Israel war das Hauptthema in den Evangelien. Jesus kam für Sein Volk Israel. Das Volk hat eine Zukunft voller Verheissungen, in denen ausgemalt wird, wie Israel zum Segenskanal für alle Nationen wird. Gottes Ziel ist die ganze Welt. Das hat Er bereits Abraham erzählt. Israel als Volk sollte eine priesterliche Nation werden und Mittler zwischen Gott und den übrigen Nationen sein. Und dann kam alles anders.

Das auserwählte Volk

Wenn Paulus in Römer 9 über Israel spricht, woran denken wir dann? Kennen wir den Unterschied zwischen Israel und den Nationen? Das versuchen wir in diesem Beitrag zu klären.

Das Verhältnis zwischen Israel und den anderen Nationen ist nicht die Geschichte eines Lieblingsvolkes und «den Rest». Es ist vielmehr die Geschichte der Liebe Gottes. Gott wählt sich ein Volk aus:

«Denn ein heiliges Volk bist du Jahwe, deinem Gott: Dich hat Jahwe, dein Gott, erwählt, ihm zum Eigentumsvolke zu sein aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind. Nicht weil euer mehr wären als aller Völker, hat Jahwe sich euch zugeneigt und euch erwählt; denn ihr seid das geringste unter allen Völkern; sondern wegen Jahwes Liebe zu euch, und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen, hat Jahwe euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Hause der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.»
5Mo 7,6-8

Israel wurde als «Eigentumsvolk aus allen Völker» gewählt, aber nicht, weil sie etwa grösser oder besser seien. Marketing-technisch würde man heute ein grosses, bereits erfolgreiches Volk bevorzugt haben. Gott jedoch berichtet hier von etwas anderem. Vielmehr war Israel «das geringste unter allen Völkern».

Die Wahl war nicht logisch. Warum hat Gott dieses Volk ausgewählt? Liebe wurde als Grund angegeben. Ausserdem wurde der Eid bekräftigt, den Gott den Vätern, beginnend bei Abraham, bereits gegeben hatte (1Mo 12,1-3; 1Mo 17,1-14). Bei einer Auserwählung geht es nie um eine Bevorzugung. Auserwählung hat immer ein Ziel vor Augen. Auserwählung ist in der Bibel nie Selbstzweck, sondern immer mit dem Ziel, durch den Auserwählten zum Segen zu wirken. Auserwählung ist immer mit einer Aufgabe verknüpft.

Die Geschichte mit Israel entwickelt sich. Als Jesus geboren wurde, sahen viele darin die Erfüllung von Verheissungen eines Messias:

«Und du, Bethlehem, Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel weiden wird.»
Mt 2,6, vgl. Micha 5

In Jesus wurde dieser Führer Israels erkannt. Er wäre der erwartete Messias. Durch diesen Messias sollte nun die Erfüllung der messianischen Verheissungen stattfinden. Johannes der Täufer und wenig später Jesus selbst sprachen davon: «Das Königreich der Himmel ist nahe gekommen» (Mt 3,2; Mt 4,17).

Das Königreich der Himmel ist der Inbegriff der messianischen Verheissungen. Es ist das Thema der Evangelien. Der Messias ist da, der König ist da, das verheissene Königreich steht kurz vor der Aufrichtung! Es war eine Zeit, aufgeladen mit messianischer Erwartung.

Der Ausdruck «Königreich der Himmel» entstammt den Propheten. Der Prophet Daniel hatte von einem Königreich «der Himmel» gesprochen, also ein Königreich mit einem himmlischen Ursprung, das «unter allen Himmeln» aufgerichtet werden sollte, d.h. auf der ganzen Erde (Dan 2,44; Dan 7,27). Zu Daniels Zeiten war dieses Königreich eine Verheissung und noch «weit weg», aber mit Jesus war es «nahe gekommen». Das war die Verkündigung.

Weil Christen oft davon ausgehen, dass «überall, wo Jesus darauf steht, heutige Gemeinde drin ist», muss der Unterschied etwas betont werden. Jesus sprach davon, dass Er «nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels» gesandt war (Mt 15,24) und Paulus bestätigt später, dass Jesus gekommen war, die Verheissungen an die Väter zu bestätigen (Röm 15,8). Das spricht also nicht von der heutigen Gemeinde aus allen Nationen! Die heutige Gemeinde ist in den Evangelien unbekannt. Es geht bei der heutigen Evangeliumsverkündigung nicht bloss um eine andere Ausrichtung der Verkündigung, sondern um eine grundsätzlich andere Verkündigung. Heute geht es nicht um das messianische Reich oder um die Erfüllung der Verheissungen an Israel. In den Evangelien jedoch waren diese Dinge das Hauptthema.

