Zukünftige Formen christlicher Gemeinschaft werden auf andere Art organisiert sein, als das heute der Fall ist. Es wird sich vieles ändern. Es wird vermutlich weniger Hierarchie geben und mehr Verantwortung wird bei der Gemeinde selbst liegen. Für den Pastor oder Pfarrer gibt es womöglich keine Arbeitsstelle mehr, oder nur noch in einem begrenzten Umfang, weil es kein Geld mehr gibt. Freust Du Dich bereits auf diese Änderungen?

Das Ende der Volkskirche

Bereits im ersten Teil zum Thema wurde festgestellt, dass es keine Verfalldaten für diesen oder jenen kirchlichen Job gibt. An unterschiedlichen Orten wird es unterschiedlich lange dauern, bis eine Veränderung eintritt. Pfarrer und Pastoren werden heute durch Gemeindemitgliedern finanziell getragen. Die Änderung dieser Situation wird kommen. Es wird sich mit derselben Geschwindigkeit ändern, wie die Idee «Volkskirche» zusammenbricht oder Gemeinden zu klein werden, einen Vollzeit-Pastor tragen zu können. Was hat das zur Folge?

Pastoren und Gemeinschaften werden beide vermehrt aus finanziellen Abhängigkeiten herausfallen. Das ist eine Chance. Für beide ist es wichtig, sich der neuen Ausgangslage bewusstzuwerden, die Freiheit zu sehen und sich positiv für Änderung einzusetzen. Pastoren und Gemeinden, die sich auf den Weg in eine neue Zukunft machen, werden zu Unternehmern. Damit meine ich nicht, dass Kirchen kommerzialisiert werden müssten, sondern dass es eine andere Grundhaltung für Arbeit und Gemeinschaftserlebnisse geben darf.

Der Pfarrer oder Pastor der Zukunft muss sich in einer geänderten Situation entwickeln und bewähren können. Das gelingt nicht mit Passivität. Arbeitnehmer sind jedoch durchwegs passiv eingestellt. Erst wenn sich ein Stellenwechsel aufdrängt, wird man aktiv und versucht dann oft nur in eine neue Arbeitsstelle hinüberzuwechseln. Bis dahin ist man einfach Angestellter, macht seine Aufgabe und das prägt den Alltag. Daran ist selbstverständlich nichts falsch, aber was macht man, wenn diese Arbeitsstellen immer weniger werden?

Ich schreibe diese Gedanken aus meiner eigenen Erfahrung als Arbeitnehmer und Unternehmer. Nur kurze Zeit habe ich in verschiedenen Firmen, auch in einer Landeskirche, im Angestelltenverhältnis gearbeitet. Die längste Zeit meines Berufslebens habe ich jedoch selbstständig gearbeitet. Beide Erfahrungen prägen meine Aussagen hier.

Das Ende eines Berufes

Wird der Beruf des Pastors enden? Im heutigen Sinne ist das wahrscheinlich. Damit wird nicht die Aufgabe als überflüssig hingestellt, noch der Bedarf einer Gemeinde an Kompetenz. Die Art, wie diese Dinge erfüllt werden, dürfte sich jedoch ändern. Damit ändert das Berufsbild des Pfarrers oder Pastors.

Es gibt auch Pastoren, die nicht mehr in das Gefüge der angestammten Kirche passen. Das gab es natürlich immer schon, aber heute ist es ein Phänomen, das Aufsehen erregt. Pfarrer steigen vermehrt aus, ebenso wie Gemeindemitgliedern die Kirche verlassen. Die Gründe sind vielschichtig. Es hat schon immer Aussteiger aus jedem Berufszweig gegeben. Das ist dem Menschen eigen. Solche Änderungen passieren heute aber häufiger als noch vor 100 Jahren. Die Zeiten ändern sich. Andere entwickeln sich persönlich weiter, erkennen, dass sie gedanklich und lehrmässig nicht mehr dort daheim sind, wo sie heute noch ihr Geld verdienen. Das führt zu einer existenziellen Auseinandersetzung mit Beruf und Berufung. Das ist sehr anspruchsvoll.

