Wer denkt, dass es so etwas wie «ewige Verlorenheit» in der Bibel gibt, hat die Bibel noch nie darauf nachgeschlagen.
Es gibt bereits einen ausführlichen Beitrag zum Thema «Verloren gehen». Dort findet man Schritt für Schritt die Begründungen zurück. In diesem kurzen Beitrag geht es eher um eine Auseinandersetzung mit verinnerlichten Gedanken, die oft einem einfacheren und besseren Verständnis im Wege stehen.
Knacknuss
Es gibt eine Knacknuss im Verständnis der Bibel. Diese Knacknuss ist nicht etwa die Bibel selbst, sondern es sind unsere verinnerlichten Gedanken, es ist die Brille, wo hindurch wir die Bibel lesen. Die Knacknuss ist unser eigenes Verständnis, das irgendwann geformt, aber vielleicht nie geprüft wurde. Diese verinnerlichten Gedanken können verhindern, dass wir die Aussagen der Bibel verstehen.
Hier ein Beispiel zum Thema:
«Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.»
Joh 3,16
Viele Menschen werden sagen, dass hier die ewige Verlorenheit genannt wird, die für eine Hölle-Lehre so wichtig ist. Solche Reaktionen habe ich nicht einmal, sondern oft erhalten. Man kann diesen Vers lesen und trotzdem über die Aussagen hinweg lesen. Dass dies passiert, liegt an unseren verinnerlichten Vorstellungen.
- Was hier nicht steht
Die folgenden Ideen werden hier mit keinem Wort erwähnt: «Verlorenheit», «Ewige Verlorenheit», «Du musst an Jesus glauben, damit Du nicht verloren gehst», «Wer nicht daran glaubt, dass Jesus für ihn gestorben und auferweckt wurde, wird verloren gehen» und weitere Dinge mehr. - Was hier steht
Dies ist schlicht eine Wiederholung von dem, was im Vers steht: «jeder, der an den Sohn Gottes glaubt, geht nicht verloren», «sondern wird ewiges Leben haben».
Es ist nirgendwo ein Hinweis auf eine «Verlorenheit» (gram. Nomen) zu finden. Stattdessen wird lediglich von einem «verloren gehen» (gram. Verb) gesprochen. Dass nun das Resultat dieses «verloren gehen» eine endlose Verlorenheit bedeutet, kann nirgendwo abgeleitet werden. Sogar das «ewige Leben» wird hier nicht erklärt. Es ist weder geklärt, ob «ewig» endlos bedeutet (das wird oft einfach vorausgesetzt), noch was der Kern dieses Lebens wäre. Die Zusammensetzung «ewiges Leben» bleibt aus diesem Vers allein ein Mysterium. Wer hier mit Gewissheit meint, dass es dieses oder jenes bedeutet, macht eine sogenannte Eisegese (Hineinlegung), mehr als eine Exegese (Auslegung).
Dieses Beispiel zeigt recht klar auf, wie unser Denken ausgerichtet ist. Viele lesen diesen Vers aus einer bestimmten Tradition heraus und folgern deshalb, dass der Vers dieses oder jenes bedeutet. Dass im Vers selbst vieles nicht erklärt, sondern bloss referenziert wird, tut dem keinen Abbruch. Man folgt der Tradition, mehr als dem Text. Solches zu erkennen ist noch keine Erklärung für den Text. Ich möchte hier lediglich versuchen, deutlich zu machen, weshalb manche Dinge in der Bibel verborgen bleiben. Sie bleiben verborgen, weil man es anderes gelehrt bekam.
Die Knacknuss liegt darin, zwischen Text und Tradition besser unterscheiden zu lernen. Gelingt das, hat man plötzlich nicht mehr nur eine Sicht, die als «wahr» gilt, sondern man ist dem Text selbst auf die Spur gekommen, um daraus direkt zu lernen.
Alles Verlorene wird gefunden
Alles, was in der Bibel «verloren geht», wird auch wieder gefunden. So in etwa in den Gleichnissen vom Verlorenen Schaf (Luk 15,1-7), der Verlorenen Münze (Luk 15,8-10) und des Verlorenen Sohnes (Luk 15,11-32). Das ist so ganz anders, als was die Liebhaber einer Hölle immer wieder betonen. Diese Hölle-Befürworter suchen nach Gründen, weshalb die Hölle unbedingt beibehalten werden muss, statt sich darüber zu freuen, dass es vielleicht doch anders kommt. Ist das nicht seltsam?
Etwas verlieren oder umkommen
Das griechische Wort für «verloren gehen» (gr. apollumi) bedeutet so viel wie «ganz auflösen». Man kann das mit unserem Begriff «in Luft auflösen» vergleichen. Wenn das Schaf oder die Münze oder der Sohn verloren geht, dann sind sie nicht ganz weg, aber für den Betrachter doch verschwunden. Gerade waren sie noch da und jetzt sind sie «weg». Sie haben sich sozusagen in Luft aufgelöst. Weil sie nicht richtig weg waren, konnten sie auch wieder gefunden werden.