Wofür Jesus gekommen war, betrifft die Verheissungen an Israel und das messianische Reich. Das war Seine Botschaft in den Evangelien. Anderes war bisher nicht bekannt. Es war jedoch ein heisses Thema: Die Zukunft von Israel stand unmittelbar bevor! Diese Entwicklung ist Hintergrund für die Bestürzung von Paulus in den ersten Versen vom neunten Kapitel vom Römerbrief. Etwas an dieser messianischen Verheissung für Israel hat sich nicht erfüllt. Das war eine Katastrophe, verursachte Schmerz und Bestürzung.

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben

So erlebten es die Gläubigen damals: Der Messias wurde gekreuzigt. Das Königreich wurde nicht aufgerichtet. Es muss sich angefühlt haben, als wurden alle Erwartungen in Jesus mit einem Schlag vom Tisch gefegt. Dann kam die Auferstehung. Ein gewaltiges Ereignis. Aber wie stand es um die messianische Erwartung? Nach der Auferstehung fragten die Jünger an Jesus: «Herr, stellst Du in dieser Zeit das Königreich für Israel wieder her?» (Apg 1,6). Das war, was die Jünger nach vielen Jahren Unterricht von Jesus direkt erwartet hatten. Das Königreich für Israel war die Erwartung, nicht etwa eine Gemeinde aus allen Nationen. Wer immer noch denkt, dass die Evangelien für die heutige Gemeinde sind, kann mit solchen Aussagen nichts anfangen.

Jesus antwortete:

Da sagte Er zu ihnen: «Euch steht es nicht zu, die Zeiten oder Fristen zu erfahren, die der Vater in eigener Vollmacht festgesetzt hat.»
Apg 1,7

Ich stelle mir vor, dass die Jünger etwas konfus über diese Antwort waren. Erst stirbt der Messias, dann wird Er mit Macht aus den Toten auferweckt. Das war bereits eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nun war Jesus auferweckt und neue Hoffnung auf das messianische Reich entsteht. Wie geht es weiter? Deshalb stellten die Jünger diese Frage nach dem Königreich für Israel. Jesus antwortet dann nüchtern und verschiebt das Datum auf «irgendwann». Was sollen die Jünger dabei gefühlt haben?

Das Königreich wurde aufgeschoben, jedoch nicht aufgehoben. Die Aufrichtung des Königreiches, der richtige Zeitpunkt dazu, wird von Gott, dem Vater, bestimmt. Bezeichnend stehen diese Frage und die Antwort zu Anfang der Apostelgeschichte. Das Buch der Apostelgeschichte beschreibt die chaotische Zeit nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. Die Gemeinde in Jerusalem muss sich neu finden, die Apostel müssen pragmatische Lösungen für alltägliche Aufgaben finden und dann gibt es plötzlich auch noch diesen Paulus, der als 13. Apostel berufen wird, speziell für die Nationen.

Mit dem Auftreten von Paulus geschieht erneut etwas Neues. Paulus spricht direkt zu den Nationen, was unerhört war. Bedenken wir, dass Petrus noch mit Visionen dazu gebracht werden muss, einem Proselyten mit Namen Kornelius zu begegnen (Apg 10). Die «Bekehrung der Welt», wie es Christen gerne als Ziel der Apostel interpretieren, war bei Petrus nicht sehr präsent. Logisch, denn Petrus wartete noch auf das Königreich für Israel. Paulus jedoch wartete nicht darauf und ging direkt zu den Nationen. (Huch!)

Während das Königreich für Israel aufgeschoben wird, tritt Paulus als «Apostel der Nationen» (Röm 11,13) auf die Bühne. Das war umwerfend neu und hat für viel Diskussionsstoff im Neuen Testament gesorgt. Die Apostelgeschichte ist der Bericht eines Umbruchs. In dieser Zeit ändern sich viele Dinge. Es gibt einerseits noch die Gemeinde in Jerusalem, mit den zwölf Aposteln, wartend auf die Aufrichtung des messianischen Reiches, und andererseits gibt es diesen Apostel Paulus, der «mehr arbeitet als alle» (1Kor 15,10) und direkt eine «Gemeinde aus allen Nationen» herausruft. Die frohe Botschaft, womit er zu den Nationen kommt, nennt er mehrmals «mein Evangelium», welches er auch den zwölf Aposteln vorstellt.