Ein Problem der aktuellen Situation ist, dass Pastoren und Pfarrer Jobs haben, für die sie bezahlt werden. Das ist einerseits normal, andererseits aber eine Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit ist nicht an einer Fähigkeit allein gebunden, sondern auch an einer Institution, an bestimmten Sichtweisen, an eine Kultur, an Traditionen usw. Es ist nicht einfach, ein angestammtes Arbeitsfeld zu verlassen, das so speziell ist. Man stelle sich vor, man hätte so etwas wie «Bäcker» gelernt, aber kennt nur die Rezepte einer einzigen Spezialbäckerei. Das erschwert die Bewerbung für eine andere Bäckerei. Theologie ist super-spezifisch auf bestimmte Glaubensgemeinschaften ausgerichtet. Ist das sinnvoll? Warum (nicht)?

Letztlich kann es auch noch sein, dass man die bisherige Kirchenform (ich nenne es mal «Kirche 1.0») nicht mehr unterstützen kann, weil man das Ablaufdatum näherrücken sieht und am liebsten nur noch bei der Entwicklung von «Kirche 2.0» dabei ist. Gedanklich lebt man schon in der Zukunft, aber steckt noch in der Vergangenheit fest. Darin die eigene Situation zu verändern braucht nicht nur viel Mut, sondern auch eine furchtlose Unabhängigkeit bisheriger Strukturen – inklusive der Jobstruktur.

Neuorientierung

Welche Ansätze helfen bei einer Neuorientierung? Das lässt sich vielleicht nicht aus den alten Strukturen und Gewohnheiten ableiten. Ich fasse hier ein paar Punkte zusammen, die man sowohl auf die Aufgabe einer Gemeinde als auf die Aufgabe eines Pastors beziehen könnte, die vor der Aufgabe einer Neuorientierung hin zu «Kirche 2.0» stehen.

In Zeiten des Umbruchs


  • Jeder ist sein eigener Unternehmer
  • Ein Unternehmer ist kein Unterlasser.

Wer in einer Zeit des Umbruchs lebt, kann sich aktiv oder passiv verhalten. Ich plädiere für eine aktive Haltung, soweit das Deiner Persönlichkeit entspricht. Nicht jeder erfährt das gleich. Es braucht eine Vision für sich selbst, für seine Gemeinschaft, für die gewünschte Arbeit. Die Arbeit an einer Vision ist ebenso wichtig, wie eine adäquate Umsetzung benötigter Schritte.

Jeder sein eigener Unternehmer

Ein Pastor soll sein eigenes Profil steuern, womit er arbeiten will. Das bedingt heute eine eigene und persönliche Website, worin man aktuelle Projekte, Ideen, Gedanken, Einsätze dokumentiert. Wer Dich sucht, wird eine Website auf eigenen Namen am besten finden. Findet man dort Beispiele Deiner Arbeit, Einsichten, Projekte und dergleichen mehr, ist das bald die erste Anlaufstelle. Der Grundsatz dabei lautet: «Wer nach aussen tritt, vernetzt sich eher». Es ist die einfachste Art, Kontakte mit Menschen zu finden, die einen ähnlichen Fokus haben oder genau so jemand suchen wie Dich. Deswegen ist eine Website keine mühsame Pflicht, sondern erwartungsvolle Kür. Es ist ein Mittel zum Zweck. Wie wird Dein Netzwerk geformt? Was sind die Themen, die für Dich besondere Bedeutung haben? Welche Werte baust Du auf? Wie machst Du das? Zeige es in Schriften, Interviews, Videos, Unterlagen usw.

Eine Gemeinde soll das eigene Profil steuern, ohne Abhängigkeit von Institutionen oder Hierarchien. Was will man als Gemeinde sein? Was will man werden? Wodurch seid Ihr relevant und für wen? Träume nicht zu klein, sondern bringe Fakten, Daten und reale Schritte mit. Diese dürfen dabei helfen, sowohl die Ausgangslage als auch ein klares Ziel zu formulieren. Es geht nicht um Fantasie, sondern um Vision. Entwickle eine Vision für die eigene Gemeinschaft. Der Grundsatz lautet: «Nicht nur Schäfchen sein, sondern aktiv Dein Leben und das der Gemeinschaft formen». Dabei darf man den Blick nach aussen richten, wo mittlerweile die meisten Menschen und Christen sind. Sie sind ausgetreten, haben sich aus Kirchen und Freikirchen verabschiedet und stehen oft allein. Dort liegt die Zukunft christlicher Gemeinschaft. Gemeinschaft wird bleiben, aber auf welche Art? Das ist die Frage für eine positive Entwicklung.