Wenn dasselbe Wort in Bezug auf Menschen genutzt wird, entspricht das einem Sterben. So beschreibt es Jesus etwa in der Geschichte vom Verlorenen Sohn:
«Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden.»
Luk 15,24
Wer verloren geht, der ist auch weg, wie das mit dem Tod der Fall war. Der Sohn war verloren, nämlich weg, und für den Vater kam diesem dem Tode des Sohnes gleich. Als der Sohn wieder auftauchte, hat der Vater ihn bildhaft aus den Toten wiedererhalten.
In Matthäus 2,13 lesen wir Herodes, der versuchte, das Kind Jesus «umzubringen». Hier steht dasselbe griechische Wort im Grundtext. Herodus versuchte, Jesus «aus dem Weg zu räumen», nämlich zu töten.
Das griechische «apollumi» kann demnach mit verlieren oder mit umkommen wiedergegeben werden. Das ist zutreffend für alle Vorkommen im Neuen Testament.
Niemand geht auf ewig verloren
Eine wichtige Erkenntnis aus dieser Überlegung ist, dass das Wort «verloren gehen» keine endlose Peinigung, Strafe oder Ähnliches bedeutet. Was verloren geht, ist weg und wer verloren geht, der stirbt und ist nachher tot. Weiter als das Sterben reicht die Bedeutung nicht.
Hier ist die Knacknuss: Viele Menschen hören von einem «verloren gehen» und haben dann Ideen einer Hölle-Lehre in Gedanken. Sogar dann, wenn man die Hölle-Lehre als unbiblisch entlarvt hat und fest davon überzeugt ist, dass Gott mit allen Menschen zum Ziel kommt, bleiben Ausdrücke wie «verloren gehen» für viele bedrohlich. Warum ist das so?
Bis man Begriffe wie «verloren gehen» auf den Grund gegangen ist, können diese noch diffuse Ängste auslösen. Deshalb gelingt es vielen Menschen nur schwer, sich von Hölle-Lehren zu verabschieden. Es geht eben nicht nur um ein oder zwei Bibeltexte, sondern um viele Ideen, die über die Jahrhunderte damit verwoben wurden. Man hat vielleicht aus dem Kartenhaus der Hölle-Lehre eine Karte herausgezogen, und das Lehrgebäude ist eingestürzt, aber die Karten liegen immer noch auf dem Tisch. Man muss den Tisch noch aufräumen. Die alten Karten müssen weg, darunter auch die falsche Vorstellung von dem, was «verloren gehen» bedeutet.
Die Erkenntnis, dass «verloren gehen» nicht weiter als das Sterben von Menschen reicht, ist wertvoll. Diese Karte vom eingestürzten Kartenhaus kann man entfernen. Vielleicht aber war dieses Wort für Dich der wichtigste Punkt der Lehre und dieser Beitrag die erste kritische Auseinandersetzung mit diesem Begriff? Wenn Du den Ausführungen hier gefolgt bist, dann hast Du mit dieser Erkenntnis eine Karte aus dem Lehrgebäude der Hölle entfernt. Niemand geht auf ewig verloren.
Der Ausdruck «verloren gehen» deutet auf eine Tätigkeit und Wechsel hin. Das Wort beschreibt einen Übergang. Man geht schlimmstenfalls vom Leben in den Tod hinüber. Das ist schlimm genug und der Tod bleibt ein Feind, aber mit einer angeblichen Hölle hat der Begriff nichts zu tun. Eine gute Übersetzung für viele Bibelstellen ist deshalb «umkommen» oder «umbringen», was viel neutraler tönt und nicht so schwer belastet ist als die Idee, dass jemand «für ewig verloren» geht.
Der Stachel wurde entfernt, die alte Bedeutung wurde als irreführend entlarvt.
Kontext und Grundtext
Es gibt eine einfache Grundlage für jedes Bibelstudium: Man schaut auf den Kontext und den Grundtext. Der Grundtext für das Neue Testament ist Griechisch. Dort kommt das Wort «apollumi» her, das in Übersetzungen mal so, mal anders übersetzt wird. Der Kontext für einen Vers wie in Johannes 3 sind die Evangelien und der Auftrag von Jesus (Mt 15,24). Er kam mit einer frohen Botschaft über das nahe gekommene Königreich der Himmel (Mt 4,17). Wenn das Königreich aufgerichtet würde, wäre das der Anbruch eines neuen Zeitalters. Das ist die Idee des messianischen Reiches, das einst weit weg war, jedoch in und mit Jesus nahe gekommen war. Sowohl das «verloren gehen» als auch das «ewige Leben» stehen in den Evangelien in dieser Verkündigung (vgl. Mk 10,30).
Christliche Theologie hat diesen Kontext verlassen und aus «verloren gehen» und «ewiges Leben» etwas ganz anderes gemacht, als in der Zeit von Jesus verstanden werden konnte. Die Theologie hat sich vom Text und Kontext entfernt. Wenn in diesem kleinen Beitrag ein Begriff angeschaut und die Bedeutung korrigiert wird, ist das kein Ziel an sich, sondern ein kleiner Baustein in einer Neuorientierung.