Künstliche Intelligenz ist in allen Lebensbereichen auf dem Vormarsch. Das ist nicht böse und nicht neu und gewiss keinen Grund in eine Schreckstarre zu verfallen oder die Apokalypse heraufzubeschwören. Die Auseinandersetzung mit umwälzenden neuen Technologien ist zuerst fremd, aber wir haben das als Gesellschaft schon oft gemacht. Auto, Telefon, Fernsehen, Mobiltelefon, Internet – sie alle haben weitreichende Folgen gehabt. Heute ist die künstliche Intelligenz an der Reihe.

Wenn Computer den Pastor ersetzen

In Deutschland fand letzthin der erste Gottesdienst statt, worin der Pastor von ChatGPT ersetzt wurde. In einem Bericht heisst es:

«Vor der Gemeinde erschien er in Gestalt eines bärtigen, dunkelhäutigen Mannes. Neuropastor predigte vor 300 Gemeindemitgliedern. Es wird berichtet, dass auch der Predigttext, die Musik und die Gesänge zur Urheberschaft intelligenter Maschinen gehören.»
Quelle: futuriq.de

Der «bärtige, dunkelhäutige Mann» wurde auf einen Bildschirm projiziert, als wäre es eine Live-Übertragung. Es war ein Novum, jedoch werden weitere Entwicklungen stattfinden. Bereits heute mangelt es an Pastoren. Wie sollte nun eine Kirche der Zukunft aussehen? Live-Übertragungen gibt es bereits bei vielen Events, auch in Kirchen. Findet nun statt einer Live-Übertragung eine Predigt von einem AI-Chatbot statt, könnte man sich damit anfreunden?

Bei der Geschwindigkeit der Änderungen reicht es nicht mehr, wenn man meint «ich höre lieber einem Menschen zu», auch wenn das stimmt. Es wird für viele Menschen nicht mehr möglich sein, aufgrund von Alter, Distanz oder auf andere Art, dass man zum gewünschten Gottesdienst kommen kann. Wenn eine Fernsehübertragung oder YouTube «akzeptabel» ist, weshalb wäre es keine Predigt eines ChatBots?

Ich behaupte hier nicht die Wahrheit zu kennen, noch den Schlüssel der Erkenntnis zu besitzen. Es heisst keineswegs, dass ich diese Entwicklungen bejahe, jedoch auch nicht, dass ich sie verneine. Über diese Entwicklungen nachzudenken kann man nicht in einem alten Denkschema machen, weil es solche Ideen und Möglichkeiten bislang noch gar nicht gab. Man bedenke, dass auch Fernsehsendungen aufbewahrt und später «aus der Büchse» neu angeschaut werden können. Ohne digitale Formate läuft schon lange nichts mehr.

Wird künstliche Intelligenz eine neue Religion begründen?

Bereits gibt es erste Stimmen und Versuche, aus künstlicher Intelligenz seinen eigenen Gott zu erschaffen. Oder ist es gerade das nicht? Denn künstliche Intelligenz soll bereits in vielem besser sein als wir selbst. Wenn künstliche Intelligenz sich so rasant weiterentwickelt wie bis anhin, werden Menschen von dem nicht nur fasziniert sein, sondern auch in frommer Demut davor auf die Knie gehen?

In dem Buch «Per Anhalter durch die Galaxis» beschreibt der Autor Douglas Adams, dass die Menschen einen Computer bauten, der die Antwort auf das Leben, dem Universum und allem errechnen sollten. Es gab zu diesem Kultbuch Serien im Fernsehen und einen Film, woraus hier einen Ausschnitt.

Douglas Adams hat die Antwort «42» zufällig ausgewählt. Die Antwort hat keine Bedeutung, auch wenn die Antwort Kultstatus in der Populärkultur erreichte. Was Douglas Adams hier skizziert, ist etwas, womit wir uns heute in der Realität auseinandersetzen, dass nämlich Maschinen entstehen, die wir um Information und Rat bitten können.

Gerade diese Eigenschaft von künstlicher Intelligenz, auch Antworte geben zu können, ist weitaus konkreter als die Antworte, die man aus der Bibel entnimmt. Dort geht es um Interpretation und nicht immer gibt es Antworte. Wer in der Bibel nachliest, Fragen stellt und auf Antworte hofft, muss diese oft im Ringen mit Gott und der Realität über längere Zeit für sich selbst herausschälen. Man stelle sich also vor, dass man einem ChatBot in frommer Demut Fragen stellen kann, und man tatsächlich Antworte erhält. Ob diese Antworte stimmen und ob ich damit etwas anfangen kann, das steht in einem anderen Kapitel.

