Das zwölfte Kapitel des Römerbriefes befasst sich mit den Auswirkungen der Lehre aus den vergangenen Kapiteln. Paulus widmet sich der Umsetzung seines Evangeliums (Röm 2,16; Röm 16,25) innerhalb der Gemeinde. Mit jeder Unaufrichtigkeit und Fälschung aufrichtiger Liebe sollte es jetzt vorbei sein.

Was möchte Paulus mit der Gemeinde in Rom erreichen und wie könnte man das beschreiben? Es geht zuerst um eine Haltung. Deshalb geht es im nächsten Abschnitt um diese ungeheuchelte Liebe im Miteinander. Damit darf das Mass des Glaubens, wie es Gott einem jeden von uns gibt (Röm 12,3-8), bei jedem zur vollen Entfaltung kommen. Es geht nicht darum, wie wir etwas voneinander fordern, sondern darum, wie wir einander in einem Gott wohlgefälligen Leben fördern können.

Die Haltung der Liebe

Wie wir miteinander umgehen, wird von unserer Haltung geprägt. Die Haltung ist weiterhin nicht die Tat, aber eine Voraussetzung dazu, sollte es nicht wie «zufällig» aussehen. Eine Haltung der Liebe äussert sich in einer aufrichtigen Liebe. Nirgendwo wird das klarer zutage treten als im Miteinander der Gemeinschaft. So wie Paulus in Kapitel 12 auf den Lebenswandel zu sprechen kommt, ging es ihm zuerst um die einzelnen Menschen (Röm 12,1-2), danach um die Gemeinschaft untereinander (Röm 12,3-8).

Darauf kommt Paulus jetzt zu sprechen:

«Die Liebe sei ungeheuchelt!»

Röm 12:9

Dies ist als Überschrift über den aktuellen Abschnitt zu lesen. Paulus fängt gleich mit dem Wichtigsten an. Die Gemeinschaft soll zuerst durch eine ungeheuchelte Liebe getragen werden. An anderer Stelle schreibt Paulus, dass Glaube durch Liebe wirksam wird (Gal 5,6). Hier im Römerbrief geht es ebenfalls um die Wirksamkeit. Durch Liebe soll gelebt werden, was Bedeutung hat. Liebe ist wesentliches Merkmal von gelebten Glauben. Liebe ist die Umsetzung des Evangeliums. Sie soll wirklich sein. Die Liebe soll ungeheuchelt sein.

Negative Beispiele

Heuchelei spricht von einer negativen Auswirkung. Heuchelei (gr. hypokrisis) ist in religiösen Kreisen keine Ausnahme. Jesus hat bereits darauf hingewiesen, als er bei den religiösen Gruppen seiner Zeit Missstände sah:

«Ich aber sage euch … Folglich, wenn du Almosen gibst, lass nicht vor dir her posaunen, so wie die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen es tun, damit sie von den Menschen verherrlicht werden.»

Mt 6,2. Siehe auch Mt 6,5 und Mt 6,16.

Die Heuchler tun zwar etwas, aber nicht mit rechter Absicht. Sie tun es, damit sie selbst verherrlicht werden. Nicht der Nottragende steht im Mittelpunkt, sondern sie selbst. Man sucht Ehre von anderen Menschen. Heuchelei versteckt sich in letzter Konsequenz vor der wirklichen Begegnung und setzt die Betrachter auf eine falsche Fährte. Es gibt ein Widerspruch zwischen innere Haltung und Lebensweise.

Heuchelei versteckt sich in letzter Konsequenz vor der wirklichen Begegnung.

Jesus spricht die Heuchler auch direkt an:

«Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gleicht getünchten Grüften, die zwar von aussen schön verziert erscheinen, inwendig aber sind sie angefüllt mit Totengebeinen und aller Unreinheit. So erscheint auch ihr den Menschen von aussen zwar gerecht, inwendig aber seid ihr gedunsen vor Heuchelei und Gesetzlosigkeit.»

Mt 23,27-28

Wie man ganz Mensch bleibt

Heuchelei ist aber auch dem Menschen generell eigen. Paulus schreibt an Timotheus über die künftigen Zeiten:

«Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in den nachmaligen Fristen etliche vom Glauben abfallen werden, weil sie auf irreführende Geister und Lehren der Dämonen achtgeben. Solche haben durch Heuchelei in Lügenworten das eigene Gewissen wie mit einem Brenneisen verschorft; Sie verbieten zu heiraten und gebieten, Speisen zu entsagen, die Gott erschaffen hat, um von den Gläubigen mit Dank eingenommen zu werden …»

1Tim 4,1-3

Wer heuchelt, der betreibt Unfug mit seinem eigenen Gewissen. Sie würden das eigene Gewissen «wie mit einem Brenneisen verschorfen», schreibt der Apostel. Heuchelei macht unempfindlich. Oder mit anderen Worten: Das Mitgefühl leidet, die Empathie. Deswegen steht als Erstes in unserem heutigen Abschnitt: «Die Liebe sei ungeheuchelt!». Damit wir ganz Mensch bleiben. Damit wir unseren Glauben nicht daran hindern, aktiv und wirksam zu werden.

Wirksamkeit der Liebe

Wirksam wird Liebe durch klare Aktionen:

«Seid solche, die das Böse verabscheuen und am Guten haften!
In der geschwisterlichen Freundschaft seid einander herzlich zugetan
in der Ehrerbietung einander höher achtend
im Fleiss nicht zögernd
im Geist inbrünstig
dem Herrn als Sklaven dienend
in der Erwartung freudevoll
in der Drangsal ausharrend
im Gebet anhaltend
zu den Bedürfnissen der Heiligen beisteuernd
der Gastfreundschaft nachjagend»
Römer 12:9–13

Alle diese Dinge lassen sich nur durch tägliche Entscheide umsetzen. Dies ist ganz praktisch. Bei Weitem geht es aber nicht nur um soziales Engagement. Lassen sich hier weitere Elemente aus der Liste ablesen? Worum geht es? Wie und wo bewährt sich unser Glauben?

Vertiefung

  • Von Adolf Heller stammt die Aussage (in meinen Worten): «Liebe ist der Entscheid zur Gemeinschaft». Diskutiere.
  • Wie unterscheidet sich Liebe von Gefühl? Und wo überlappen sie sich?
  • Wie wird Liebe wirksam?
  • Wohin soll Theologie führen? Was ist die Aufgabe von Lehre und Theologie im Hinblick auf den Lebenswandel? Begründe.