Zum Verständnis des Neuen Testaments ist es unerlässlich, Israel und die Gemeinde aus allen Nationen als zwei verschiedene Dinge zu erkennen. In der Übergangszeit gab es noch viele Menschen, die Jesus vielleicht direkt gekannt hatten. Das galt auch für einige Menschen in den Gemeinden, die Paulus gründete. Diesen Menschen sagt der Apostel ausdrücklich:

«Selbst, wenn wir auch Christus dem Fleisch nach gekannt haben, kennen wir Ihn jedoch nun nicht mehr so.»
2Kor 5,16

Vereinfacht könnte man sagen, dass wir nicht in den Evangelien hängen bleiben sollten. «Jesus vor der Auferstehung» betrifft nicht dieselbe Situation als «Jesus nach der Auferstehung». Besser wäre es, zu sagen: Die Zeit der Evangelien entsprach der Erwartung für Israel. Jetzt aber ist einiges neu geworden (2Kor 5,17). Paulus schrieb das an die Gemeinde in Korinth, eine Gemeinde mit Menschen «aus allen Nationen». Das war umwerfend neu.

Wir sollten nicht tun, als wären wir Israel, sondern wir sollten realisieren, dass die Erwartung für Israel zwar nicht aufgehoben, aber doch aufgeschoben war. Gerade passierte etwas, das vorher unbekannt war: Menschen aus allen Nationen wurden zum Glauben berufen. Diese Änderung brachte viele Fragen hervor.

Israel und die Nationen

Aus dieser Vorgeschichte wird deutlich, weshalb Paulus im Römerbrief das Thema Israel aufgreift. Es war so viel im Umbruch, dass in den Gemeinden wohl Verwirrung herrschte. In der Gemeinde in Rom waren sowohl Gläubige aus den Juden als auch Gläubigen aus den Nationen. Wie war das jetzt mit Israel?

Paulus beginnt seine Ausführung mit folgenden Worten:

«Wahrheit rede ich in Christus
(ich lüge nicht, mein Gewissen bezeugt es mir in heiligem Geist):
Grosse Betrübnis ist in mir und unablässiger Schmerz in meinem Herzen
–
 für meine Brüder, 
 meine Stammverwandten dem Fleische nach,
die Israeliten sind,
denen der Sohnesstand
 und die Herrlichkeit gehören,
die Bündnisse
 und die Gesetzgebung,
der Gottesdienst
 und die Verheissungen,
denen die Väter angehören
und aus denen Christus
 dem Fleische nach stammt,
der über allen ist, Gott, gesegnet für die Äonen!
Amen!»


Rö 9,1-5

Paulus schreibt als Betroffener. Er selbst war doch Jude, aus dem Stamm Benjamin, ein Israelit:

«Beschnitten am achten Tage, vom Geschlecht Israel, vom Stamme Benjamin, Hebräer von Hebräern.»
Phil 3,5

Paulus war bestürzt über das, was er an Israel sah. Die Entwicklung ging in eine ganz andere Richtung als angenommen. Dies waren seine Brüder. Aus diesem Volk kam er. Und nicht nur er selbst, sondern auch Jesus war Jude. Alle Grundlagen für das Evangelium der Gnade, welches Paulus verkündete, waren in diesem Volk Israel begründet. Nur wenige aus dem Volk sahen jedoch in Jesus den erwarteten Messias. Deshalb war Paulus in Not.

Zuerst beschreibt der Apostel alle Vorrechte für das Volk Israel. Er würdigt Gottes Berufung für das Volk. Er nennt das Volk «Israeliten». Das ist insofern bedeutsam, als das Israel zu jener Zeit die übliche Bezeichnung für die Juden war. Während Gott mit Israel handelte, liess Er die Nationen ihre eigenen Wege gehen (Apg 14,16). Diese Nationen waren also immer schon da. Darauf kommen wir bald zu sprechen.

Exkurs «Anglo-Israel»

Verlorene zehn Stämme?