Unternehmerisch denken

Bei all diesen Dingen gibt es kein Falsch oder Richtig. Es geht darum, die Auseinandersetzung einen Raum und Plattform zu bieten. Idealerweise wäre es ein ergebnisoffener Austausch um die Themen, die für die Gemeinschaft Bedeutung haben. Dabei kann es helfen, Fragen sehr konkret zu stellen. Wenn man ein Unternehmer ist, will man etwas erreichen. Was will man erreichen und wie will man das erreichen?

Anders gefragt:

  • Was ist die Vision?
  • Was sind die Werte, die man pflegen will (persönlich/für die Gemeinschaft)?
  • Welche sind die Schritte, über die man das erreichen will?

Solche Fragen sind unternehmerische Fragen. Ohne Vision keine Perspektive. Ohne konkrete Schritte keine Resultate. Gelebte Werte entscheiden über die Relevanz für die Gemeinschaft. Es sind einfache Fragen. Ich betone sie hier, weil ich mehrfach über die Visionslosigkeit bestehender Kirchen und Freikirchen, Gemeinden und Gruppen gestolpert bin. Es ist mir ein Rätsel, wie manche mit Ressourcen (Menschen wie Geld) umgehen. Als Unternehmer könnte ich mir vieles nicht erlauben. Es wäre das sichere Ende meiner Firma. Ich habe lernen müssen, anders zu denken, Vision Raum zu geben, konkrete Schritte zu machen und vieles mehr. Daraus entstehen Werte, für die es sich lohnt, sich einzusetzen.

Unabhängigkeit möglich machen

Abhängigkeiten sind die grössten Bremsklötze für eine Entwicklung. Die Lohnabhängigkeit kann der grösste Bremsklotz sein. Die Einbindung in eine Institution (Kirche oder Freikirche) bietet zwar sehr viele Möglichkeiten, aber kann auch einengend und rigide sein. Schritte zur Unabhängigkeit sind wichtig, wenn man zu neuen Horizonten aufbrechen will. Konkret etwas zu ändern, kann eine positive Entwicklung möglich machen. Eine realistische Standortbestimmung kann dafür eine Voraussetzung sein.

Wenn ich den Beruf eines Pastors neu denken will, dann geht es nicht um den Pastor. Er führt nur eine Aufgabe aus. Die Aufgabe soll eine Relevanz für die Gemeinschaft haben. Die eigentliche Aufgabendefinition muss aus der Gemeinschaft kommen. Diese wiederum wird aus einem lebendigen Christentum erst entstehen. Auch wenn das klar ist, kann der Pastor immer noch definieren, wie er die Aufgabe gerecht werden will. Benötigt er dafür eine 100% Arbeitsstelle? Kann er das auf Consulting-Basis machen? Ist es seine Aufgabe, sich selbst rasch möglichst überflüssig zu machen? Bietet der Pastor Hilfe zur Selbsthilfe? Fördert er Mündigkeit und soll die Gemeinschaft auch ohne ihn funktionieren?

Ebenso soll die Gemeinschaft der Zukunft mündig über die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele entscheiden und dazu das benötigte Know-how entweder selbst aufbauen oder gezielt einsetzen. Keine Abhängigkeit von Institutionen oder Hierarchien, keine falschen Zuständigkeiten, sondern gemeinsame Entwicklung im Zentrum stellen. Welche Vision hat man, und was benötigt es, damit man die umsetzen kann? Kannst Du es bisher nicht sagen, liegt genau dort das Entwicklungspotenzial.

Vertiefung

  • Wie fördert man einen Austausch über diese Dinge?
  • Was benötigt es, damit man als Pastor oder Gemeinde zum aktiven Unternehmertum aufsteigt?
  • Welche Fähigkeiten hast Du, habt Ihr, und kommen diese zur Geltung?
  • Wovon lebst Du, wenn kein Salär einer Kirche oder Gemeinde mehr kommt?
  • Wie feiert ihr Gemeinschaft, wenn kein Pastor/Pfarrer mehr da ist?
  • Was würdest Du machen, wenn Du heute Deinen Beruf neu entscheiden könntest?
  • Wie siehst Du Deine Zukunft? Hast Du eine Website, die das abbildet? Wenn nein, warum nicht?
  • Was macht Deine Gemeinschaft für die Nachbarschaft?
  • Woraus entsteht Glaubwürdigkeit einer Gemeinschaft?