«Dinge gibt’s, die gibt’s gar nicht!» Dieser Spruch erklärt trefflich, wie es sich bei der Lehre der Erbsünde verhält: Es gibt sie in der Bibel nicht. Aber alles der Reihe nach.

Das Anliegen

Die Lehre der Erbsünde lässt sich aus der Bibel nicht begründen. Es ist eine irreführende Lehre. Wir sollten aber das Kind nicht mit dem Badewasser ausschütten. Selbstverständlich wurde die Lehre aus einem realen Anliegen heraus erstellt. Sie steht nicht in der Bibel, aber das Anliegen dahinter kann ich gut nachvollziehen.

Menschen werden mit zwei Dingen konfrontiert: Wir meinen es meist gut, bleiben aber fehlerhaft, und am Schluss vom Leben sterben wir, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen können. Das sind zwei handfeste Probleme für die ganze Menschheit. Was sagt die Bibel zu diesen Dingen? Aus solchen Fragen entstand die Lehre der Erbsünde. Das Anliegen ist gut, aber die Lösung stimmt nicht.

Adam und Eva

Nach der biblischen Beschreibung stammt die Menschheit aus einem Menschenpaar, Adam und Eva. Das ist der Zusammenhang, den die Bibel angibt. Das ist die Geschichte. Wer das nicht glaubt, sollte es zumindest als Teil der biblischen Geschichte stehen lassen. Es ist eine wichtige Voraussetzung dafür, die weiteren Ausführungen zu verstehen. Im Alten wie im Neuen Testament wird von dieser Geschichte ausgegangen, um viele weitere Dinge zu erklären. In diesem Sinne sollten wir die Geschichte ernst nehmen und uns weder versteifen auf einer Ablehnung («das kann gar nicht sein!») noch darauf, dass sie unbedingt beide gelebt haben müssen (wir können das nicht beweisen und das ist auch nicht das Anliegen der Geschichte). Mein Anliegen ist es, dass wir möglichst unvoreingenommen einmal die Geschichte lesen und dabei versuchen zu verstehen, was die Schreiber damit beabsichtigt haben.

In der Narrative der Bibel stammt die Menschheit aus einem Menschenpaar, Adam und Eva. Bei diesem Menschenpaar geschah etwas, das vielfach als «Sündenfall» bezeichnet wird. Das ist so etwas wie der Anfang der Probleme. Wir lesen darüber in den ersten Kapiteln der Bibel. Beide lebten im Garten Edens. Dort hat Gott sie hingestellt. Sie erhielten alle Früchte der Bäume als Nahrung zugewiesen, jedoch mit einer Ausnahme: Sie durften vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht essen (1Mo 2,17). Das war ein Gebot, das sie nicht übertreten durften. Man kann sich natürlich fragen, weshalb Gott einen solchen Baum überhaupt gepflanzt hat und warum ausgerechnet im Mitten des Gartens. Das ist aber nicht das Thema dieses Beitrages.

Eines Tages kommt eine Schlange und beginnt mit Eva ein Gespräch über die Früchte dieses Baumes und Gottes Verbot. Das ist natürlich aussergewöhnlich, denn zumindest heute gibt es keine sprechenden Schlangen – ausser in manchen Science Fantasy Filmen. Eva wird hier von der Schlange verführt, nimmt von dieser Frucht und gibt auch Adam davon. Dass es sich bei dieser Frucht um einen Apfel handeln sollte, ist bloss fantasievolle Überlieferung.

In der biblischen Berichterstattung wird Adam für diese Übertretung verantwortlich gemacht, auch wenn Eva zuerst von der Frucht nahm und die Schlange daran schuld war (1Mo 3,12-13). Adam, als erster Mensch, hat gegen Gottes Gebot übertreten. Wir erkennen daran, dass es sich hier um eine symbolische Zuordnung handelt.

Diese Zielverfehlung hat weitreichende Konsequenzen. Zusammen mit dem Verbot nämlich hat Gott den Menschen angedroht, dass – sollten Sie von der Frucht essen – sie «zum Sterben sterbend» sein würden (1Mo 2,17). Nicht der unmittelbare Tod, sondern die Sterblichkeit wurde ihnen angedroht. (Dieser Unterschied ist nicht in jeder Übersetzung ersichtlich.). Dies ist der Zusammenhang, den Paulus in Römer 5 mit wenigen Worten zusammenfasst:

«Deshalb, ebenso wie durch den einen Menschen die Sünde in die Welt eindrang und durch die Sünde der Tod, und so zu allen Menschen der Tod durchdrang, worauf alle sündigten …»
Röm 5,12

Das Problem aller Menschen

Ausführlich hat Paulus im Römerbrief die Unzulänglichkeit der Menschen erklärt. Wir leben, wir sterben, und wir machen Fehler.

«Da ist kein Unterschied; denn alle sündigten und ermangeln der Herrlichkeit Gottes.»
Röm 3,23

Der Apostel hat begründet, weshalb er alle Menschen in einen Topf wirft. Nicht etwa, weil er verurteilt, sondern weil wir alle mit unserer Sterblichkeit konfrontiert werden und alle «der Herrlichkeit Gottes» ermangeln. Wir leiden an Mangelerscheinungen. Wir sind sterblich und bringen es auch sonst nicht auf die Reihe. Das haben alle Menschen gemeinsam. Das heisst nicht, dass alle Menschen «gleich schlecht» sind, sondern dass keiner sich aus diesen Dingen auf eigene Kraft befreien kann. Die Bibel ist hier sehr nüchtern.