Seit Jahrzehnten begegne ich Menschen, die von der Anglo-Israel-Idee eingenommen sind. Diese Lehre sieht eine strikte Trennung vom ehemaligen Israel (Nordreich «Israel» und Südreich «Juda») als bleibende Differenzierung in Gottes Handeln. Die zehn Stämme wären «verschollen» und tauchen als verschiedene westliche Nationen wieder auf, bis hin zur Idee, dass England das einzige wahre weltweite Königreich Gottes sei. Es ist, als entstehen dabei zwei verschiedene Völker, die «Juden» einerseits und «Israel» andererseits, wobei die Juden dann lediglich zwei Stämme repräsentierten, und Israel die «verschollenen zehn Stämme» wäre. Jedes dieser «Völker» hätte eine eigene Zukunft vor sich. Selbstredend erkennen die Anhänger dieser Lehre sich selbst in diesem «wiedergefundenen Israel».

Persönlich halte ich nicht viel von diesen Ideen, weil sie sich bereits aus der Schrift widerlegen lassen. Bibeltexte werden aus dem Zusammenhang gerissen, geschichtliche Entwicklungen werden ignoriert und wildfremde Quellen werden für eigene Zwecke missbraucht. Man bastelt ein eigenes Weltbild, das in vielen Bereichen nicht nur theologisch abstrus, sondern oft verstörend rassistisch geprägt ist. Gerade die Kapitel 9-11 aus dem Römerbrief widerlegen diese Lehre. Das Grundverständnis von Israel in der Bibel ist ein anderes, als die Lehren dieser Lehrmeinung suggerieren.

Juda und Israel

Vorbei sind die Zeiten, worin es einzelne Stämme in eigenen Gebieten gab. Israel wurde zerstreut. Juda wurde zerstreut. Jakobus richtet sich in seinem Brief an «die zwölf Stämme in der Zerstreuung» (Jak 1,1). Daraus ist klar, dass nicht nur zehn Stämme zerstreut wurden, sondern alle Stämme vom ehemaligen Nordreich und dem Südreich in der Diaspora landeten. Die jüdische Diaspora ist die aller zwölf Stämme Israels. Jakobus richtete sich nicht nur an zwei dieser Stämme, sondern an alle zwölf, soweit sie zerstreut waren und demnach der Diaspora angehörten.

Die Ausdrücke «Jude» und «Israel» sind zu Synonymen geworden. Alle Stämme waren einst weggeführt in Gefangenschaft und aus allen Stämmen waren Menschen wieder in das verheissene Land zurückgekommen*. Ausserdem sollte man bedenken, dass bei den Wegführungen durch die Assyrer und Babylonier nie alle Menschen weggeführt wurden. Immer blieben einige auf dem Land, es zu bestellen. Bei der Rückkehr kamen also Menschen wieder in das Land Israel und zu Jerusalem zurück, und fanden dort Menschen aus dem eigenen Volk vor. Seit diesen Ereignissen und der Rückkehr vieler Menschen aus der Diaspora werden «Juda» und «Israel» als Bezeichnungen für das gesamte Volk genutzt. Auch Paulus selbst, als Benjaminiter, wäre Teil vom ehemaligen Königreich «Juda», jedoch sah er sich selbst als Teil von Israel («aus Israels Geschlecht, aus dem Stamm Benjamin» Phil 3,5).

Jesus war geschickt «zu den verlorenen Schafen vom Haus Israels» (Mt 15,24), und zu denen sprach Er. Zur Zeit des Neuen Testaments konnten einige zwar ihre Zugehörigkeit zu einem der Stämme zurückverfolgen, aber eine Unterscheidung zwischen zwei Reichen Juda und Israel, zwischen zwei und zehn weitere Stämme, war nicht mehr gegeben. Vielmehr waren etwa zu Pfingsten Juden und Proselyten aus aller Welt in Jerusalem, als Petrus seine Predigt hielt (Apg 2,5-11). Er sagte darin: «Mit Sicherheit erkenne daher das ganze Haus Israel …» (Apg 2,36). Das Haus Israel sah er demnach als seine Zuhörerschaft.

Nationen

Wenn im Neuen Testament von Israel die Rede ist, ist das ein Unterschied zu allen anderen Nationen. Es kein Unterschied zwischen «Juda» und «Israel». Es ist «Israel» einerseits und es sind die «Goyim», die «Heiden», andererseits. Paulus wurde ein Apostel «der Nationen», nicht «von Israel». Das ist genau der Punkt, der hier wichtig ist. Für die zwölf Stämme Israels gab es bereits die zwölf Apostel. Sie werden einmal auf zwölf Throne sitzen, um die zwölf Stämme zu richten (Mt 19,28). Paulus jedoch war der Apostel für die Nationen (Röm 11,13). Das war etwas Neues. Der Unterschied spielt im ganzen Neuen Testament eine wichtige Rolle, insbesondere aber hier in Römer 9–11.

