Paulus spricht in Römer 11 über ein Geheimnis. Kennst Du es? Es ist ein Geheimnis über die heutige Zeit. Als Jesus zu predigen anfing, war das Thema das bevorstehende Königreich der Himmel. Das aber wurde nicht aufgerichtet. Stattdessen entstand die Gemeinde aus allen Nationen, mit Paulus als Apostel. Das war neu. Und Israel (vgl. Apg 1,6)? Wurde Israel jetzt beiseitegeschoben? Keineswegs, aber wie das heute abläuft, das war ein Geheimnis.

«Denn ich will euch, meine Brüder, über dieses Geheimnis nicht in Unkenntnis lassen (damit ihr nicht bei euch selbst als besonnen geltet): Verstockung ist Israel zum Teil widerfahren, bis die Vervollständigung der Nationen eingehe. Und sodann wird Israel als Gesamtheit gerettet werden, so wie geschrieben steht: Eintreffen wird der Bergende aus Zion; abwenden wird Er die Unfrömmigkeit von Jakob (Jes 59,20-21). Und dies ist Mein Bund mit ihnen, wenn Ich ihre Sünden wegnehme.»

Röm 11,25-27

In diesem Abschnitt fasst Paulus alle bisherigen Gedanken zusammen und bringt sie zu einem Abschluss. Hier reisst er auch die letzten Wolken auf, damit der Blick auf Gottes Handeln frei wird. Das ist befreiend für alle Völker – für die Juden und für die Nationen. Jeder hat seinen eigenen Platz. Keiner wird verlassen. Alle werden einbezogen, aber mit unterschiedlichen Aufgaben.

Geheimnisse

Sobald wir im Neuen Testament von Geheimnissen lesen, sind diese nicht mehr geheim. Gerade das Gegenteil trifft zu: Was einst geheim war, ist jetzt offenbart. Dabei ist nichts geheimnisvoll oder unklar. Früher wusste niemand darüber (weshalb es lange geheim war). Sobald aber das Geheimnis offenbart wird, kann jeder mehr darüber erfahren. So ist es mit Geheimnissen im Neuen Testament.

Im Neuen Testament werden eine Reihe von Geheimnissen offenbart. Paulus spricht an verschiedenen Stellen über verschiedene Geheimnisse. Er kann diese Geheimnisse offenbaren, weil er sich nicht nur auf die Vergangenheit abstützt. Paulus schreibt selbst, dass er direkt von Jesus Christus Enthüllungen erhielt (Gal 1,11-12).

Merksatz: Wenn Geheimnisse enthüllt werden, ändert sich etwas, das Bedeutung hat.

In den letzten drei Kapiteln war die Ablehnung von Israel gegenüber Jesus Christus das Thema. Endlich war im Verständnis der Gläubigen der Messias gekommen, aber das Volk hat diesen Messias abgelehnt. Selbstverständlich gab es einzelne Ausnahmen. Die Juden, welche durch das Evangelium von Paulus zum Glauben an Christus gekommen waren, standen vor einem Rätsel. Wie sollte nun Gott mit diesem Volk Israel weiter vorgehen? Wurde das Volk von Gott verstossen?

All das hat Paulus Schritt um Schritt entkräftet. Hier nun schreibt er die Zusammenfassung:

  • Es gibt ein Geheimnis, welches wir kennen sollten (> Enthüllung hier!)
  • Israel ist zum Teil verstockt (> aber andere sind es nicht!)
  • bis die «Vervollständigung der Nationen» eingehe (> Die heutige Gemeinde)
  • damit danach das Volk als Gesamtheit gerettet wird (> der Neue Bund).

Das Geheimnis

Das Geheimnis, wovon Paulus spricht, ist die teilweise Verstockung Israels für eine bestimmte Zeit. Die Verstockung ist nicht endgültig, sondern nur solange, wie dass die «Vervollständigung der Nationen» weiterhin nicht komplett ist. Danach wird Israel wiederhergestellt, wenn nämlich «Gott Selbst die Unfrömmigkeit von Jakob wegnehmen» wird, und «Er ihre Sünden wegnimmt». Das sind konkrete Aussagen, auch wenn die Details fehlen.

Hier geht es nicht darum, welche Denomination man angehört, ob man dann orthodoxer Jude oder Reform-Jude ist, oder gar ein messianischer Jude. All diese Vergleiche und Abgrenzungen wie wir sie heute kennen sind dann nicht mehr von Bedeutung. Jeremia beschrieb es so:

«Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schliessen werde, spricht der HERR: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Grössten, spricht der HERR. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken.»

Jer 31,31-34

Israel und die Gemeinde aus allen Nationen

Nun hat Paulus das Verhältnis zwischen dem Volk und Gott beschrieben, aber wie steht es um meine und Deine Haltung diesem Volk gegenüber?

«Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen, 
nach der Auserwählung aber Geliebte um der Väter willen.
Denn unbereubar sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes.
Denn ebenso wie ihr einst gegen Gott widerspenstig wart,
 nun aber bei deren Widerspenstigkeit Erbarmen erlangtet,
so sind auch diese nun dem euch gewährtem Erbarmen gegenüber widerspenstig geworden,
damit auch sie von nun an Erbarmen erlangen können.
Denn Gott schliesst alle zusammen in Widerspenstigkeit ein, 
damit Er Sich aller erbarme»

Röm 11,28-32

Paulus begründet schrittweise. Das Wort «denn» leitet jeweils die nächste Begründung ein. Es fällt auf, dass Paulus immer wieder Gottes Handeln als entscheidend definiert. Das kulminiert in der Aussage, dass Gott selbst alle zusammen in Widerspenstigkeit einschliesst, damit Er Sich über alle erbarmen kann.

Die Feststellung in Röm 11,32 ist der Abschluss des lehrmässigen Teils vom Römerbrief. Zuerst hat er klargestellt, dass kein Mensch gerecht ist, auch nicht einer. Anschliessend hat er Gottes Gerechtigkeit offenbart, der allen gilt (Römer 3). Sind wir den Worten des Apostels bis hierhin gefolgt, hat er zuerst von dieser Gerechtigkeit Gottes gesprochen, dann davon, dass wir auf Basis dieser Gerechtigkeit mit Gott Frieden haben dürfen (Römer 4-5). Es darf unser Leben transformieren und unser Ausblick fest auf Gottes Handeln ausrichten. Wer dies im Alltag umsetzt (Römer 6-7) und in dieser Welt stets vor Augen hat (Römer 8), erhält Weitblick und Zuversicht auf Basis von Gottes Zusagen.

Die Erwartung der Propheten hatte diese Entwicklung nicht vorausgesehen. Die heutige Zeit war ein Geheimnis. Deswegen entstanden Fragen nach Gottes Handeln mit Israel. Wie würde es für dieses Volk weitergehen? Darüber spricht Paulus in Römer 9-11. Gott hat Israel nicht verstossen. Was gerade abläuft, war nie zuvor erwähnt, aber es ist nicht das Ende. Einmal geht es weiter. Gerade jedoch war eine Zeit der Gemeinde «dazwischengeschoben». Deswegen gibt es die Aufklärung vom Apostel. Das war unbekannt. Das war bis anhin ein «Geheimnis». Paulus erklärt, dass dieser Zustand für eine bestimmte Zeit gilt. Es ist der Zustand «bis» die Fülle der Nationen eingesammelt ist. Danach geht es für Israel machtvoll weiter. Eine erstaunliche Entwicklung und ein erstaunlicher Ausblick!

Bedenken wir dabei auch, dass hier keine individuellen Menschen, sondern ganze Völker angesprochen werden. Es sagt nichts über Dich oder mich aus, sondern darüber, wie Gott mit Völkern umgeht. Lange Zeit stand Israel zentral. Gerade jetzt stehen jedoch einzelne Menschen aus allen Nationen in der Verkündigung zentral. Sie bilden heute diese Gemeinde aus allen Völkern. Sie bilden die Kirche, die Ekklesia (gr. Herausgerufene). Das war umwerfend neu. Das ist jedoch nicht das letzte Wort, das über Israel gesprochen war. Es wird einen Moment geben, an der Israel wieder auf die Bühne tritt und Verheissungen an das Volk in Erfüllung gehen werden. So spricht Paulus darüber.

Umfassendes Heil

Liest man den Römerbrief, dann erfährt man, wie Gott Sein Heil umfassend vorbereitet und ausführt. Es wird nicht «plötzlich» geändert, sondern es sind lange Prozesse. Gott wirkt in der Geschichte. Dafür hat man einmal den Begriff «Heilsgeschichte» geprägt. Es ist in der Geschichte, dass Gott sein Heil auswirkt. Keiner wird dabei ausgelassen. Alle werden erreicht, jedoch nicht alle gleichzeitig. Die heutige Zeit war sogar lange unbekannt. Betrachten wir unsere Zeit mit etwas Distanz, stellen wir fest, dass auch unsere Zeit einen Schritt hin zu Seinem Ziel ist, einmal «alles in allen» zu werden (1Kor 15,28).

Das Befreiende liegt darin, dass wir selbst und diese Welt in Seinem Handeln geborgen bleiben. Das enthebt uns nicht aus der Verantwortung, gut mit uns selbst, unseren Nächsten oder mit unserer Welt umzugehen. Paulus hält fest, dass – unabhängig der Umständen – Gott wirkt. Das schenkt Mut und Zuversicht. Darauf kann man sich freuen. Das ändert meine und Deine Geschichte und die der Welt. Darin ist Ausblick enthalten.

«Denn Gott schliesst alle zusammen in Widerspenstigkeit ein, 
damit Er Sich aller erbarme.»
Röm 11,32