten dafür und dagegen, und es wird munter verketzert, wie in dem E-Mail hier oben.

Es ginge natürlich auch anders. Siehe dazu den Beitrag, der hier unten verlinkt wird.

Irrlehre oder «andere Lehre»?

Cross-Bubble-Kommunikation

Es gibt viele evangelikale Websites und Kanäle, die mit Tausenden von Abonnenten problemlos eine Kommunikation pflegen können. Alle reden und denken in etwa dasselbe. Auf der Kernbeisser Website und dem Kernbeisser-YouTube-Kanal ist das nicht ganz so einfach. Ich arbeite an der Schnittstelle zu anderen Bubbles. Ich mache sozusagen eine Cross-Bubble-Kommunikation. Dabei zeige ich andere Lehrmeinungen auf, hinterfrage typische evangelikale Gedanken und formuliere anregende Ideen und Gedanken, die andere Gläubige haben. Ich mache das, weil ich überzeugt bin, dass solches eine Bereicherung ist und das Wissen um andere Blickwinkel für eine ernsthafte Auseinandersetzung absolut notwendig ist.

Ich lebe an den Berührungspunkten verschiedener Interpretationsmöglichkeiten, versuche Brücken zu bauen und den Ausstieg aus engen Vorstellungen zu ermöglichen. Das gefällt natürlich nicht jedem. Deswegen gibt es die Ablehnung, wie ich hier oben beispielhaft eine solche erwähnte. Harte Lehren erschaffen heisse Köpfe und kalte Herzen. Es wird sofort aggressiv gekontert und verketzert.

Harte Lehren erschaffen heisse Köpfe und kalte Herzen.

Klare Abgrenzungen sind zwingend nötig

Verketzerungen und Grabenkriege sind wenig hilfreich dazu, in diesem evangelikalen Umfeld mehr Nüchternheit, Offenheit, Ruhe und Gesprächsneugierde zu fördern. Deswegen gab es auf der Website nie eine Kommentarfunktion. Es sollte gar nicht zu solchen Auseinandersetzungen kommen, die nur die Enge und das Schwarzweiss-Denken fördern würden. Ich kenne verschiedene andere Websites und YouTube-Kanäle, die noch nie eine Kommentarfunktion eingeschaltet hatten. Ich kann das nachempfinden. Wer hat schon die Ressourcen und den Wunsch dazu, Grabenkämpfe zu «begleiten»?

Letzte Woche habe ich die Kommentarfunktion auf dem YouTube-Kanal abgestellt. Das war nicht das erste Mal. Es gibt selbstverständlich den Wunsch, einen Austausch zu pflegen, seine Zustimmung oder Ablehnung auszudrücken. Deswegen habe ich wiederholt versucht, die Kommentarmöglichkeit offenzuhalten. Andauernde Aggression kann ich jedoch im eigenen Hause nicht erlauben. Da gibt es Leute, die überlange Texte posten, wohl in der Hoffnung, einige Leser zu verunsichern. Sie bewegen sich in der Opposition und versuchen, die Kommentarspalten zu kapern ohne jedoch den Mut zu haben, ein eigener Kanal zu starten.

Es finden sich auch Menschen, die versuchen die Kommentare mit überlangen Texten zu besetzen, andere dadurch, denselben Text unter möglichst vielen Videos zu posten. Wieder andere freuen sich offenbar, einen ernsthaften Kanal gefunden zu haben und posten ihre ganze Lebensgeschichte, weil sie gerne einmal von einer anderen Person gehört werden wollen. Auch das verstehe ich, aber solche Kommentare haben mit dem Videoinhalt nichts zu tun und werden deshalb nicht veröffentlicht. Manche schimpfen nur vor sich hin. Nochmals andere meinen, dass sie «neutral» sind, wenn sie nur «Bibelstellen» gegen mich verwenden, also auf eine persönliche und wohlüberlegte Antwort verzichten. Bibelstellen beantworten bekanntlich alles und müssen nie interpretiert werden, nicht wahr? Diese und viele andere Taktiken habe ich Dutzende oder gar Hunderte Male gesehen und ich gehe nicht mehr darauf ein. Als diese Reaktionen in den letzten Wochen überproportional zunahmen, habe ich die Kommentarfunktionen radikal abgestellt. Ruhe kehrte ein, und ich fand wieder Zeit, mich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren.