Vertiefung

* The History of the Ten Lost Tribes, Anglo-Israelism Examined, by David Baron (Forgotten Books).
Amazon | Forgottenbooks.com

Israel und die Nationen

Zu Israel und den Nationen könnte man noch vieles sagen. In der Kürze möge hier die Würze liegen. Es möchten Denkanstösse sein. Es gibt verschiedene Hinweise, Texte wie hier oben zitiert, die als Schlüsselverse betrachtet werden können. Sie sollen uns hauptsächlich zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Neuen Testament anregen, damit wir es besser verstehen lernen. Am Schluss dieses Beitrages werden ein paar weiterführende Beiträge verlinkt.

Dies sollte man festhalten: Im Neuen Testament wird Geschichte geschrieben. Es gibt eine Entwicklung. Nicht alles geschieht nacheinander. Viele Dinge geschehen fast gleichzeitig. Man erkennt die Überlappung von der Gemeinde aus Israel (12 Apostel) und der Gemeinde aus allen Nationen (Paulus). Schlüsselverse helfen dabei, ein besseres Verständnis für die grossen Zusammenhänge zu erhalten. Wer in der Zeit der Apostel lebte, hat diese Differenzen hautnah miterlebt.

Die Entwicklungen waren mitunter verwirrend. Es gab Auseinandersetzungen. Man musste sich einigen. Es war beispielsweise gar nicht so klar, wie es nun mit Israel weiterging. Und warum läuft es mit der Gemeinde aus allen Nationen so anders als mit Israel? Paulus kommt jetzt auf Israel zu sprechen, weil Fragen auf dem Tisch liegen. Fragen danach, wie es mit Israel weitergeht, wie es jetzt mit Gottes Wort aussieht, das doch von Israel und für Israel gesprochen hat. Paulus klärt die Gemeinde in Rom auf, weil das eben nötig war. Auch wir sollten wissen, wie und wo von Israel die Rede ist. Das nämlich hat mit uns zu tun.

Es gibt in der christlichen Geschichte verschiedene Fehlentwicklungen bei der Betrachtung von Israel. Einmal gab es die Kirche, die meinte, sie hätte Israel «ersetzt». Dann gibt es Kirchen und Gemeinden, die im eigenen christlichen Bubble leben und Israel strikt ausblenden. Wieder andere Christen übernehmen jüdische Riten und Symbole und hoffen dadurch «näher bei Gott» zu sein, etwas Sichtbares in dieser Welt zu erleben. Andere sehen sich selbst als das «bessere Israel», wie etwa die Anglo-Israel-Bewegung.

Nichts von all dem hilft wirklich weiter. Entscheidend ist, dass Gott wirkt. Dabei spricht Er mal zu uns und mal nicht zu uns. Nicht alles aber spricht von uns. Ausserdem ist die heutige Zeit sehr speziell. Paulus kommt in diesen Kapiteln darauf zu sprechen. Er klärt, wie es mit Israel weitergeht und warum gerade etwas anderes stattfindet. Israel hat den ganz eigenen Platz im Heilshandeln Gottes. Die heutige Gemeinde hat einen anderen und ebenfalls ganz eigenen Platz darin.

Wo sind wir gemeint? Das ist die Frage, die heute zählt. Wo und wie spricht Gott zu uns? Und: Welche Erwartung wird für Israel noch erfüllt und für den Rest der Welt? Das betrifft dann der Ausblick. Mit Israel teilen wir viel mehr, als uns trennt.

Wir können es vielleicht so tun wie Paulus. Beginnen wir damit, Gottes Wirken für andere Menschen und Gruppen zu würdigen. Vielleicht sind wir wie Paulus bestürzt, dass andere Menschen es anders sehen als wir selbst. Wir können alles aber – wie Paulus – in Gottes Händen lassen, denn Er steht über allem, auch über unser Verständnis.

Wenn wir so auf Gottes Wirken vertrauen und dabei schauen, wie Er wirkt, sind wir bereit für die Ausführungen, die in den nächsten Kapiteln kommen.