Von SantO, einem katholischen Robot, bis Robo Rabbi, einem von künstlicher Intelligenz geprägte ChatBot gibt es viele verschiedene Anwendungen, die bereits heute genutzt und weiterentwickelt werden.

Warum geht es uns?

Glaube soll nicht «blind» sein, aber viele Menschen nutzen Glauben genau so, nämlich als Möglichkeit der Realität zu entkommen. Der «Nutzen» wird dann in der «Ruhe» gesehen. Eine Vereinfachung und Fixierung des Weltbildes hilft im Alltag. Die Flut an Informationen wird von jedem mit einer Deutung vereinfacht. Mit Christsein hat das nur bedingt etwas zu tun, aber wir können uns solche Wirkungen bewusst sein, insbesondere damit wir unterscheiden lernen, was im Leben und Glaube von bleibender Bedeutung ist – und was nicht.

Diese Entwicklung zeigt vielmehr auf, was wir als religiöse Haltung im Alltag ausleben möchten. Es zeigt schonungslos auf, dass wir alle Projektionen erlegen sind, die wir uns von Gott, der Welt und vielen Dingen machen. Wir sehen das in unterschiedlichen Kirchen, verschiedenen Lehren, und jetzt auch hier bei Anwendungen künstlicher Intelligenz.

Warum geht es uns? Möchten wir «fromm» sein, ohne zu wissen, was wir tun? Oder möchten wir unseren Glauben bewusst gestalten, aber auch bewusst verstehen lernen? Diese Fragen sind nicht nebensächlich, weil sie fordern uns heraus, über unsere eigenen Annahmen nachzudenken.

In einem früheren Beitrag habe ich einmal darauf hingewiesen, dass Gott nicht religiös ist. Nur Menschen sind religiös. Wenn wir uns überlegen, ob ein Chatbot in einer Kirche reden kann, befassen wir uns in erster Linie mit unserer eigenen Religiosität. Das aber hat mit einer Wahrheit gar nichts zu tun. Darin können wir festhalten, dass wir eine religiöse Diskussion oder Führung in dieser Art mögen oder nicht mögen. Wir können uns dafür oder dagegen entscheiden, oder länger die Möglichkeiten überlegen. Ich denke, wir tun das fast identisch, wenn wir einen Pastor für die Kirche wählen, in der Hoffnung, dass dieser uns weiterführt.

Auseinandersetzung

Es ist logisch, dass viele Menschen durch diese rasanten Entwicklungen und Herausforderungen verunsichert sind. Einige werden denken, dass sie sich nicht damit auseinandersetzen müssen und das die nächste Generation tun darf. Andere werden sich verkriechen oder die Apokalypse heraufbeschwören (was beides vergleichbar ist). Die Flucht in apokalyptischen Bildern ist einem Verschwörung-Glauben sehr ähnlich. Vielleicht erkennen wir daraus unsere eigene Not, die uns bei der Beurteilung dieser Welt zu schaffen macht.

Yuval Harari, ein berühmter israelischer Autor, erachtet es als möglich, dass Künstliche Intelligenz in absehbarer Zeit in der Lage wäre, eine neue und ganz eigene «Bibel» zu produzieren (Quelle).

Selbstverständlich ist das ein Verständnis, sowohl der aktuellen Bibel als auch von den Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz. Dieses Verständnis mag quer auf mein eigenes Verständnis stehen, aber es zeigt, wie Menschen eine Ausweitung von künstlicher Intelligenz in Religionen weltweit sehen könnten.

Vertiefung

  • Hast Du über diese Dinge bereits einmal nachgedacht oder wurdest Du damit konfrontiert?
  • Tausche mit Freunden über das Thema aus und begründe Deine aktuelle Einsicht.
  • Wie fühlt sich diese Entwicklung für Dich an? Was ist Deine spontane Reaktion darauf? Was fehlt Dir an Einblick?
  • In einem Vergleich: Das Leitbild zu diesem Beitrag ist eine Illustration. Ist das besser oder schlechter als ein Foto? Oder als die Begegnung mit einer richtigen Person? Diskutiere.