Möchte ich positiv etwas zur Lebens- und Glaubensqualität vieler Menschen beitragen, muss ich meine Grenzen täglich klar angeben, frei nach dem Motto «Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht».

Die Bibel als Massstab

Nichts ist für einen Evangelikalen ärgerlicher, als wenn ich anhand der Bibel aufzeige, dass es die Hölle nicht gibt. Die Hölle ist, so meine Erfahrung, der heimliche Throninhaber evangelikaler Lehre. Das sieht man an den Reaktionen von Menschen, wenn man einmal aus dem bekannten Glaubensgut ausbricht und etwa das altvertraute Lehrverständnis einer Hölle kritisch anhand der Bibel prüfen möchte. Rechtgläubigkeit misst man an der Zustimmung zur Hölle, nicht an dem Glauben an Gottes Wirken in und durch Jesus.

Warum ist es ärgerlich, dass ich die Hölle anhand der Bibel als unhaltbar entlarve? Weil Evangelikale ein Verständnis haben, dass ihr Denken und Handeln «bibeltreu» und «biblisch» ist. Man will ja nur glauben, was in der Bibel steht und «also» muss die Hölle in der Bibel stehen, auch wenn sie nicht da steht. Das führt dann zu Konflikten. Wer radikal für Lehren einsteht, die mit der Bibel nichts zu tun haben, der entlarvt seine Ideen als reine Ideologie.

Während Jesus und die Apostel den Fokus auf Gottes Handeln für diese Welt und den Menschen haben, verlieren Ideologen die Sicht auf die Menschen. Dann geht es nur noch um die Ideologie (erstarrte Leitbilder), die mit Feuer und Schwert verteidigt und auf Kosten von Menschen durchgesetzt werden muss. Für diese ideologischen Lehren werden zwar Bibelstellen zitiert, aber oft ohne Rücksicht auf Grundtext und Kontext. So werden Bibelworte zu ideologischen Lautsprechern, die einige fromme Menschen überzeugen, von denen anderen sich jedoch entschieden abwenden.

Die Bibel ist und bleibt der Kern, woraus wir einen christlichen Glauben begründen können. Paulus konnte selbst noch die Apostel in Jerusalem besuchen (Gal 1,18). Das können wir nicht mehr. Ebenfalls konnte er den Korinthern noch raten, sollten sie Zweifel haben, die Augenzeugen der Auferstehung zu befragen, und erwähnte über 500 solcher Menschen (1Kor 15,5-8). Diese benötigen jetzt alle die Auferstehung selbst und sind nicht erreichbar. Uns bleibt die Schrift als Zeugnis.

Die Bibel zu verstehen ist ein neutraler Wunsch, der jedoch durch evangelikales Schwarzweiss-Denken kontaminiert werden kann. Viele Menschen wenden sich von dieser Kontamination ab, weil sie als giftig entlarvt wurde. In meiner Auseinandersetzung hoffe ich, etwas zu einer mehr differenzierten Auseinandersetzung beizutragen, ohne dabei vorzugeben, wie man denken «muss» oder «soll» und ohne in die Falle von «richtig» oder «falsch» zu tappen. Denn die Schrift gab es bereits, als es evangelikale Theologien noch lange nicht gab. Wir können diese Fragen entspannt nachgehen und mit viel Aufmerksamkeit sowohl ein Auge für die damalige Zeit haben als auch unsere Zeit einblenden zu lernen.

Je mehr ich mich mit der Bibel auseinandersetzte, desto mehr konnte ich evangelikales Gedankengut loslassen und durch bessere Gedanken ersetzen.

Wer lernt, der ist unterwegs. Eine Lernkultur zu pflegen heisst, bisher nicht am Ziel angekommen zu sein, sondern sich neugierig und gemeinsam auf den Weg zu machen. Zur Orientierung wähle ich dazu die Bibel, die mir nie als engstirnig oder eingleisig vorkam. Im Gegenteil: Je mehr ich mich mit der Bibel auseinandersetzte, desto mehr konnte ich evangelikales Gedankengut loslassen und durch bessere Gedanken ersetzen.