Darauf gibt es nun eine Antwort Gottes. Ebenso wie «Sünde» und «Tod» zusammengehören, so gehören auch «Leben» und «Gerechtigkeit» zusammen. Sünde und Tod prägen die Erfahrung der Menschen, während Leben und Gerechtigkeit die Antwort Gottes auf diese desolate Situation ist.

Keine Erbsünde

Schauen wir, was in diesem Vers geschieht:

  1. Durch einen Menschen drang die Sünde in die Welt ein
    1. und durch die Sünde der Tod
    2. und so zu allen Menschen der Tod durchdrang
  2. worauf alle sündigten.

Die Sprachfigur ist eine Umkehrung. Der Zusammenhang ist klar. Hier wird Adam als Ursprung von Sünde und Sterblichkeit gesehen. Seit diesem Versehen sind alle Menschen betroffen. Dass hier nun steht «Durch einen Menschen» deutet darauf hin, dass Adam sozusagen als Kanal gesehen wird. Es geschah durch ihn. Es ist, als hat seine Entscheidung die Schleuse geöffnet und die Probleme strömten herein. Die 1. Gruppe wird spiegelbildlich von der 2. Gruppe wiederholt. In der 1. Gruppe geht es um Adam, in der 2. Gruppe geht es um die ganze Menschheit.

Schauen wir nun, was Paulus hier genau beschreibt:

  1. Sünde trat ein und mit ihr der Tod
  2. Der Tod drängt nun zu allen Mensch durch, woraufhin alle sündigen.

Hier wird deutlich, dass nicht die Sünde vererbt wird, sondern der Tod. Wir sind sterblich. Diese Sterblichkeit wird von Generation zu Generation weitergegeben. Diese Sterblichkeit ist nun die Ursache dafür, dass alle sündigen, nämlich ihr Ziel verfehlen. Anstelle von einer «Erbsünde» könnte man aufgrund dieses Verses passender von «Erbtod» sprechen. Besser wäre es vermutlich würden wir schlicht von «Sterblichkeit» reden.

Der Mensch ist also nicht «von Grund auf schlecht», sondern er ist von Geburt an «sterblich». Diese Sichtweise entspricht nicht nur der Realität, sondern lässt sich hier gut aus der Bibel begründen. Die Sterblichkeit haftet uns an und ist Ursache für viele Probleme. Sie führt dazu, dass wir sündigen und wir der Herrlichkeit Gottes ermangeln (Röm 3,23).

Diese Situation ist unausweichlich und deshalb ein reales Problem für jeden Menschen. Dies ist auch der Hintergrund für das Evangelium der Gnade Gottes. Die Sünde ist real, nicht weil sie «vererbt» wird, sondern weil sie uns aufgrund unserer Sterblichkeit anhaftet.

Die Folge der Lehre der Erbsünde führt jedoch in die Irre. Zuerst folgert man, dass die Sünde vererbt wird, dann, dass jeder Mensch «verdammungswürdig» ist, und zwar bereits als kleines Kind, und schliesslich, dass jedes Kind nach der Himmel-und-Hölle-Lehre verloren geht und deshalb Sakramente zur Rettung benötigt, sollte es im Sterben liegen. Es ist eine katastrophale Abfolge von falschen Schlussfolgerungen.

Die Lehre einer Erbsünde erklärt nichts, sondern verfinstert den Ausblick. Gott richtet etwa in keinem Gericht eine vermeintliche Erbsünde, sondern immer wird das Verhalten gerichtet – nämlich «gerade gerückt». Es geht um die Frage «Was hast Du im Leben getan?». Es sind diese «Werke», die gerichtet werden (z.B. Offb 20,12). Weder Glaube noch Erbsünde spielen eine Rolle bei den Gerichten Gottes, sofern Menschen involviert sind.

Nur beim Kreuz wird von diesem Eindruck abgewichen. Hier wird nicht der Mensch für seine Taten gerichtet, sondern der Sohn Gottes wird für die Taten der Anderen gerichtet. Das ist, was das Kreuz nach der Bibel bewirkt. Das ist Gottes Wirken zu unserer Gunsten. Diese Gerechtigkeit Gottes wird geschenkt, weil es keiner erreicht. Niemand erreicht Gottes Herrlichkeit, weil unsere Sterblichkeit zu ständiger Zielverfehlung führt. Wir brauchen eine Lösung. Darüber spricht das Evangelium der Gnade Gottes. Darin geht es um Gottes Gerechtigkeit, die uns geschenkt wird (Röm 3,24).

Bereits wurde in Beitrag «Erbsünde hinterfragt» ausführlich auf diese Dinge eingegangen.

Adam und Christus

Im Rahmen unserer Studie im Römerbrief geht es hier nicht um die Erbsünde. Paulus hat nie von Erbsünde gesprochen. Er schreibt in Römer 5,12 über die Folgen für die Menschheit. Adam ist ein Kanal und er stellt dem Christus gegenüber. Das wird in den folgenden Versen erklärt.

Es gipfelt in der Aussage in Römer 5,18:

  1. Demnach nun, wie es durch die eine Kränkung für alle Menschen zur Verurteilung kam
  2. So kommt es auch durch den einen Rechtsspruch für alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens.

Paulus argumentiert ab 5,12 bis zu dieser Aussage in 5,18. Hier in Röm 5,12 geht es um Adam und die Folge für alle Menschen. Nachfolgend spricht er von Christus und die Folgen für dieselbe Menschheit.

Das werden wir noch im Detail betrachten.