Stufen der Auseinandersetzung

Wer sich mit Glaubensfragen und Lebensfragen auseinandersetzt, steht nicht an einem einzigen Ort, sondern bewegt sich entlang einer imaginären Entwicklungslinie. Ich habe deshalb mehrere Entwicklungsstufen bei meiner eigenen Auseinandersetzung erkannt. Der Reihe nach waren es die folgenden Themen:

  1. Vor 40 Jahren: Biblische Lehre (lesen, verstehen, anwenden, vergleichen, prüfen, neu denken)
  2. Vor 25 Jahren: Verknüpfung von Menschsein und Christsein (und wie sie aus der Lehre fehlgeleitet werden kann)
  3. Vor 15 Jahren: Selbstverständnis der Gemeinschaft (und wie sie aus der Lehre entsteht)
  4. Seit 5 Jahren: Vision einer besseren Glaubensgemeinschaft (der Wunsch nach authentischer Beziehung und echtem Glaubensbezug).

Nicht jeder wird alle diese Themen für sich selbst als relevant bezeichnen. Nicht für jeden gilt diese Reihenfolge. Was ich hier als 4 Punkte geschrieben habe, betrifft mich selbst. Es ist eine Skizze meiner Auseinandersetzungen. Keines dieser Punkte ist abgeschlossen. Was ich aufzeigen möchte, ist dieses: Man lernt in immer weiteren Kreisen.

Bin ich ein Irrlehrer?

Die Vorwürfe anderer Menschen definieren mich nicht. Das ist keine Selbstüberhöhung. Menschen, die andere verketzern, sprechen nur von ihrer eigenen Geisteshaltung. Auch Paulus etwa hatte oft den Wind von vorn, aber liess sich nicht von anderen bestimmen (1Kor 4,3-6). Er stand für das ein, was ihm klar geworden war.

Dies habe ich gelernt: Wenn andere mich als Irrlehrer bezeichnen, geht es fast nie um reale Argumente, sondern es ist bloss emotionale Abwehr, weil ich zu bedrohlich erscheine. Ich wirke bedrohlich, weil ich mithilfe der Bibel etwa die Hölle aus der Bibel entferne. Evangelikale dagegen behaupten unablässig, dass die Hölle in der Bibel steht. Ich widerlege die Lehre also mit der eigenen Autorität. Das ist gefährlich und deshalb greift man zur letzten Waffe, die Verketzerung. Verketzerung ist die Absage an einer weiteren Auseinandersetzung, jedoch mit Beibehalt der eigenen vermeintlichen Überlegenheit.

Verketzerung ist die Absage an einer weiteren Auseinandersetzung, jedoch mit Beibehalt der eigenen vermeintlichen Überlegenheit.

Regelmässig schreiben mir Menschen von ähnlichen Erlebnissen, die sie in ihren Glaubensgemeinschaften erfahren haben. Eine Freiheit im Denken wird dort oft bewusst ausgewichen und blockiert. Hinterfragt man evangelikales Gedankengut, kann es rasch sehr eng werden. Ich denke bloss, dass man gerade deswegen dort hinschauen sollte. Das versuche ich hier, vollkommen unvollkommen und ohne radikalen Anspruch. Dies ist mein Beitrag zu einer Auseinandersetzung. Tue positiv etwas damit oder lasse es liegen.

Projektionsfläche

Ich trete nach aussen und werde dadurch automatisch zur Projektionsfläche. Damit habe ich mich abgefunden, weil ich gemerkt habe, dass es vielen hilft, Dinge beim Namen zu nennen. Die Erwähnung kontroverser Themen ermöglicht oft die eigene Auseinandersetzung. Deswegen schreibe ich das hier auf. Ich bin bloss eine Hilfe, eine Art Teilchenbeschleuniger, sozusagen. Wenn wir nämlich Worte für unsere Fragen und Gedanken finden, wird etwas greifbar. Dadurch können wir weiter darüber nachdenken. Bereits die Erkenntnis, dass man mit kritischen Fragen nicht allein steht, hilft weiter. Darin liegt der Sinn dieser Website und meiner Videos. Sie sollen dir als Input dabei helfen, freizuwerden aus einengenden Lehren und Gedanken.